Kardiovaskuläre Risikofaktoren und Erkrankungen – Risikoassessment vor Tumortherapie

Viele onkologische Patienten haben vorbestehende Risikofaktoren oder kardiovaskuläre Erkrankungen, die durch die Krebserkrankung und insbesondere deren Behandlung zu einem weiten Spektrum an Komplikationen im Herz-Kreislauf-System führen können. Daneben wurde auch die Rolle einer genetischen Prädisposition für das Auftreten von Nebenwirkungen erkannt sowie der Einfluss weiterer von der Krebserkrankung selbst ausgehender und bisher unzureichend charakterisierter Faktoren (Abb. 1; [11, 57, 99, 149]). Kardiovaskuläre Folgen reichen von diskreten elektrokardiographischen, laborchemischen oder in der Bildgebung aufgefallenen Veränderungen über das Auftreten von thrombembolischen, ischämischen oder rhythmologischen Ereignissen bis hin zur linksventrikulären (LV) Funktionseinschränkung und manifesten Herzinsuffizienz [140, 149]. Daher ist die Erfassung von kardiovaskulären Begleiterkrankungen durch die sorgfältige Erhebung der Anamnese sowie der Ausgangsbefunde vor onkologischen Therapieverfahren unverzichtbar. Neben der körperlichen Untersuchung spielen das Elektrokardiogramm (EKG) und Echokardiogramm einschließlich qualitativer und quantitativer Einschätzung der LV-Ejektionsfraktion (LVEF) eine zentrale Rolle, zunehmend auch die kardiale Magnetresonanztomographie (MRT). Bei subklinischen oder manifesten Auffälligkeiten kann ggf. eine alternative, weniger kardiotoxische Therapie gewählt werden, oder engmaschige Kontrollen erfolgen zur frühzeitigen Erkennung von Veränderungen im Herz-Kreislauf-System unter der Krebstherapie, was beispielsweise eine kardioprotektive Therapie ermöglicht.

Abb. 1
figure 1

Zusammenspiel von genetischer Prädisposition, klassischen Risikofaktoren und kardiovaskulären Vorerkrankungen für die Entwicklung oder Progression einer kardiovaskulären Erkrankung als Folge einer Krebstherapie („2nd Hit“) oder der Krebserkrankung selbst. KHK koronare Herzerkrankung, pAVK periphere arterielle Verschlusskrankheit, LV linksventrikulär

Im Folgenden soll auf die Bedeutung klassischer Risikofaktoren, kardiovaskulärer Vor- bzw. Begleiterkrankungen sowie vorausgegangener Krebstherapien eingegangen werden.

Klassische Risikofaktoren

Kardiovaskuläre Erkrankungen und Krebserkrankungen teilen sich nicht nur gemeinsame Mechanismen wie chronische Inflammation, sondern auch gemeinsame Risikofaktoren [47, 90]. So gelten Diabetes mellitus, Adipositas und Hypercholesterinämie als Risikofaktoren für Brustkrebs und sind mit vermehrten kardiovaskulären Nebenwirkungen assoziiert [67, 101]. Auch wenn die in einer retrospektiven Studie bei Brustkrebspatientinnen gezeigte reduzierte Kardiotoxizität unter Statintherapie der Bestätigung in prospektiven Studien bedarf [17], halten wir die Behandlung einer Hypercholesterinämie für sinnvoll. Analog sollte auch ein Diabetes mellitus leitliniengerecht behandelt werden. Metformin sollte möglichst Teil der Therapie sein, da epidemiologische Studien eine reduzierte Krebsrate bei Diabetikern unter Metformin-Therapie nahelegen [44]. Rauchen als klassischer Risikofaktor von Krebserkrankungen ist ebenso mit vermehrter Atherosklerose bzw. koronarer Herzerkrankung (KHK) assoziiert [90] und sollte besonderes Augenmerk erfahren. Allerdings bleibt auch nicht abschließend geklärt, welche Bedeutung eine bestehende KHK für akute koronare Ereignisse unter Substanzen wie 5‑Fluorouracil (5-FU) besitzt [1, 121].

Weniger bekannt ist, dass auch Bluthochdruck mit einer erhöhten Krebsrate zumindest bei Männern einhergeht und in beiden Geschlechtern mit einer gesteigerten Mortalität an Krebs [132]. Interessanterweise waren Inhibitoren des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems bei Krebserkrankten mit geringerer Metastasierung und verbessertem Überleben assoziiert [135]. Bereits vor Beginn einer Krebstherapie wie auch im Verlauf sollte daher eine arterielle Hypertonie identifiziert und behandelt werden.

Die Bedeutung der gemeinsamen Risikofaktoren zeigt sich auch bei Patienten mit geplanter Anthrazyklin-Therapie, bei denen ein erhöhtes Risiko zur Entwicklung einer Herzinsuffizienz bei vorbestehenden Risikofaktoren wie Rauchen, arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus und Dyslipoproteinämie besteht [5]. Bei mehr als 2 Risikofaktoren scheint das Risiko deutlich erhöht zu sein [5,6,7]. Ein gesteigertes kardiovaskuläres Risiko unter klassischen kardialen Risikofaktoren besteht auch für Patienten mit Stammzelltransplantation [24] oder unter bestimmten Tyrosinkinaseinhibitoren wie Ponatinib oder Nilotinib, für die Hinweise auf den prognostischen Nutzen einer Risikofaktorenkontrolle bestehen [18].

Kardiovaskuläre Vor- bzw. Begleiterkrankungen

Die Identifikation kardiovaskulärer Vor- und Begleiterkrankungen ist zentral für die Risikoeinschätzung. Neben der Anamnese hilft die körperliche Untersuchung, nicht nur eine Herzinsuffizienz zu identifizieren, sondern auch atherosklerotisch bedingte Veränderungen wie eine periphere arterielle Verschlusserkrankung, die z. B. durch manche Kinaseinhibitoren verkompliziert werden kann [88].

Wichtiger Bestandteil der kardialen Risikoerfassung ist das Erkennen von EKG-Veränderungen sowie von aktuellen bzw. früheren Herzrhythmusstörungen. Im 12-Kanal-EKG können bestimmte Medikamente potenziell gefährliche Verlängerungen der frequenzkorrigierten QT-Zeit (QTc) hervorrufen. Zwar stellen potenziell lebensbedrohliche Arrhythmien mit vorangehender QTc-Intervall-Verlängerung (u. a. Torsade de pointes [TdP]) auch in Risikokonstellationen seltene Ereignisse dar, es ist dennoch sinnvoll, vor einem Einsatz dieser QTc verlängernden Substanzen einen QTc-Ausgangswert zu erheben. Im Falle eines familiären Long-QT-Syndroms (LQTS) sollte von QTc verlängernden Substanzen Abstand genommen werden. Außerhalb von familiärem LQTS sind bestehende QTc-Verlängerungen durch eine Vormedikation insbesondere dann problematisch, wenn sie neben der bei Kinaseinhibitoren häufigen QTc-Verlängerung auch zu dokumentiertem Auftreten von TdP führen können wie ggf. z. B. bei Vandetanib. Allerdings ist sicherlich eine Abwägung der Gesamtrisikokonstellation des Patienten sowie individueller QTc-Verlängerungen notwendig (www.crediblemeds.org) [89].

Im EKG können darüber hinaus Hinweise auf eine Myokardischämie gefunden werden, die insbesondere im Hinblick auf eine kardiale Ischämie auslösende Medikamente wie 5‑FU eine weitere kardiale Diagnostik nahelegen. Zudem ist bei aktuellen oder anamnestischen Hinweisen auf Vorhofflimmern eine Antikoagulation in vielen Fällen indiziert, welche wiederum durch ein erhöhtes Blutungsrisiko eine Krebstherapie komplizieren kann. Umgekehrt sollte eine Antikoagulation bei Vorhofflimmern nicht unnötig vorenthalten werden [80]. Im Gegensatz zur venösen Thromboembolie konnte ein Zusammenhang zwischen Krebserkrankung und erhöhtem zerebralem Ischämierisiko bei Vorhofflimmern nicht sicher nachgewiesen werden.

Bei Risikopatienten für kardiovaskuläre Komplikationen sollte eine Echokardiographie durchgeführt werden, da sie nicht nur eine subklinisch eingeschränkte LV-Pumpfunktion erfassen kann, sondern auch eine Beurteilung des Perikards, der Klappen und eine Abschätzung des pulmonalarteriellen Druckes als Ausgangswert für Verlaufskontrollen ermöglicht. Unklar ist der prädiktive Wert einer eingeschränkten LVEF für Stammzelltransplantationen. Bei geplanter Stammzelltransplantation geht die LVEF <50 % nur mit 1 Punkt in den sogenannten Sorror-Score zur Risikostratifizierung von Patienten ein [127, 128]. Eine leicht- bis mittelgradig eingeschränkte LVEF scheint kein Ausschlusskriterium für eine Stammzelltransplantation zu sein [112].

Bei anderen onkologischen Erkrankungen/Therapien, nimmt die eingeschränkte LVEF aber einen prädiktiven Wert ein [26]. Dies gilt auch für die LVEF vor Behandlung mit HER2-Inhibitoren/Antikörpern (nach erfolgter Anthrazyklin-Therapie) [50]. Aufgrund der aktuellen Empfehlung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) sowie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (European Society of Cardiology, ESC) ist daher ein Patient mit einer LVEF von kleiner 50–55 % als Risikopatient einzustufen [5, 149].

Kardiotoxisches Risiko durch onkologische Vorbehandlung

Viele onkologische Patienten durchlaufen mehrere potenziell kardiotoxische Therapien. Dies kann im Rahmen ihrer zugrunde liegenden onkologischen Erkrankung erfolgen (Progress oder Wiederauftreten) oder bei einer onkologischen Zweiterkrankung. Die stattgehabten onkologischen Therapien sind daher bezüglich einer potenziellen kardiotoxischen onkologischen Therapie als unabhängiger Risikofaktor anzusehen. Dies gilt insbesondere für Anthrazykline bzw. eine stattgehabte Bestrahlung [4]. Eine intensivierte Nachbetreuung onkologischer Patienten ist insbesondere bei einer Bestrahlung von >30 Gy, einer Anthrazyklin-Therapie mit mehr als 250 mg/m2 Körperoberfläche oder nach einer Kombinationstherapie notwendig. Somit zählen Patienten vor einer erneuten geplanten Radio- oder Chemotherapie zu einem Risikokollektiv und bedürfen einer genauen kardialen Abklärung und Betreuung.

Es ist zu erwarten, dass die Bedeutung neuer bildgebender Verfahren („strain rate“ im Echokardiogramm, kontrastmittelfreies MRT, nuklearmedizinische Bildgebung) sowie genetischer Faktoren und Biomarker zunehmen wird. Die bisherigen Hinweise auf genetische Faktoren erstrecken sich überwiegend auf die Anthrazyklin-Toxizität [11, 57] und haben noch keinen Eingang in die klinische Routine gefunden. Auch die Bedeutung von tumorbedingten kardiodepressorischen Faktoren, die über die Änderungen des Lebensstils von Krebspatienten hinausgehen (z. B. Inaktivität), oder Risikofaktoren wie die klonale Hämatopoese sind noch unklar.

Schlussfolgerungen:

  • Vor geplanter onkologischer Therapie sind kardiale Risikofaktoren sowie die Historie potenziell kardiotoxischer Therapien entscheidend für die individuelle Einschätzung.

Drei spezifische Patientengruppen bedürfen einer engen kardiologischen Mitbetreuung unter onkologischer Therapie:

  • Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren. Sie haben ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Nebenwirkungen einer Krebstherapie.

  • Patienten mit einer stattgehabten systemischen Therapie bzw. Radiotherapie des Thorax gehören ebenfalls zu einem Hochrisikokollektiv für die Entwicklung einer Kardiotoxizität.

  • Patienten mit einer geplanten Therapie mit einem deutlich erhöhten Risiko für eine Kardiotoxizität benötigen eine genaue kardiale Basisuntersuchung, um eine Verlaufsbeurteilung zu ermöglichen.

Strahlentherapie

Die Strahlentherapie ist ein wichtiger Bestandteil eines multimodalen Therapiekonzepts vieler Krebserkrankungen. Sie wird zur lokalen Tumorkontrolle und als Therapie von Metastasen mit palliativer Zielsetzung sowie mit kurativer Zielsetzung als neoadjuvante, adjuvante oder als definitive Therapie bei lokalisierten Krebserkrankungen eingesetzt. Bei 35 % aller Patienten mit Krebserkrankung erfolgt innerhalb eines Jahres nach Diagnosestellung eine Strahlentherapie [87, 141]. Eine kardiale Strahlenexposition kann v. a. durch Bestrahlung eines mediastinalen Lymphoms, eines zentral lokalisierten Bronchialkarzinoms oder eines linksseitigen Mammakarzinoms erfolgen [9, 141, 149].

Strahlentherapieassoziierte, kardiovaskuläre Komplikationen können sich akut, jedoch auch chronisch im Verlauf von über 20 Jahren nach Strahlenexposition manifestieren. Die strahlentherapieassoziierte Perikarditis ist eine akute Komplikation nach Strahlentherapie [141]. Die akute Verlaufsform galt als die häufigste kardiale Komplikation nach Strahlentherapie, jedoch hat die Inzidenz durch eine Verminderung der kardialen Einzeldosis und durch technische Verbesserungen abgenommen [49]. Sie ist charakterisiert durch eine ausgeprägte perikardiale Immunzellinfiltration und zeigt häufig eine exsudative Verlaufsform. Die chronische, strahlentherapieassoziierte Perikarditis kann sich durch variables Auftreten zeigen und tritt erst verzögert nach Strahlentherapie auf. Ungefähr 20 % der Patienten mit einer chronischen Perikarditis entwickeln eine klinisch-relevante Konstriktion des Herzens. Die kumulative kardiale Strahlendosis gilt als Hauptrisikofaktor; bei einer Dosis von 40 Gy liegt die Inzidenz einer manifesten Perikarditis bei 5 % innerhalb von 5 Jahren nach Strahlentherapie [29, 141]. Nach Strahlenchemotherapie konnte in 31,4 % ein Perikarderguss innerhalb eines Jahres nachgewiesen werden. Die Diagnostik umfasst vor allem Echokardiographie und Herzkatheteruntersuchung. Bei konstriktiver Perikarditis ist die komplette Perikardektomie Therapie der Wahl [141].

Die KHK, kalzifizierende Herzklappenerkrankungen und myokardiale Fibrose mit diastolischer sowie seltener systolischer Dysfunktion sind typische chronische, strahlentherapieassoziierte Komplikationen [141, 149]. Risikofaktoren sind die kumulative Strahlendosis, eine begleitende Anthrazyklin-Chemotherapie, ein hohes kardiovaskuläres Risikoprofil und bestehende kardiovaskuläre Vorerkrankungen [58, 60, 141, 149]. Patienten nach überlebter Krebserkrankung in der Kindheit stellen eine besondere Risikogruppe dar. Das relative Risiko für eine schwere kardiale Erkrankung im Alter von 40 Jahren liegt bei einer kardialen Strahlendosis von 1–5 Gy bei 1,9 und steigt bei >15 Gy auf 19,5–75,2 [53].

Die KHK ist die häufigste strahlentherapieassoziierte, kardiovaskuläre Komplikation nach Mammakarzinom. Ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer KHK besteht zudem nach mehr als 20 Jahren nach Bestrahlung [32, 138]. Das individuelle Risiko nimmt pro 1 Gy kardialer Strahlendosis um 4,1–7,4 % zu [32, 138, 141]. Betroffene Koronararterien sind abhängig von charakteristischen Strahlenfeldern; die Bestrahlung eines linksseitigen Mammakarzinoms ist assoziiert mit einer Strahlenexposition des Ramus interventricularis anterior (RIVA), wohingegen die mediastinale Bestrahlung zu einer Strahlenexposition des linken Hauptstamms sowie des Ramus circumflexus (RCX) und der rechten Koronararterie (RCA) führt. Es zeigt sich zudem insgesamt ein gehäuftes Auftreten von ostialen Läsionen nach Strahlentherapie [149].

Die mediastinale Bestrahlung beim Hodgkin-Lymphom ist charakterisiert durch eine höhere Strahlenexposition der Herzklappenebene und ein erhöhtes Risiko für Herzklappenerkrankungen, die Latenz liegt bei über 20 Jahren [138, 141]. Insbesondere bei einer kumulativen Strahlendosis von >30 Gy nimmt das relative Risiko exponentiell zu und beträgt bei >40 Gy 24,3 % [30, 138]. Bei Langzeitüberlebenden nach thorakaler Bestrahlung mit oder ohne begleitende Chemotherapie waren Herzklappenerkrankungen nach der Entwicklung einer Herzinsuffizienz die zweithäufigste Komplikation [53]. Erste Langzeitdaten zeigen eine Assoziation zwischen einer verringerten thorakalen Strahlendosis und der Reduktion der kardialen Mortalität [141].

Management von Patienten nach Bestrahlungstherapie

Die Diagnose und Behandlung von kardiovaskulären Komplikationen nach Strahlentherapie ist durch verschiedene Faktoren erschwert; eine strahlentherapieassoziierte KHK kann durch eine strahlungsbedingte Neuropathie eine atypische oder verminderte Symptomatik zeigen [73]. Aufgrund proximaler Läsionen, mediastinaler Verwachsungen und der zugrunde liegenden Tumorerkrankung ist die Komplikationsrate einer interventionellen und insbesondere einer operativen Versorgung erhöht. Die frühzeitige Diagnostik und Therapie einer strahlentherapieassoziierten kardiovaskulären Schädigung sind daher von besonderer Relevanz.

Bereits vor Einleitung einer thorakalen Strahlentherapie sollte bei Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risikoprofil oder begleitender, kardiotoxischer Chemotherapie (insbesondere Anthrazykline) eine Risikobeurteilung erfolgen. So können vor Einleitung einer Strahlentherapie eine weiterführende Diagnostik sowie eine interdisziplinäre, risikoadaptierte Therapieplanung erfolgen [144].

Zur Überwachung von strahlentherapieassoziierten, kardiovaskulären Komplikationen sollte ab 5 Jahren nach Strahlenexposition in einem Intervall von 2 bis 5 Jahren in Abhängigkeit des individuellen Risikos eine onkokardiologische Verlaufsbeurteilung inklusive EKG und Echokardiographie erfolgen [21, 73, 141]. Nach Bestrahlung im Kindesalter von ≥35 Gy, einer Strahlendosis >30 Gy oder begleitender Anthrazyklin-Therapie sollte bereits frühzeitig (Kinder 2 Jahre, Erwachsene 1 Jahr nach Bestrahlung) eine kardiale Beurteilung erfolgen (Abb. 2; [4]). Die Basisdiagnostik kann durch eine Strain-Analyse oder eine kardiale MRT bei eingeschränkter Qualität der Echokardiographie ergänzt werden [8]. Eine nichtinvasive KHK-Diagnostik kann 10 Jahre nach Strahlenexposition mittels Koronar-CT (Computertomographie) oder Evaluation einer belastungsinduzierbaren, myokardialen Ischämie erfolgen [21].

Abb. 2
figure 2

Algorithmus zum kardiologischen Follow-up nach mediastinaler Bestrahlung. Gy Gray, EKG Elektrokardiogramm, Echo Echokardiographie, CT Computertomograhie

Klassische Chemotherapie

Die klassische, zytotoxische Chemotherapie kann zu einem breiten Spektrum von kardiovaskulären Nebenwirkungen führen. Insbesondere die Gruppe der Anthrazykline (Doxorubicin, Epirubicin, Daunorubicin, Idarubicin, Mitoxantron) ist mit einem erheblichen Risiko für eine myokardiale Schädigung vergesellschaftet. Anthrazykline sind weit verbreitet für die Therapie akuter Leukämien, des Mammakarzinoms und des malignen Lymphoms. Eine myokardiale Schädigung wird durch reaktive Sauerstoffspezies (ROS), Hemmung der Topoisomerase IIβ und eine Wechselwirkung mit Kalziumkanälen verursacht. Diese Veränderungen können eine LV-Dysfunktion verursachen, welche zu einer manifesten Herzinsuffizienz als unabhängigem Prädiktor einer gesteigerten Mortalität führen kann. Das Risiko einer Anthrazyklin-assoziierten Kardiotoxizität ist abhängig von der kumulativen Dosis, der Höchstmenge von Einzeldosen sowie den Risikofaktoren des Patienten und wird gesteigert durch eine begleitende thorakale Bestrahlung oder HER2-Inhibitortherapie [141]. Das Risiko für eine LV-Dysfunktion liegt bei einer Therapie mit Doxorubicin 400 mg/m2 Kumulativdosis bei 5 % und ist bei einer kumulativen Dosis von 550 mg/m2 bereits auf 26 % gesteigert [149]. Am besten untersucht ist Doxorubicin als unverzichtbarer Standard in der Chemotherapie des Mammakarzinoms (AC = AdriamycinR + Cyclophosphamid) sowie hochmaligner Lymphome (CHOP = Cyclophosphamid, Vincristin, Doxorubicin und Vincristin). Mit Einzeldosen von üblicherweise 50–60 mg/m2 und 4 bis 6 Zyklen im Rahmen einer adjuvanten bzw. kurativen Chemotherapie wird Doxorubicin bis an die Grenzdosis von 400 mg/m2 ausgereizt. Bis zu diesem Limit gilt die 5‑ bis 10-Jahres-Inzidenz von Kardiomyopathien als geringfügig mit einer Wahrscheinlichkeit bis maximal 5 %. Bei Überschreitung dieser Grenzdosis steigt die Zahl von Patienten, die eine LV-Dysfunktion entwickeln exponentiell an, sodass Re-Expositionen vermieden und allenfalls auf liposomale Anthrazykline zurückgegriffen werden sollte.

Nach Beurteilung des individuellen Risikos für die Entstehung einer Anthrazyklin-assoziierten Kardiotoxizität erfolgt die Überwachung anhand klinischer Verlaufskontrollen, EKG und Echokardiographie ggf. mit 3‑D-LVEF und Strain-Analyse [141]. Die Bestimmung des kardialen Troponins kurz nach Therapieapplikation hat eine gute prädiktive Wertigkeit [92]. Bei Patienten mit hohem Risiko für eine Anthrazyklin-assoziierte Kardiotoxizität, Patienten mit einer Troponinerhöhung unter Therapie und Patienten mit bereits eingetretener LV-Dysfunktion kann die Therapie mit einem Angiotensin-Converting-Enzyme(ACE)-Inhibitor/Angiotensin-II-Rezeptor-Subtyp-1(AT1)-Rezeptorantagonist und/oder einem β‑Blocker zur Prävention oder Therapie eingesetzt werden. Zur Reduktion der Kardiotoxizität durch Anthrazykline eignen sich eine Therapie mit dem Eisenchelator Dexrazoxan, die Verabreichung einer alternativen Anthrazyklin-Formulierung (pegylierte und/oder liposomale Anthrazykline) oder die Umstellung auf ein nicht-Anthrazyklin-haltiges Therapiekonzept [21, 141].

Alkylanzien (Cyclophosphamid, Ifosfamid) werden für die Therapie von malignen hämatologischen Neoplasien, soliden Tumoren und Autoimmunerkrankungen eingesetzt, und sind insbesondere bei hoher Dosierung vor Knochenmarktransplantation mit kardiovaskulären Komplikationen vergesellschaftet. Eine Cyclophosphamid-assoziierte Herzinsuffizienz (Inzidenz 5–19 %) entsteht typischerweise binnen weniger Tage nach Therapieapplikation. Als Pathomechanismus werden eine Lipidperoxidation, eine mitochondriale Dysfunktion sowie die Generierung von ROS vermutet. Eine präventive Therapie mit ACE-Inhibitoren/AT1-Rezeptorantagonisten und/oder einem β‑Blocker wurde für Alkylanzien bisher nicht ausreichend untersucht. Cyclophosphamid wird in Dosierungen zwischen 600 und 2000 mg/m2 eingesetzt und gilt als relativ unproblematisch, bei höheren Dosen kann es zur oben genannten kardialen Schädigung kommen.

Fluoropyrimidine (5‑FU) können durch eine Vasospasmus induzierende Wirkung an Koronararterien zu transienter Angina pectoris bis hin zum akuten Myokardinfarkt führen. Ein Vasospasmus tritt typischerweise in der frühen Therapiephase auf. Das Risiko ist abhängig von der Applikationsart, der Dosis sowie der individuellen Prädisposition und kann bis zu 10 % betragen. Kalziumantagonisten und Nitrate wurden erfolgreich für die Therapie eines koronararteriellen Vasospasmus durch Fluoropyrimidine angewendet [21, 92, 141]. Platinderivate (Cisplatin, Carboplatin), welche beispielsweise für die Therapie des kolorektalen Karzinoms und von Hodentumoren verwendet werden, können durch eine prokoagulatorische Wirkung und die Induktion einer endothelialen Dysfunktion durch arterielle Thrombosen/Thrombembolien ebenfalls eine myokardiale Ischämie verursachen. Darüber hinaus ist bei Patienten nach platinhaltiger Chemotherapie das Risiko für die Entwicklung einer KHK innerhalb von 20 Jahren gesteigert [149].

Immuncheckpoint-Inhibitor-induzierte Myokarditis

Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICIs) wurden 2018 in mehr als 2250 aktiven klinischen Studien zur Behandlung maligner Erkrankungen eingesetzt. Diese neue Gruppe von Medikamenten ist häufig mit autoimmunvermittelten Nebenwirkungen assoziiert. Limitierend für eine weiterführende Therapie ist die ICI-induzierte Myokarditis [39, 85, 96, 97, 120]. Mit 43–46 % hat die ICI-induzierte Myokarditis zudem eine hohe Mortalität und tritt je nach Medikament mit einer Häufigkeit von 1–2 % auf [85]. Unklar ist, wie Hochrisikopatienten identifiziert werden können [16].

Klinische Symptomatik

Die klinische Manifestation reicht von einem isolierten Anstieg kardialer Biomarker (Troponinanstieg, NT-proBNP-Anstieg [N‑terminal-pro hormone brain natriuretic peptide]) über Arrhythmien und sekundäre Anzeichen einer Herzinsuffizienz bis hin zu fatalen Ereignissen [85]. Typische oder atypische Angina pectoris tritt bei bis zu 37 % der Patienten auf [85], eine myokardiale Ischämie ist die wichtigste Differenzialdiagnose.

Hauptmerkmale der ICI-Myokarditis

Die meisten Fälle (bis zu 81 %) von ICI-induzierter Myokarditis treten in den ersten 3 Monaten nach Initialisierung der Behandlung auf [85]. Bisher sind nur wenige spezifische Risikofaktoren für eine ICI-induzierte Myokarditis bekannt; wichtigster unabhängiger Risikofaktor ist die Kombinationstherapie verschiedener ICIs (CTLA-4-Inhibitor [cytotoxic T‑lymphocyte-associated Protein 4 inhibitor] + PD-1-Inhibitor [programmed cell death protein 1 inhibitor]) [85]. Patienten mit Thymom scheinen zudem ein erhöhtes Risiko für eine ICI-induzierte Myokarditis zu haben.

Myositis (23–30 %), eine Myasthenie-ähnliche Symptomatik, Diplopie (bis zu 6 %) oder eine Einschränkung der Zwerchfellfunktion treten bei Patienten mit ICI-induzierter Myokarditis auf [63, 85, 97, 120]. Bei Patienten mit ICI-assoziierter Myasthenie kann eine Myokarditis in 3–10 % [136] oder eine Myositis in 10–15 % nachgewiesen werden [3]. Patienten mit konkomitanten Myastheniesymptomen und Myokarditis haben eine hohe Sterblichkeitsrate [136].

EKG-Veränderungen

EKG-Veränderungen sind bei ICI-induzierter Myokarditis häufig. Sie reichen von ST-Hebungen über ventrikuläre Arrhythmien und Überleitungsstörungen bis hin zu kompletten Blockbildern. Ein abnormales EKG kann bei den meisten Patienten gefunden werden und scheint eines der sichersten Anzeichen einer ICI-induzierten Myokarditis zu sein [39, 85]. Arrhythmien sind ebenfalls stark mit ICI-induzierter Myokarditis assoziiert und oft ursächlich für fatale Verläufe [39, 64, 85, 119, 120]. Berichtet wurden Vorhofflattern, höhergradige AV-Blöcke, Kammerflimmern und Asystolie [96]. Bei Auftreten von EKG-Veränderungen unter ICI muss eine weiterführende Diagnostik inklusive kardialer Biomarker initiiert werden (Abb. 3) und ein EKG-Monitoring erwogen werden.

Abb. 3
figure 3

Übersicht über die empfohlenen Basis- und Verlaufsuntersuchungen bei einer Therapie mit einem Immuncheckpoint-Inhibitor. Die parallele Bestimmung von Troponin und Kreatininkinase (CK) ist aufgrund der oft begleitenden Myositis sinnvoll. EKG Elektrokardiogramm, cMRT kardiale Magnetresonanztomographie, Echo Echokardiographie

Biomarker

Bei mehr als 90 % der Patienten mit ICI-induzierter Myokarditis liegt eine Troponin-Erhöhung vor [96]. Bisher gibt es keine eindeutige Grenze für die Diagnose einer ICI-induzierten Myokarditis, höhere Werte waren jedoch mit einer höheren Inzidenz tödlicher Ereignisse verbunden [85]. Basierend auf den ESC-Guidelines zur Diagnostik und Therapie des STEMI/NSTEMI (ST-Elevationsmyokardinfarkt/Non-ST-Elevationsmyokardinfarkt) muss zunächst eine ischämische Genese bzw. eine andere mögliche Ursache für eine Troponin-Erhöhung ausgeschlossen werden [2]. NT-proBNP ist als Prognosemarker bei Patienten mit Herzinsuffizienz etabliert. Insbesondere bei Patienten mit stark verminderter LVEF und ICI-induzierter Myokarditis kann NT-proBNP als wertvoller Follow-up-Parameter dienen.

Kardiale Bildgebung

Eine verringerte LVEF ist nur bei ca. 50 % der Patienten mit Myokarditis unter ICI zu beobachten [39, 85]. Eine reduzierte LVEF wirkt sich jedoch negativ auf das „Outcome“ aus und ist mit teils erheblichen Komplikationen verbunden. Um Veränderungen im Verlauf beurteilen zu können, sollte vor Einleitung einer ICI-Therapie eine Echokardiographie erfolgen.

Das kardiale MRT kann den Verdacht auf ICI-induzierte Myokarditis durch nicht-ischämisch bedingtes Late Gadolininum Enhancement (LGE) untermauern. LGE kann bei Patienten mit ICI-induzierter Myokarditis in 26–36 % nachgewiesen werden [85]. Neben LGE liefert das cMRT die LVEF und sollte nach Möglichkeit bei Patienten mit Verdacht auf ICI-induzierte Myokarditis zusätzlich zur Echokardiographie durchgeführt werden.

Diagnostik bei Verdacht auf eine ICI-induzierte Myokarditis

Die Diagnostik umfasst standardmäßig kardiale Biomarker, ein EKG und eine Echokardiographie und bei fortbestehendem Verdacht ein kardiales MRT. Eine begleitende Myastheniesymptomatik sollte zudem evaluiert werden. Zudem muss eine signifikante Koronarobstruktion ausgeschlossen werden. Die Myokardbiopsie stellt den Goldstandard der Diagnostik einer Myokarditis dar und sollte im Verdachtsfall angestrebt werden. Im Falle der ICI ist eine lymphozytäre Infiltration typisch [64]. Zur weiteren Risikostratifizierung sollte ein 24-h-EKG initialisiert werden [84]. Die aktuellen Kriterien zur Diagnostik sind in Tab. 1 zusammengefasst.

Tab. 1 Diagnostische Kriterien für die ICI-induzierte Myokarditis. (Nach Hu et al. [59])

Ergänzende Diagnostik

Anti-Acetylcholin-Rezeptor-Antikörper sollten bei Patienten mit Myastheniesyndrom bestimmt werden, um weitere therapeutische Strategien (z. B. Plasmapherese, Pyridostigmin-Therapie) in Betracht zu ziehen. Zusätzliche Untersuchungen (peripheres CD4/CD8-Verhältnis, 18F-Fluordesoxyglucose-Positronen-Emissions-Tomographie (FDG-PET)/CT-Scan) können im individuellen Fall eine diagnostische Stütze bilden. Eine Skelettmuskelbiopsie sollte bei Patienten mit einem Anstieg der CK bzw. klinischen Anzeichen einer Myositis und Verdacht auf eine ICI-induzierte Myokarditis in Betracht gezogen werden, wenn keine Myokardbiopsie durchführbar ist.

Auch bei guter LVEF oder Vorliegen einer signifikanten KHK sollte bei Verdacht auf eine ICI-induzierte Myokarditis eine Myokardbiopsie in Betracht gezogen werden [39, 85]. Insbesondere Patienten mit klinischer Symptomatik, erhöhter CK, EKG-Veränderungen, malignen Arrhythmien, nicht typischem LGE im cMRT oder einer reduzierten LVEF, die durch eine KHK nicht ausreichend erklärt ist, benötigen eine Myokardbiopsie.

Grundlagen der Therapie der ICI-induzierten Myokarditis

Die eigentliche Therapie der ICI-induzierten Myokarditis beruht zunächst auf einer gewichtsadaptierten Steroidgabe sowie einer supportiven Therapie [59] mit 1–2 mg/kg Prednisolon i.v. oder oral bzw. 500–1000 mg Methylprednisolon i.v. bei schlechtem Ansprechen [13]. Ein Ausschleichen kann über 4 bis 6 Wochen erfolgen [84]. Bei fehlendem Ansprechen, Auftreten von Komplikationen (höhergradige Arrhythmien, hämodynamische Instabilität oder Verschlechterung der LVEF) ist eine zusätzliche Immunsuppression bzw. eine Plasmapherese, auch aufgrund der teils langen Halbwertszeiten der Medikamente (Tab. 2) anzuraten. Als zusätzliche immunsuppressive Therapie werden aktuell Tacrolimus, Infliximab oder Mycophenolat vorgeschlagen [59]. Spezielle Fällen mit einem hohen Risiko (hämodynamische Instabilität, vermehrtes Auftreten von Arrhythmien) könnten zudem von einer gezielten Antikörperbehandlung mit Abatacept, einem CTLA-4-Fusionsprotein, profitieren [119]. Aufgrund der mangelnden Studienlage muss in schweren Fällen eine individuelle Strategie etabliert werden. Diese Patienten sollten aufgrund ihrer hohen Mortalität unbedingt intensivmedizinisch versorgt werden. Bis zum sicheren Ausheilen der Myokarditis sollte keine weitere Therapie mit einem ICI erfolgen. Eine manifeste Herzinsuffizienz sollte analog den aktuellen Herzinsuffizienzleitlinien behandelt werden.

Tab. 2 Zielstruktur und Halbwertszeit der Immuncheckpoint-Inhibitoren. (Mod. nach [20])

Basisdiagnostik und Monitoring von Patienten mit ICI-Therapie

Es gibt noch keine sichere Festlegung, welche Diagnostik vor Initialisierung einer ICI-Therapie zwingend erforderlich ist. Aufgrund der Schwere der möglichen Myokarditis empfehlen wir eine Bestimmung der kardialen Biomarker, die Durchführung einer Echokardiographie sowie ein EKG, um Vergleichsbefunde im Falle des Verdachts einer ICI-induzierten Myokarditis zu haben (Abb. 3).

Während der Therapie empfiehlt sich neben der regelmäßigen Anamneseerhebung hinsichtlich kardialer Symptome ein EKG-Monitoring v. a. innerhalb der ersten 12 Wochen aufgrund des in diesem Zeitraum gehäuften Auftretens. Bei klinischer Symptomatik oder pathologischen Befunden sollte umgehend bei Verdacht auf eine ICI-induzierte Myokarditis eine weiterführende Diagnostik erfolgen.

Zielgerichtete Therapien: klassische Antikörper und Small-molecule-Tyrosinkinaseinhibitoren

Zielgerichtete Therapeutika revolutionieren die Onkologie aufgrund ihrer hohen antitumorösen Effektivität bei deutlich niedriger unspezifischer Zytotoxizität. Trotzdem können auch zielgerichtete onkologische Therapeutika zu Nebenwirkungen führen, insbesondere, wenn andere Signalwege, sog. „off-targets“, beeinflusst werden. Dies ist bedeutsam gerade bei schlecht regenerierenden Organen und Zelltypen wie Herz und Blutgefäße. Kardiovaskuläre Nebenwirkungen aktueller zielgerichteter onkologischer Therapeutika, die entsprechend der Fachinformation als häufig oder sehr häufig aufgeführt werden, zeigt Tab. 3.

Tab. 3 Onkologische Indikation, kardiovaskuläre Nebenwirkungen und Therapiemonitoringa nach Fachinformation: (sehr häufig >10%, häufig 1–10 %)

Tyrosinkinaseinhibitoren mit multiplen Ansatzpunkten

Die bei vielen Wirkstoffen beobachtete Blutdruckerhöhung ist mit der On-target-Wirkung auf den VEGFR-Signalweg gut erklärt. Inwieweit zusätzliche Effekte auf die Gefäßstruktur/Gefäßsteifigkeit eine Rolle spielen, die z. B. für Sorafenib und Sunitinib beschrieben wurden, ist unklar. Viele Tyrosinkinaseinhibitoren haben durch unspezifische Bindung an die ATP-Bindungsstelle anderer Kinasen multiple, sogenannte Off-target-Effekte. Einige der inhibierten Signalwege wie RAF1 und KIT regulieren Überleben und Reparaturmechanismen in Herzmuskelzellen, kardiotoxische Wirkungen wurden sowohl in kultivierten Herzmuskelzellen wie auch in Tierexperimenten nachgewiesen [133]. Die Angaben zum Auftreten einer LV-Dysfunktion unter Sorafenib und Sunitinib schwanken zwischen 1 und 9 % [52, 100, 102]. Der ausgeprägteste Effekt unter den Tyrosinkinaseinhibitoren auf die Verlängerung der QTc ist für Vandetanib beschrieben mit dosisabhängigen Raten von 3–12 % [45]. Ein statistischer Zusammenhang der QTc-Verlängerung mit insgesamt sehr selten aufgetretenen, malignen Arrhythmien konnte unter Studienbedingungen nicht beobachtet werden. Allerdings werden in der Routineanwendung in 24–74 % Medikamente mit Interaktionspotenzial über den Cytochrom-P450 3A4-Metabolismus verschrieben, was zu erhöhtem Toxizitätspotenzial führen kann. Für Vandetanib wurde in vitro eine direkte Bindung an kardiomyozytäre hERG-Kaliumkanäle und eine Inhibition von Kalium- und Natriumströmen gezeigt, was mit einer attenuierten Depolarisation und einer Verzögerung des Aktionspotenzials einherging [75].

BCR-ABL-Inhibitoren

Zu den ersten Kinaseinhibitoren überhaupt gehört Imatinib, das selektiv auf die BCR-ABL-Translokation wirkt, welche als Fusionskonstrukt die treibende Kraft bei chronischer myeloischer Leukämie ist. Relevante Häufungen kardiovaskulärer Nebenwirkungen wurden unter Imatinib kaum beschrieben. Die BCR-ABL-Inhibitoren der folgenden Generationen sind deutlich effizienter, zeigten aber eine Reihe von kardiovaskulären Nebenwirkungen. Unter Dasatinib wurde bei 3 % der Patienten eine pulmonalarterielle Hypertonie beobachtet [51], die bei ca. zwei Drittel der Patienten nach Absetzen reversibel ist, aber auch dauerhafte und klinisch fatale Verläufe verursachen kann [124]. Ursächlich scheinen Off-target-Effekte von Dasatinib an SRC-Kinasen, die die Proliferation von glatten Gefäßmuskelzellen und Vasokonstriktion regulieren. Zusätzlich werden endothelschädigende Effekte über ROS diskutiert [51]. Therapeutika zur Behandlung der pulmonalarteriellen Hypertonie scheinen auch bei Dasatinib-induzierten Fällen zu wirken [145]. Nilotinib zeigt dosis- und zeitabhängig arterielle Gefäßverschlüsse in über 10 % bei 6‑jähriger Behandlung [71]. Die molekularen Mechanismen sind weitestgehend unklar. Aufgrund ungünstiger metabolischer Effekte mit Hyperglykämie und Hyperlipidämie und sekundär akzelerierter Atherosklerose werden eine Kontrolle der Fettstoffwechselparameter vor Therapie, und nach 3, 6 und alle 12 Monate sowie eine Kontrolle der Blutglukose empfohlen. Bei anderen Patienten treten die Veränderungen rasch ein und könnten durch experimentell nachweisbare direkte apoptotische und proatherogene Effekte auf vaskuläre Endothelzellen erklärbar sein. Klassische kardiovaskuläre Risikofaktoren erhöhen das Risiko vaskulärer Nebenwirkungen, und etablierte kardiologische Risikoscores wie SCORE können auch bei Patienten mit Nilotinib das Risiko für vaskuläre Ereignisse abschätzen [114]. Ponatinib als Inhibitor der 3. Generation und Multikinaseinhibitor hat dosisabhängig neben VEGFR-Inhibition-vermittelter Hypertension v. a. ein erhöhtes Risiko für vaskuläre thrombembolische Komplikationen mit schweren arteriellen thrombotischen Ereignissen bei über 20 % der Patienten [27]. Ponatinib erzeugt experimentell Mikroangiopathien [72] und einen prothrombogenen Zustand über die Aktivierung inflammatorischer Mediatoren wie TNF‑α, Interferon‑γ, Interleukin‑6 und P‑Selectin [54]. Wichtig ist, dass gerade für schwer therapierbare Formen der akuten lymphatischen Leukämie auch Kombinationstherapien empfohlen werden. Zum Beispiel erhöht sich die Effizienz von Dasatinib, wenn es mit M199 (Venetoclax), einem selektiven Inhibitor des B‑cell-lymphoma 2(BCL-2)-Proteins [79] oder noch zusätzlich mit Dexamethason [122] kombiniert wird. Analysen zur Wirkung solcher Kombinationstherapien auf das kardiovaskuläre System sind dringend notwendig.

BRAF- und MEK-Inhibitoren

Die Hemmung des Ras-Raf-MEK1-ERK1/2-Signalwegs kann zu einer Einschränkung der LV-Funktion, zu Blutdruckanstieg und zu einer Verlängerung der QTc führen. Vor allem unter einer Kombinationstherapie mit BRAF- und MEK-Inhibitor sind der Abfall der LVEF und das Auftreten von Hypertonie häufiger mit 8,1 % vs. 2 % und 19,5 % vs. 14 % verglichen mit BRAF-Monotherapie [93]. Für Cobimetinib wird ein Monitoring der LVEF nach 1 Monat und dann 3‑monatig empfohlen und bei Abfall der LVEF (<40 % oder 40–49 % und um ≥10 %) eine Therapiepause bzw. ein Absetzen (anhaltend <40 %) angeraten. Zugrunde liegende Mechanismen sind weitestgehend unklar. Ein Effekt des BRAF-MEK-Weges auf kardiovaskulär exprimierte MAP-Kinasen wird vermutet, die unter physiologischen Bedingungen kardioprotektive Effekte vermitteln und die Stickstoffmonoxidproduktion aktivieren.

ALK-Inhibitoren

Die elektrophysiologischen Effekte der ALK-Inhibitoren gehen auf direkte Effekte auf multiple kardiomyozytäre Ionenkanäle zurück [38, 150]. Klinisch werden v. a. Sinusbradykardien beobachtet, die meist milde oder sogar asymptomatisch verlaufen [107]. Die maximale Reduktion der Herzfrequenz unter Alectinib- und Crizotinib-Therapie lag durchschnittlich bei 13/min und 25/min und trat mehrere Wochen nach Therapiebeginn auf. Der stärkste Prädiktor für das Auftreten einer Sinusbradykardie unter Therapie war eine niedrigere Ausgangsherzfrequenz (<70/min). Symptomatische Bradykardien bessern sich nach Dosisreduktion der ALK-Inhibitoren.

Bruton-Kinase-Inhibitor

Unter Ibrutinib wurde eine Inzidenz für Vorhofflimmern von 3,3 % beschrieben. Realworld-Daten zeigen im ersten Jahr der Behandlung sogar eine kumulative Inzidenz von 7,5 % [147], was aufgrund des paroxysmalen Charakters von Vorhofflimmern, dem oft asymptomatischen Verlauf und der retrospektiven Analyse vermutlich unterschätzt wird. Tierexperimentell führt Ibrutinib zu strukturellem Remodelling und Störung der Kalziumhomöostase am Vorhofmyokard, was zur Ausbildung von Vorhofflimmern beitragen kann [62]. Sowohl die Bruton-Kinase als auch die „off-target“ beeinflusste Tec-Proteintyrosinkinase regulieren den Phosphoinositid 3-Kinase(PI3K)-Akt-Signalweg, der sowohl für Kardioprotektion wie auch kardiale Hypertrophie eine wichtige Rolle spielt und z. B. bei Patienten mit Vorhofflimmern herunterreguliert ist. Eine besondere Herausforderung stellt die Behandlung von Patienten mit Vorhofflimmern unter Ibrutinib dar, da es wegen seiner Metabolisierung über Zytochrom P4503A4 bei einer Komedikation mit Verapamil oder Amiodaron zu massiven Spiegelanstiegen von Ibrutinib kommen kann [43]. Umgekehrt steigen die Spiegel der direkten oralen Antikoagulanzien, v. a. des Thrombininhibitors Dabigatran, unter Ibrutinib an und erhöhen so das Blutungsrisiko. Unabhängig davon beeinflusst Ibrutinib verschiedene Thrombozytensignalwege und erhöht so grundsätzlich das Blutungsrisiko. Die Entscheidung zur Antikoagulation sollte deshalb individuell unter Berücksichtigung des Schlaganfall-, v. a. aber des Blutungsrisikos erfolgen.

HER2-Inhibitoren/EGF2-abhängige Therapeutika

Der monoklonale Antikörper Trastuzumab ist eines der ältesten zielgerichteten Therapeutika in der Onkologie und wird v. a. bei der Behandlung des Mammakarzinoms eingesetzt. Dementsprechend gibt es hierfür viel Erfahrung und im Gegensatz zu den meisten anderen Wirkstoffen konkrete Empfehlungen zum onkokardiologischen Management. Der Signalweg des epidermalen Wachstumsfaktor(EGF)-Rezeptors 2 spielt in Kardiomyozyten eine wichtige Rolle bei der Kompensation von Stress- oder Schädigungsreizen, indem kardioprotektive subzelluläre Mechanismen aus dem Bereich der Energiehomöostase, Kalziumregulation, Inotropie und Ultrastruktur aktiviert werden. Zusätzlich verursacht eine Inhibition des HER2-abhängigen Signalweges tierexperimentell kardiomyozytäre Apoptose [14]. Die bedeutendste klinische kardiovaskuläre Komplikation von EGF-abhängigen Therapeutika wie den Antikörpern Trastuzumab/Pertuzumab und dem dualen Kinaseinhibitor Lapatinib sind die LV-Dysfunktion und klinisch manifeste Herzinsuffizienz. Trastuzumab ist die Leitsubstanz der „Typ-2“-Kardiotoxizität, die in Abgrenzung zur Anthrazyklin-bedingten Typ-1-Kardiotoxizität als dosisunabhängig, meist reversibel und ohne Langzeiteffekte galt. Diese historische Einteilung gilt heute größtenteils als überholt, da sich die Toxizitätscharakteristika der beiden Substanzklassen deutlich überschneiden.

In den frühen Trastuzumab-Studien wurden Herzinsuffizienz und LV-Dysfunktion bei bis zu 30 % der Patienten beobachtet [126]. Aufgrund der verbesserten Patientenauswahl, optimierter Therapieregime und des kardialen Monitorings unter Therapie werden heute Ereignisraten von unter 10 % für Trastuzumab beobachtet [48] und niedrigere Raten bei Pertuzumab, Emtansin und Lapatinib [61]. Wichtigste Risikofaktoren für eine Trastuzumab-assoziierte Kardiotoxizität sind eine vorausgegangene oder synchrone Anthrazyklin-Therapie oder eine vorbestehende eingeschränkte LVEF [104]. Die Erholungsrate der Trastuzumab-assoziierten LV-Dysfunktion liegt bei ca. 80 % [148].

Für Trastuzumab und ähnlich für die anderen ERB2-Inhibitoren werden eine klinische Evaluation, EKG und eine Bestimmung der LVEF vor und alle 3 Monate unter Therapie sowie alle 6 Monate bis 2 Jahre nach Therapieende empfohlen. Bei einem Abfall der LVEF von 10 % oder mehr auf unterhalb von 50 % werden eine Pausierung der Therapie und Reevaluation nach 3 Wochen empfohlen. Dies deckt sich weitestgehend mit dem aktuellen Positionspapier der ESC, in dem allerdings bei einem Abfall der LVEF auf Werte zwischen 45 und 49 % noch eine Therapiefortführung unter einer Gabe von ACE-Hemmern als möglich erachtet wird. Letzteres wird unterstützt durch eine aktuelle Beobachtungsstudie, in der eine Therapie mit Trastuzumab oder Pertuzumab bei Patientinnen mit Mammakarzinom und leichter, asymptomatischer linksventrikulärer Dysfunktion (LVEF 40–49 %) unter einer Vorbehandlung mit ACE-Hemmer und β‑Blocker und kardiologischer Kontrolle in 90 % der Patienten ohne kardiovaskuläre Ereignisse durchgeführt werden konnte [83]. Die klinische und medizinökonomische Effektivität eines Monitorings überhaupt und bestimmter Monitoringintervalle wurde bisher nicht prospektiv evaluiert.

Eine primärpräventive, kardioprotektive Therapie wird aktuell kontrovers diskutiert [10] und im europäischen Positionspapier für nicht näher definierte Hochrisikopatienten empfohlen. Die größte randomisierte Studie an 468 Patienten mit Trastuzumab-Therapie fand einen signifikanten Vorteil einer präventiven ACE-Hemmer- und β‑Blocker-Behandlung im Vergleich zu Plazebo nur bei Patienten, die zusätzlich mit Anthrazyklinen behandelt wurden [50].

Tritt eine Herzinsuffizienz mit LV-Dysfunktion unter Trastuzumab auf, wird eine Behandlung entsprechend den kardiologischen Leitlinien für Herzinsuffizienz empfohlen.

VEGFR-Inhibitoren

Eine Inhibition des Signaltransduktionswegs des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktorrezeptors (VEGFR) wirkt über Angiogenesehemmung antitumorös und kann antikörpervermittelt auf Basis des Wachstumsfaktors oder des Rezeptors erfolgen oder über Inhibition nachgeschalteter Tyrosinkinasen. Die bedeutendste kardiovaskuläre Nebenwirkung aller VEGFR-Inhibitoren ist die Blutdrucksteigerung. Bei bis zu 80 % der behandelten Patienten wird eine Hypertonie beobachtet, die dosisabhängig und meist nach Absetzen der Therapie reversibel ist. Wenngleich der Blutdruckanstieg mit der antitumorösen Therapieeffektivität korreliert, beeinträchtigt umgekehrt eine medikamentöse Senkung des Blutdrucks nicht die Therapiewirkung auf den Tumor. Die Blutdrucksteigerung wird über eine Hemmung vasodilatierender Faktoren wie Stickstoffmonoxid und Prostaglandinen und eine Steigerung von vasokonstriktorischen Faktoren wie Endothelin sowie über eine Reduktion der Kapillargefäßdichte vermittelt [37]. Aufgrund der raschen Blutdrucksteigerung nach Therapiebeginn mit VEGFR-Inhibitoren und fehlender Adaptationsmechanismen ist sekundär das Risiko für vaskuläre Ereignisse wie Schlaganfall oder Myokardinfarkt erhöht. LV-Funktionsstörungen und Herzinsuffizienz traten in randomisierten Studien mit VEGFR-Inhibitoren in 2,4 % auf [46], wobei die Rate in der klinischen Routine höher zu sein scheint [102]. Neben direkten kardiotoxischen Effekten der VEGF-Inhibitoren begünstigt die Hypertension die Ausbildung der LV-Dysfunktion, die zumindest zum Teil reversibel zu sein scheint. Der QTc verlängernde Effekt variiert sehr stark zwischen den VEGFR-Inhibitoren und scheint auf direkten Effekten auf myokardiale Kaliumkanäle zu beruhen [65].

Vor Beginn einer VEGFR-Inhibitor-Behandlung sollte im Rahmen der kardiovaskulären Basiserhebung besonders auf eine optimale Blutdruckeinstellung geachtet werden. Als mögliches Monitoringregime wurden von dem National Cancer Institute Blutdruckkontrollen während des ersten Zyklus wöchentlich und im Anschluss alle 2 bis 3 Wochen vorgeschlagen [129]. Die Behandlung der Hypertonie erfolgt grundsätzlich gemäß den entsprechenden kardiologischen Leitlinienempfehlungen. Aufgrund von Interaktionen der meisten VEGFR-Inhibitoren mit Zytochrom P450 3A4 sollten Dihydropyridin-Kalziumantagonisten vermieden werden. Diuretika haben das Risiko eines Elektrolytverlustes, was eine QTc-Verlängerung begünstigen kann, und sind deshalb nur mit Vorsicht einzusetzen. Mittel der ersten Wahl sind ACE-Hemmer/AT1-Inhibitoren, β‑Blocker und Nicht-Dihydropyridin-Kalziumantagonisten. Bei Behandlungsregimen mit therapiefreien Intervallen muss auf eine Reboundhypotension geachtet werden und die antihypertensive Therapie ggf. angepasst werden. Evidenz bezüglich eines routinemäßigen Screenings auf LV-Dysfunktion gibt es bislang nicht. Eine konkrete Monitoringempfehlung der QTc besteht nach Fachinformation bislang nur für Vandetanib, wo ein Ausgangs-EKG und EKG- und Elektrolytkontrollen nach 1, 3, 6 und 12 Wochen sowie dann alle 3 Monate empfohlen werden. Eine Ausgangs QTc von mehr als 480 ms ist eine Kontraindikation für Vandetanib.

Neue hämatologische Therapien

Zu den neueren hämatologischen Therapien zählen immunmodulatorische Medikamente, Antikörpertherapien (CD38-Antikörper, CD20-Antikörper, CD79b-Antikörper, CD30-Antikörper, Slam-F7-Antikörper, CD22-Antikörper, CD3/19-Antikörper) sowie Hedgehog-Signalweginhibitoren und PI3K-Inhibitoren (Tab. 4). Der folgende Abschnitt fokussiert auf hämatologische Medikamente aus den Gruppen der Proteasominhibitoren, der Histon-Deacetylase(HDAC)-Inhibitoren sowie der immunmodulatorischen Medikamente, da diesbezüglich spezifische kardiale Nebenwirkungen berichtet wurden und ein Hinweis zur Diagnostik und Therapie gegeben werden kann. Bei den anderen neueren hämatologischen Therapien müssen umfangreichere Analysen abgewartet werden, bevor eine Beurteilung potenziell kardiotoxischer Effekte erfolgen kann.

Tab. 4 Überblick über neue hämatologische Medikamente, Indikation sowie aus klinischer/kardiologischer Perspektive die häufigste potenzielle kardiale Nebenwirkung

Proteasominhibitoren

Neben reversiblen Inhibitoren des Proteasoms (beispielsweise das Bortezomib) wurden irreversible Inhibitoren mit deutlich verlängerter und verbesserter Wirkung am Proteasom entwickelt (beispielsweise Carfilzomib) [55]. Carfilzomib hat sich als eine Option in der Zweitlinientherapie des multiplen Myeloms etabliert [36, 131]. In den Zulassungs- und Toxizitätsstudien zeigen die irreversiblen Inhibitoren schon nach kurzer Zeit eine fast komplette Inhibition der Proteasomaktivität in Kardiomyozyten. Zudem wurde bei allen getesteten Dosierungen im präklinischen Modell eine Inflammation im Herzen histologisch nachgewiesen. Eine Reduktion der LVEF wurde bereits im Rahmen präklinischer Studien berichtet [103].

Klinische Datenlage

Irreversible Proteasominhibition ist mit einer erhöhten Rate von kardiovaskulären Ereignissen, insbesondere Herzinsuffizienz verbunden. In der bisher größten klinischen Studie traten bei 22 % der Patienten kardiale Nebenwirkungen auf (Arrhythmien, meist Vorhofflimmern [13,3 %]; Herzinsuffizienz [7,2 %]; behandlungsassoziierte Kardiomyopathie [2 %]; myokardiale Ischämien [3 %]) [125]. In Metaanalysen der klinischen Phase-I- bis -III-Studien werden arterielle Hypertonie (5,9 %), Dyspnoe (4,5 %) und das Auftreten einer Herzinsuffizienz mit Grad 3 oder höher (4,4 %) berichtet. In den retrospektiven Untersuchungen ergab sich kein sicherer Einfluss auf die Mortalität [22]. Bei isolierter Betrachtung von Patienten mit kardiovaskulären Ereignissen unter Bortezomib- oder Carfilzomib-Therapie waren die klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren nicht mit einer erhöhten Rate von Ereignissen vergesellschaftet, sodass bisher keine sichere Risikostratifizierung möglich scheint.

Prospektiv muss man mit einem Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse von ca. 65 % rechnen (55 % Grad 3 oder höher) [26]. In der Gruppe der Carfilzomib-behandelten Patienten zeigten sich bei 41 % Symptome einer Herzinsuffizienz, bei 20 % Grad 3 oder 4 [26].

Ungefähr 86 % der kardialen Nebenwirkungen traten während der ersten 3 Monate der Therapie auf, was sich auch mit den Ergebnissen der übrigen klinischen Studien deckt. NT-proBNP bzw. BNP-Erhöhungen (über ein Level von 125 pg/ml bzw. 100 pg/ml) waren ein prognostischer Marker für das Auftreten von Ereignissen. Stattgehabte Bestrahlung oder eine vorangegangene Anthrazyklin-Therapie erhöhen das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, eine sichere Risikostratifizierung mittels NT-proBNP oder Echokardiographie erscheint aber nicht möglich [31, 118].

Empfehlung zur Kardiotoxizität

Patienten mit eingeschränkter LVEF oder Vorhofflimmern sollten engmaschig betreut werden. Kardiale Biomarker (insbesondere Troponin) haben wahrscheinlich einen prädiktiven Wert, erhöhte Werte sollten ebenfalls eine engmaschigere Betreuung zur Folge haben [91]. Eine Beurteilung erfolgt gemäß den Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der Herzinsuffizienz der ESC [111].

Insbesondere während der ersten 3 Monate scheinen sich kardiovaskuläre Nebenwirkungen zu manifestieren, sodass Patienten mit erhöhtem Risiko (kardiale Vorerkrankung, umfangreiche stattgehabte onkologische Therapien) innerhalb der ersten 3 Monate nach Initialisierung einer Therapie kardiologisch betreut werden sollten.

Vorgehensweise bei vermuteter Kardiotoxizität

Bei Verdacht auf eine Carfilzomib-assoziierte Reduktion der LVEF sollte die Therapie zunächst unterbrochen werden und eine Herzinsuffizienztherapie gemäß den Leitlinien der ESC initialisiert werden [111].

Im weiteren Verlauf kann unter einer strengen Kontrolle der kardialen Biomarker und der LVEF eine erneute Therapie mittels Carfilzomib, ggf. in reduzierter Dosierung versucht werden [111].

Histondeazetylasen(HDAC)-Inhibitoren

HDAC-Inhibitoren wirken durch Bindung und Inhibition der Deazetylase-Domäne von Histon-modifizierenden Proteinen. Die aktuell zugelassenen Medikamente gehören zu den Pan-Inhibitoren und sind a. e. unspezifische Inhibitoren mit geringer Affinität zu bestimmten HDACs. Die pharmakologische Inhibition der HDACs führt aber nicht nur zu einer Modifikation des Epigenoms, vielmehr gibt es zahlreiche nichtnukleäre Zielproteine der HDACs, sodass die Wirkung nicht ausschließlich auf eine transkriptionelle Modifikation beschränkt ist. Unter den zahlreichen HDAC-Inhibitoren sind bisher nur wenige zur klinischen Anwendung in onkologischen Therapien zugelassen. Vorinostat ist zur Behandlung des refraktären und fortgeschrittenen kutanen T‑Zell-Lymphoms zugelassen, Panobinostat zur Behandlung des refraktären und/oder rezidivierenden multiplen Myeloms nach mindestens 2 vorausgegangenen Therapien.

In den initialen klinischen Studien mit HDAC-Inhibitoren gab es Berichte von supraventrikulären Arrhythmien [123, 134]. Veränderungen der LVEF oder erhöhte kardiale Biomarker zeigten sich nicht.

Aufgrund der vorliegenden Daten stehen bei HDAC-Inhibitoren die potenziellen proarrhythmogenen Effekte im Vordergrund. Zu den frühen Zeichen von EKG-Veränderungen gehören T‑Negativierung sowie QTc-Verlängerungen [134]. Bei Letzteren sollte unter der Therapie eine Normalisierung bis zur Weiterführung abgewartet werden sowie eine Kontrolle der Elektrolytwerte erfolgen. Eine Komedikation mit potenziell QTc verlängernden Medikamenten sollte vermieden werden. Präklinische Daten weisen bezüglich kardialer Fibrose und bezüglich der linksventrikulären Pumpfunktion auf potenziell kardioprotektive Mechanismen hin [76].

Immunmodulatorische Medikamente

Die Klasse der immunmodulatorischen Medikamente wirken über mehrere molekulare Mechanismen (Stimulation von T‑Zellen, Hemmung der Proliferation hämatopoetische Zellen, Antiangiogenese) an Tumorzellen. Eine Hochregulation von TNF‑α wird neben einer veränderten Ausschüttung endothelialer Botenstoffe mit einer erhöhten Neigung zu Thrombosen in Verbindung gebracht. Die beiden am häufigsten eingesetzten Wirkstoffe sind Lenalidomid und Pomalidomid, sie leiten sich strukturell von Thalidomid ab.

In den größeren Studien zeigen sich v. a. eine Häufung thrombembolischer Ereignisse sowie Überleitungsstörungen [42, 66]. Die genaue Häufigkeit der Ereignisse unter Therapie mit immunmodulatorischen Medikamente ist unklar und schwankt je nach Berichten der klinischen Studien stark [74]. Das Auftreten einer Thrombose oder eines thrombembolischen Ereignisses muss als mögliche Nebenwirkung bei bis zu 23 % der Patienten erwartet werden, insbesondere unter Kotherapie mit Erythropoietin [35, 66]. Von einer Herzinsuffizienz wird bei bis zu 4 %, von einer arteriellen Hypertonie bei bis zu 6,9 % der Patienten berichtet [74]. Im Vergleich zur Behandlung mit Bortezomib zeigt sich bei Patienten mit multiplem Myelom und Lenalidomid-Therapie allerdings keine weitere Steigerung kardiovaskulärer Ereignisse [115]. Neben den thrombembolischen Ereignissen werden gehäuft Sinusbradykardien sowie Vorhofflimmern berichtet [40]. Sinusbradykardien treten unabhängig von sonstigen EKG-Veränderungen bzw. Verlängerungen der Überleitungszeiten auf. Gegebenenfalls sollte eine zusätzliche bradykardisierende Medikation reduziert bzw. nur nach erneuter Kontrolle der Herzfrequenz initialisiert werden.

Aufgrund der deutlichen Häufung thrombembolischer Komplikationen einer immunmodulatorischen Therapie (Thalidomid und Lenalidomid) wird die prophylaktische Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern (Aspirin 100 mg) bei Patienten ohne Risikofaktoren für eine Thrombose und eine Gabe von Heparin bzw. Marcumar bei zusätzlichem Thromboserisiko, vom Europäischen Myelom-Netzwerk sowie von der Europäischen Gesellschaft für medizinische Onkologie (ESMO) empfohlen [95, 139]. Die Entscheidung über die Maßnahme sollte individuell angepasst sein (mögliche Kontraindikationen für eine Antikoagulation bzw. Thrombozytenaggregationshemmung). Die Patienten sind zudem anzuweisen, auf klinische Symptome einer möglichen Thrombose zu achten und thromboseförderndes Verhalten einzuschränken (z. B. Rauchen). Unter der zusätzlichen Gabe von Erythropoietin ist das Thromboserisiko weiter erhöht.

CAR-T-Zelltherapien

Auch bei den neu etablierten CAR-T-Zelltherapien scheint ein fokussiertes kardiales Monitoring indiziert zu sein. Obwohl bislang keine Daten aus größeren multizentrischen Erhebungen zur Verfügung stehen und die Inzidenz kardialer Nebenwirkungen im Rahmen dieses Therapieansatzes noch nicht näher definiert ist, berichten einzelne onkokardiologische Arbeitsgruppen über kardiale Nebenwirkungen als möglichen On-target/off-tumor-Effekt der CAR-T-Zelltherapie.

In Analogie zu den bekannten Nebenwirkungen wie „cytokine release syndrome“ (CRS) oder „immune effector cell-associated neurotoxicity syndrome“ (ICANS) sollte die Entwicklung eines bislang nicht beschriebenen „immune effector cell-associated cardiotoxicity syndrome“ (OCACS) in das potenzielle Nebenwirkungsspektrum einbezogen werden.

Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter und ihre Spätfolgen

Grundlagen

Onkologische Erkrankungen treten mit einer Inzidenz von 16,8 pro 100.000 bei Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren auf. Das bedeutet in Deutschland 1800 bis 2000 Neuerkrankungen pro Jahr in dieser Altersgruppe. Die akuten Leukämien sind mit 34 % die häufigste Erkrankung, gefolgt von Hirntumoren mit 22 % und Lymphomen mit 12 %.

Durch die Erfolge in der Optimierung der Therapie überleben 83 % der pädiatrischen Patienten mindestens 10 Jahre und erreichen das Erwachsenenalter. Damit erhöht sich die Zahl der Langzeitüberlebenden um ca. 1500 Patienten jährlich. Derzeit leben in Deutschland mehr als 30.000 erwachsene Menschen nach durchgemachter onkologischer Erkrankung im Kindesalter.

Bei 60–70 % der ehemaligen jugendlichen Patienten werden Spätfolgen berichtet [105]. Dies sind Kardiomyopathien, aber auch Hörverluste, eingeschränkte Nierenfunktion, endokrine Störungen und Infertilität, Zweitmalignome, neuropsychologische Störungen. Außer der Sorge um eine erneute Tumorerkrankung spielt die Kardiotoxizität für die Prognose eine wichtige Rolle. Die wahrscheinlichste, weil häufigste kardiale Noxe ist dabei die Anthrazyklin-Gabe. Bestrahlung mit dem Thorax im Strahlenfeld ist ebenso von erheblicher Bedeutung. Etwa 60 % der Patienten mit einer onkologischen Erkrankung erhalten Anthrazykline und/oder Bestrahlung. Auch neuere Medikamente wie Tyrosinkinaseinhibitoren kommen in der Pädiatrie in den Fokus der Therapie und werden damit Kandidaten für Nebenwirkungen.

Die Besonderheiten der pädiatrischen Population sind für die Nachsorge im Erwachsenenalter von Bedeutung. Im ESC-Statement [149] wird diese Gruppe an 2 Stellen erwähnt: Zum einen erfolgt die Einordnung in die Gruppe mit erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Probleme, zum anderen wird die Notwendigkeit einer lebenslangen Nachsorge konstatiert, da das erhöhte kardiovaskuläre Risiko mindestens 45 Jahre nach Behandlung der onkologischen Erkrankung besteht [94].

Kardiovaskuläre Belastung nach Therapie im Kindes- und Jugendalter

Folgeprobleme bei onkologischer Erkrankung im Kindesalter sind krankheits- und therapiebedingt zu erwarten. Hauptrisiken für das Herz stellen die Therapie mit Anthrazyklinen und/oder thorakale Bestrahlung dar. Anthrazykline werden unter anderem bei akuten Leukämien, Lymphomen und Knochentumoren eingesetzt [81].

Als Risikofaktoren für Kardiotoxizität durch Anthrazykline im Kindesalter werden genannt:

  • hohe kumulative Anthrazyklin-Dosis,

  • hohe Einzeldosis,

  • Bolusgabe

  • kardiale Vorerkrankungen,

  • zusätzliche Bestrahlung,

  • junges Alter.

Die Herzinsuffizienz als Spätfolge ist dabei in der Regel mit einer schlechten Prognose verbunden und für die Hälfte der frühzeitigen Todesfälle von Patienten mit pädiatrischen Tumorerkrankungen verantwortlich [19]. Sicher gibt es auch individuelle, genetisch determinierte Toleranz für chemotherapeutisch eingesetzte Medikamente. Varianten im Gen CUGBP Elav-like family member 4 (CELF4) prädisponieren beispielsweise für einen kardialen Schaden nach Anthrazyklin-haltiger Chemotherapie. Versuche an humanen Kardiomyozyten, welche aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSC-CM) verschiedener Patienten gewonnen wurden, zeigten außerdem, dass individuelle Unterschiede in Bezug auf die Chemotherapeutikatoleranz in iPSC-CM experimentell reproduziert werden konnten [15]. Zur Beurteilung des persönlichen Risikos einzelner Patienten für kardiotoxische Spätfolgen einer onkologischen Behandlung müssen auch individuelle Unterschiede in der Lebensweise, respektive individuelle Lebensereignisse berücksichtigt werden [23].

Es gibt Hinweise darauf, dass eine Schwangerschaft nach einer malignen Erkrankung in der Kindheit und stattgehabter Chemotherapie tatsächlich ein Risiko für die peripartale Kardiomyopathie darstellen könnte [109, 116].

Unterschiede gibt es in der Häufigkeit und Art der kardiologischen Untersuchung und Nachsorge. Van der Pal et al. [143] untersuchten 525 Personen aus einer Gruppe von 601 Langzeitüberlebenden nach einem festen Protokoll. Die echokardiographische Untersuchung bestand im Wesentlichen aus einem Standard-M-Mode. Sie fanden bei 27 % eine subklinische Dysfunktion, definiert als eine LVEF <30 %. Risikofaktoren waren die Anthrazyklin-Dosis, zusätzliche Bestrahlung und das junge Alter.

Im Rahmen der Standardnachsorge sind andere Verfahren wie 3‑D-EF, „strain“ sowie die Messung der diastolischen Funktion noch nicht fest etabliert. Gerade diese Methoden scheinen einen frühen Zeitpunkt der kardialen Dysfunktion zu detektieren [8].

Transition und Aspekte der lebenslangen Nachsorge

Da kardiale Probleme nach onkologischer Therapie in der Kindheit sich Jahrzehnte später zeigen können, sind eine gute Dokumentation der stattgehabten Therapie und eine langfristig angelegte Nachsorge zu fordern. Wichtig ist es dabei ein Transitionskonzept und evidenzbasierte Screeningprotokolle zu entwickeln [142]. Die kardiologische Nachsorge sollte 12 Monate nach Therapieende beginnen und lebenslang mindestens alle 5 Jahre erfolgen [4]. Besonders betreut werden müssen Schwangere. Überlebende der onkologischen Therapie sollten vor und zu Beginn einer Schwangerschaft kardiologisch abgeklärt werden [109].

Ziel der Initiativen in der Kinderheilkunde wird sein, die Patienten mit den nötigen Informationen in die Transition zu schicken und Vorschläge zur Nachsorge zu machen. Vorher ist es erforderlich, diese Patienten nach einem Standardprotokoll zu untersuchen.

Präventionsstrategien sind zu entwickeln, dies muss schon im Rahmen der initialen Therapie beginnen.

Zusammenfassend ist mit einer wachsenden Zahl von Personen zu rechnen, die mit jahrelanger Latenz nach durchgemachter Tumorerkrankung im Kindesalter kardiovaskulär krank werden. Sie müssen mit Informationen ausgestattet sein, die Krankheit, Art und Ausmaß der Therapie beinhalten.

Survivorship-Programme

Neben der kardiologischen Vorstellung vor Beginn einer potenziell kardiotoxischen onkologischen Behandlung und der regelmäßigen Untersuchung während der Krebstherapie ist die langfristige kardioonkologische Betreuung von Langzeitüberlebenden die dritte Säule der notwendigen Maßnahmen zur Verhinderung oder Reduktion von kardiovaskulären Folgen der Krebstherapie. Mit zunehmenden Erfolgen der Krebstherapie wächst auch die Gruppe der Langzeitüberlebenden, die im Kindesalter oder als Erwachsene kardiotoxischen Therapieverfahren wie hohen Anthrazyklin-Dosen oder aggressiven Bestrahlungsprotokollen ausgesetzt waren [86, 149]. Im Bereich der pädiatrischen Onkologie werden bereits ca. 33.000 geheilte ehemalige krebskranke Kinder und Jugendliche in einer Langzeitbeobachtung über das Deutsche Kinderkrebsregister (DKKR) bundesweit erfasst. Langzeitergebnisse liegen für die meisten onkologischen und hämatologischen Therapien noch nicht ausreichend vor, sodass nur eine Empfehlung bei Patienten nach Bestrahlung bzw. stattgehabter Anthrazyklin-Therapie abgegeben werden kann.

Auch wenn die Entwicklung neuer schwerer kardialer Funktionsstörungen nach Beendigung einer Anthrazyklin-Therapie selten ist und zumindest bei Brustkrebspatientinnen die kardiovaskuläre Mortalität nicht erhöht erscheint [33, 146], wurde die Entwicklung einer Herzinsuffizienz auch viele Jahre nach Exposition mit Anthrazyklinen beobachtet [56, 130, 137]. Ebenso können sich Folgen einer mediastinalen Strahlentherapie erst nach vielen Jahren bzw. Jahrzehnten manifestieren und umfassen Klappenschäden, Veränderungen kleiner und großer Gefäße, Rhythmusstörungen sowie Myokard- und Perikarderkrankungen bis hin zur restriktiven Kardiomyopathie [34, 77]. Bei allen Patienten, die potenziell kardiotoxischen Therapien ausgesetzt wurden, sollte daher nach Abschluss der Krebstherapie sowie bei regelmäßigen Verlaufskontrollen eine sorgfältige klinische Untersuchung einschließlich EKG durchgeführt werden (Tab. 5 und 6). Auf die Notwendigkeit der Kontrolle von kardiovaskulären Risikofaktoren sollte hingewiesen werden sowie eine Sensibilisierung für die Möglichkeit der Entwicklung kardiovaskulärer Folgeerkrankungen und eine Aufklärung über entsprechende Symptome erfolgen.

Tab. 5 Kardiale Kontrollen bei ehemals krebskranken Kindern und Jugendlichen in Abhängigkeit von der vorausgegangenen Therapie. (Nach [4, 24])
Tab. 6 Kardiovaskuläre Kontrollen bei asymptomatischen Überlebenden nach Krebstherapie im Erwachsenenalter. (Mod. nach [5, 19, 110])

Nachbeobachtung nach Anthrazyklin-Therapie

Da bereits geringe Anthrazyklin-Dosen mit einer Herzinsuffizienz oder zumindest subklinischen kardiovaskulären Folgen assoziiert sind und das Risiko für die Entwicklung einer Herzinsuffizienz mit weiteren Risikofaktoren zunimmt [12, 98, 144], sollte auch bei asymptomatischen Patienten nach geringen Anthrazyklin-Dosen im Rahmen der kardiologischen Kontrolluntersuchung eine Echokardiographie durchgeführt werden (Tab. 5 und 6). Eine Ausnahme erscheint nur bei Patienten vertretbar, die niedrige Anthrazyklin-Dosen im Erwachsenenalter erhalten haben und keine zusätzlichen Risikofaktoren aufweisen (Tab. 6; [5]). Diese Empfehlungen stehen im Einklang mit einem aktuellen Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft „Langzeitbeobachtung“ der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) [70] und den Empfehlungen der International Late Effects of Childhood Cancer Guideline Harmonization Group [4], welche bei Patienten mit Therapie im Kindes- oder Jugendalter eine Risikostratifizierung in Abhängigkeit der Anthrazyklin-Dosis sowie regelmäßige Echokardiographien und EKGs zur Erkennung einer Kardiomyopathie empfehlen. Zur Risikostratifizierung in dieser Patientengruppe kann auch folgendes Online-Tool verwendet werden: https://ccss.stjude.org/tools-and-documents/calculators-and-other-tools/ccss-cardiovascular-risk-calculator.html.

Für die im Erwachsenenalter therapierten Patientinnen und Patienten wurden vielerorts Programme zur kardiologischen Langzeitkontrolle initiiert. Ein Vorschlag zur Langzeitüberwachung nach Anthrazyklin- bzw. Trastuzumab-Gabe findet sich in Tab. 6 und basiert auf den Empfehlungen der ASCO [5]. Bei asymptomatischen Patienten sollten initial engmaschige echokardiographische Kontrollen erfolgen aufgrund des in der Regel frühen Neuauftretens kardialer Komplikationen [5, 19]. Im Verlauf sind Echokardiographien seltener erforderlich, wodurch eine unnötige Beunruhigung durch übermäßige Kontrollen vermieden werden kann. Da bei der Echokardiographie neben einer Einschränkung der LVEF auch diastolische Funktionsstörungen, Klappenvitien oder eine Erhöhung des pulmonalarteriellen Druckes gut detektiert werden können, ist eine sorgfältige Untersuchung unabdingbar [110, 149]. Strain-Analysen haben ein hohes Potenzial zukünftig ein echokardiographischer Routineparameter zu werden. Aktuell kann allerdings nur im Einzelfall eine Einbeziehung insbesondere bei longitudinalen Betrachtungen erwogen werden. Alternativ zur Echokardiographie kann z. B. bei eingeschränkten Schallbedingungen auch ein kardiales MRT erfolgen. Während der Nachweis einer eingeschränkten LVEF die Initiierung einer Herzinsuffizienztherapie auch bei asymptomatischen Patienten zur Folge haben sollte, ist der Stellenwert von Veränderungen im kardialen MRT, wie z. B. „late Gadolinium enhancement“, noch nicht geklärt [82, 117]. Ebenso ist die prognostische Bedeutung von Biomarkern bei asymptomatischen Langzeitüberlebenden einer Krebserkrankung unklar [5]. Somit bedarf es weiterer Studien vor einem Einsatz zum routinemäßigen Screening auf eine Herzinsuffizienz. Bei Nachweis einer Herzinsuffizienz sollte die Therapie basierend auf den ESC-Empfehlungen erfolgen [111], da es für die Einleitung einer Herzinsuffizienztherapie speziell für Langzeitüberlebende einer Krebserkrankung keine breite Datenbasis gibt. In besonderen Situationen, wie z. B. einer Schwangerschaft, sollte bei allen Patientinnen mit vorausgegangener Anthrazyklin-Therapie eine kardiologische Kontrolle erfolgen, da der erhöhte metabolische Bedarf ggf. zur Progredienz einer subklinischen Herzinsuffizienz führen kann.

Nachbeobachtung bei Radiotherapie

Auch wenn Fortschritte der Strahlentherapie eine steigende Präzision des Strahlenfeldes ermöglichen, sind mediastinale Bestrahlungen in manchen Fällen unvermeidlich. Strahlenbedingte Sklerosierungen oder Insuffizienzen der Klappen (insbesondere der Aortenklappe) fallen im Rahmen der regelmäßigen echokardiographischen Kontrollen auf, die gemäß einer Empfehlung der European Association of Cardiovascular Imaging/American Society of Echocardiography (EACVI/ASE) dann jährlich im Verlauf kontrolliert werden sollten [68]. Bei asymptomatischen Patienten nach Strahlentherapie, bei der das Herz einbezogen ist, ist nach EACVI/ASE ein 5‑jähriges Kontrollintervall ausreichend (Tab. 5 und 6; [68]).

Vaskuläre Veränderungen können auch außerhalb des Bestrahlungsfeldes auftreten und häufig verborgen bleiben bzw. sich durch eine kardiale Ischämie oder Schlaganfall äußern [25]. Insbesondere bei Langzeitüberlebenden einer zervikalen Strahlentherapie sollten regelmäßige Ultraschallkontrollen der extrakraniellen hirnversorgenden Gefäße erfolgen, um atherosklerotische Veränderungen zu erkennen, da bei Strahlentherapie von Kopf-Hals-Tumoren die Inzidenz einer Karotisstenose von 18–38 % im Vergleich zu 0–9,2 % bei nicht bestrahlten Patienten zunimmt. Konsequenzen hieraus bestehen in einer intensivierten Kontrolle kardialer Risikofaktoren und bei hochgradiger Karotisstenose auch der Diskussion einer Stentangioplastie oder Operation.

Onkologische Kardiologie-Teams

Struktur

Die Empfehlungen zur Struktur und zum Aufbau einer spezifischen onkokardiologischen Gruppe basieren auf den publizierten Daten aus onkokardiologischen Einrichtungen und den aktuellen Empfehlungen der ESC [41, 69, 108]. Eingebettet ist das onkokardiologische Team in die lokal vorgehaltene kardiologische Struktur und bedient sich deren kardiologischer Diagnostik. Die Größe und Zusammensetzung der onkokardiologischen Teams richtet sich zudem nach den regionalen Bedürfnissen. Entscheidend sind zum einen die Standortgröße mit dem zu erwartenden Patientenaufkommen, zum anderen die etablierten Schwerpunkte der hämatologischen bzw. onkologischen Krankenversorgung, die einer entsprechenden Anpassung der onkokardiologischen Versorgung bedürfen (Tab. 7; [28, 69, 108]).

Tab. 7 Empfehlung zur Implementierung einer onkokardiologischen Struktur auf der Basis des aktuellen Berichtes der Arbeitsgruppe Cardio-oncology der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) [69]

Abstimmung der Patientenwege

Die diversen onkologischen Therapien basieren auf unterschiedlichen zeitlichen Abfolgen, denen sich die onkokardiologische Mitbetreuung anpassen muss. Dies ist entsprechend den lokalen Vorbedingungen zu adaptieren und kann einen Schwerpunkt im ambulanten und/oder stationären Bereich bilden. Eine Vorstellung von Patienten in der Onkokardiologie sollte bei bestimmten Patientengruppen bzw. geplanten Therapien in Abstimmung mit dem behandelnden Onkologen als standardisiertes Vorgehen etabliert werden [149].

Basisstruktur

Grundsätzlich sollte die Voraussetzung zur Anamneseerhebung, zu der Durchführung einer körperlichen Untersuchung sowie eines EKGs vorhanden sein [69]. An bildgebender Diagnostik sollte die Durchführbarkeit einer Echokardiographie mit Strain-Analyse (ggf. 3‑D-Strain) als Basisbetreuung onkologischer Patienten geschaffen sein [110]. Eine Labordiagnostik, insbesondere zur Bestimmung kardialer Serumparameter (Troponin, BNP, NT-proBNP), sollte zur Verfügung stehen. Eine weiterführende kardiologische Diagnostik erfolgt im regionalen Verbund mit größeren Krankenhäusern oder spezialisierten Einrichtungen (beispielsweise eine universitäre Sektion Onkokardiologie). Apparative onkokardiologische Basisversorgung beinhaltet demnach:

  • EKG,

  • 24-h-EKG,

  • Echokardiographie ggf. 3‑D-LVEF, Strain und ggf. auch 3‑D-Strain,

  • Labordiagnostik einschließlich kardialer Serumparameter.

Zentrumsstrukturen (Maximalversorger)

Eine weiterführende kardiale Diagnostik erfordert die diagnostischen und therapeutischen Voraussetzungen, wie sie in einem Haus der kardiologischen Maximalversorgung vorliegen. Hierzu gehören neben den Gegebenheiten der Basisversorgung Onkokardiologie:

  • kardiales MRT,

  • CT,

  • Rechtsherzkatheter,

  • Linksherzkatheter mit Möglichkeit zur Koronarintervention und Myokardbiopsie,

  • PET-CT (bisher nur in Studien),

  • ggf. Möglichkeiten zur diagnostischen und therapeutischen elektrophysiologischen Untersuchung (EPU),

  • Device-Therapien.

Um interdisziplinäre onkokardiologische Fragestellungen zu beantworten, bedarf es einer regelmäßigen Abstimmung mit dem behandelnden Hämatologen bzw. Onkologen. Dies kann konsiliarisch im Rahmen bereits bestehender Tumor-Boards erfolgen oder unabhängig davon, beispielsweise im Rahmen regelmäßig stattfindender onkokardiologischer Konferenzen.

Zur standardisierten Wiedervorstellung von Patienten (beispielsweise nach neoadjuvanter zytostatischer Therapie oder kurzfristig nach Initialisierung einer Immuncheckpoint-Inhibitor-Therapie) sollten interne Abläufe gemäß dem aktuellen Positionspapier sowie dem Positionspapier der ESC festgelegt werden [149].

Bei spezialisierten sind ist zudem eine Weiterbildung von ärztlichem und nichtärztlichem Personal (beispielsweise als Teil eines Heart-Nurse-Kurses) sowie strukturierte Informationsweitergabe an Patienten (beispielsweise Informationsabende) empfohlen.

Bei sehr hohem Patientenaufkommen kann ein spezifischer onkokardiologischer Konsildienst etabliert werden, der im Rahmen bereits erhobener kardialer Befunde eine beratende Funktion übernimmt.

Ausbildung

Im Curriculum „Allgemeine Kardiologie“ sind die Punkte zur onkokardiologischen Ausbildung im Abschnitt „Beruflich-professionelles Verhalten 12“ wie folgt hinterlegt: Beratung des Onkologen hinsichtlich möglicher Einschränkungen der geplanten Tumorbehandlung aufgrund vorbestehender Herzerkrankungen sowie in den theoretischen Kenntnissen: Kenntnisse der Nebenwirkungen der medikamentösen, strahlentherapeutischen und chirurgischen Behandlung am Herzen. Als praktische Fertigkeiten ist Level III im Bereich Echokardiographie gefordert (höchste Ausbildungsstufe).

Die Ausbildung zur spezifischen onkokardiologischen Diagnostik und Therapie erfolgt im Rahmen der kardiologischen Weiterbildung und ist in wesentlichen Teilen dort implementiert.

Eine Rotation auf eine Station mit hämatologischem oder onkologischem Schwerpunkt im Rahmen der kardiologischen Facharztausbildung ist für eine spätere, weiterführende onkokardiologische Mitbetreuung von Patienten bei Spezialisierung in onkokardiologischen Sektionen/Teams wünschenswert.

Essenziell sind die Beurteilung des kardiologischen Risikoprofils für kardiovaskuläre Erkrankungen sowie die Diagnostik und Therapie kardialer Komplikationen während bzw. nach onkologischer Therapie.

Dies beinhaltet:

  • Einschränkung der LVEF,

  • KHK,

  • Arrhythmien,

  • arterielle Hypertonie,

  • pAVK,

  • pulmonalarterielle Hypertonie,

  • Myokarditis,

  • Perikarditis.

Die aufgelisteten Erkrankungen können sowohl als Folge der onkologischen Therapie als auch eines überlappenden Risikoprofils auftreten.

Es ist zudem sinnvoll, eine Einschätzung des spezifischen kardialen Risikos bestimmter onkologischer Therapien (beispielsweise die Diagnostik und Therapie von Immuncheckpoint-Inhibitor-induzierter Myokarditis oder die Diagnostik und Therapie der pulmonalen Hypertonie bei der Verwendung von Alkylanzien) im Rahmen einer strukturierten Weiterbildung gesondert zu behandeln [69, 106, 113, 120].

Als Teile einer strukturierten Weiterbildung sollten zudem Basiskenntnisse auf dem Gebiet der Onkologie und Hämatologie vermittelt werden, v. a. Grundlagen zur Therapieentscheidung und zu Therapiemöglichkeiten sowie die genaue Nomenklatur [69].

Eine Forderung nach einer spezialisierten Weiterbildung Onkokardiologie mit verschiedenen Ausbildungszeiten und -inhalten (Level I–III) ist von der internationalen Gesellschaft für Kardioonkologie und der kanadischen Gesellschaft für onkologische Kardiologie in einem gemeinsamen Positionspapier empfohlen worden [78]. Eine Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie wird sich nach den europäischen Empfehlungen richten, die gegenwärtig in der ESC erarbeitet werden.

Patientenauswahl

Die Auswahl von Patienten für eine onkokardiologische Mitbetreuung (s. Tab. 8) erfolgt im Prinzip in 3 Gruppen:

Tab. 8 Patientenauswahl in der Onkokardiologie, adaptiert vom aktuellen Positionspapier der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) [69]

Patienten vor einer geplanten onkologischen Therapie

Eine kardiologische Mitbetreuung onkologischer Patienten vor einer onkologischen Therapie ist notwendig bei Patienten mit einem hohen kardiovaskulären Risiko oder bei einer geplanten Therapie, die mit einem hohen Risiko für eine kardiovaskuläre Nebenwirkung verbunden ist.

Zu den Therapien mit einem zu hohen Risiko für eine kardiovaskuläre Komplikation gehören:

  • Anthrazykline,

  • Immuncheckpoint-Inhibitoren,

  • BRAF-Inhibitoren,

  • Proteasominhibitoren,

  • Alkylanzien,

  • Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren.

Basierend auf den Ergebnissen ist eine interdisziplinäre Besprechung der Befunde zur optimierten Versorgung und ggf. Beratung des behandelnden Onkologen zur Therapieentscheidung notwendig.

Patienten während einer onkologischen Therapie

Eine onkokardiologische Mitbeurteilung während einer onkologischen Therapie ist bei oben genannten onkologischen Therapien mit einem erhöhten Risiko für eine kardiovaskuläre Nebenwirkung notwendig. Unabhängig davon werden Patienten unter einer onkologischen Therapie mit dem Auftreten kardialer Symptome bzw. einer Erhöhung kardialer Biomarker (onko)kardiologisch betreut bzw. die auftretenden kardiologischen Befunde konsiliarisch mitbeurteilt.

Hierzu gehören auch interdisziplinäre Fragestellungen zur Festlegung oder Weiterführung der onkologischen Therapie zugunsten einer optimalen onkologischen Versorgung. Wichtiger Aspekt in diesem Patientenkollektiv ist der Status der onkologischen Grunderkrankung (palliativ, neoadjuvant, adjuvant). Hieraus ergeben sich auch Konsequenzen für kardiologische Entscheidungen, die beispielsweise von der erwarteten Überlebenszeit der Patienten abhängen und eine interdisziplinäre Abwägung mit der zur erwartenden Verbesserung der Lebensqualität benötigen. In die Entscheidungsprozesse sind die Patienten eng einzubeziehen.

Patienten nach stattgehabter onkologischer Therapie

Die Datenlage für eine Betreuung nach einer stattgehabten onkologischen Therapie ist gering. Zudem sind die vorliegenden Studien zum Auftreten kardiovaskulärer Komplikationen nach einer onkologischen Erkrankung und Therapie überwiegend retrospektiv durchgeführt worden. Eine Empfehlung zur Betreuung dieses Patientenkollektivs basiert daher auf den aktuellen Positionspapieren der ESC [149]. Generell ist es Aufgabe der Onkokardiologie, onkologische Patienten nach erfolgreicher Therapie über ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko aufzuklären [69]. Zudem sollten strukturierte Nachsorgeprogramme etabliert werden für Patienten mit hohem Risiko (beispielsweise nach Bestrahlung im herznahen Thoraxbereich oder nach stattgehabter Anthrazyklin-Therapie).