Zusammenfassung
Die Unterscheidung zwischen ›Erzähler‹ und ›Autor‹ gehört zu den Binsenwahrheiten der Literaturwissenschaft: Dem Erzähler werden alle Eigenschaften eines narrativen Textes zugeschrieben; der Autor hat den Text zwar erschaffen, nun aber ist der Text ein vom Autor losgelöstes und ganz unabhängiges Gebilde. Der Autor ist etwas Textexternes, während der Erzähler eine dem Text immanente Größe ist. Es gehört zu den Anfängerfehlern, den Erzähler mit dem Autor zu verwechseln, etwa in Sätzen wie »Am Anfang der Buddenbrooks zeigt der Autor die Mitglieder der Familie bei einem Festessen.« Nein, nicht der Autor zeigt etwas, sondern der Erzähler tut dies, so lautet die fachübliche Korrektur solcher Novizennaivität.
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Notizen
Kahrmann, Cordula/Reiß, Gunter/Schluchter, Manfred: Erzähltextanalyse. Königstein i.Ts. 31993, S. 42ff.
Vgl. Chatman, Seymour: Story and Discourse. Narrative Structure in Fiction and Film. Ithaca, London 1978, S. 267,
und auch Rimmon-Kenan, Shlomith: Narrative Fiction. Contemporary Poetics. London 1983, S. 86.
Vgl. Jannidis, Fotis/Lauer, Gerhard/Martinez, Matias/Winko, Simone (Hg.): Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Tübingen 1999.
Einen materialreichen Überblick bietet Nünning, Ansgar: »Towards a Cultural and Historical Narratology. A Survey of Diachronic Approaches, Concepts, and Research Projects«. In: Reitz, Bernhard/Rieuwerts, Sigrid (Hg.): Anglistentag 1999 Mainz. Trier 2001, S. 345–374.
Zur ersteren vgl. Kearns, Michael S.: Rhetorical Narratology. Lincoln, London 1999;
zur letzteren vgl. etwa Emmott, Catherine: Narrative Comprehension. A Discourse Perspective. Oxford 1997.
Vgl. zum ersteren Fludernik, Monika: The fictions of language and the languages of fiction. The linguistic representation of speech and consciousness. London 1993, S. 59.
Zur Kritik am Schachtel-Modell der narrativen Kommunikation vgl. Weimar, Klaus: »Wo und was ist der Erzähler«. In: MLN 109 (1994), S. 495–506.
Vgl. z. B. »I consider this distinction not essential but conventional: narratives have narrators because Western literature has continued to construct reading and listening in speakerly terms.« Lanser, Susan: »Feminist Poetics of Narrative Voice«. In dies.: Fictions of Authority. Women Writer and Narrative Voice. Ithaca, London 1992, S. 3–24, hier S. 4, Fußnote 3.
Janik, Dieter: Die Kommunikationsstruktur des Erzählwerks. Ein semiologisches Modell. Bebenhausen: Rotsch 1973, S. 12.
Hamburger, Käte: Die Logik der Dichtung. München: dtv/Klett-Cotta 1987, S. 113,115. Sie mußte dann allerdings den Ich-Roman als ganz eigenständigen Sonderfall behandeln, was nicht so recht einleuchten will.
Vgl. Genette, Gérard: Die Erzählung. München: Fink 1994, S. 15.
Tatsächlich gibt es hier einen eigenartigen Widerspruch bei Genette: Einerseits definiert er ›Narration‹ ausdrücklich mit Bezug auf die reale oder die fiktionale Situation und spricht an anderer Stelle sogar von dem Akt, der den Diskurs real (Homer) oder fiktiv (Odysseus) produziert (beides S. 16), andererseits heißt es: »Geschichte und Narration existieren für uns also nur vermittelt durch die Erzählung.« ebd S. 17. Das gilt aber ganz offensichtlich nicht für den realen Akt, der, wenn der Autor nicht gerade Homer heißt, auch durch andere Quellen zugänglich ist. Genette entwirft mit den ersten Aussagen eine traditionelle Position, die schon Robert Petsch so beschrieben hat: »Der Dichter kann (als Erzähler ersten Grades) eine andere Person einführen, die nun selbst ihre eigenen Schicksale oder diejenigen des Helden, als dessen nächster Begleiter erzählt.« Petsch, Robert: Wesen und Formen der Erzählkunst. Halle: Niemeyer 1934, S. 63.
Vgl. etwa Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. München: Beck 1999, S. 23ff., 68f.
vgl. Sperber, Dan/Wilson, Deirdre: Relevance. Communication and Cognition. Oxford 21995 [ED 1986].
Ebenso unberücksichtigt ist die neogricesche Pragmatik, z. B. von Levinson, Stephen: Presumptive Meanings. The Theory of Generalized Conversational Implicature. Cambridge, Mass. u. a. 2000.
vgl. Keller, Rudi: Zeichentheorie. Zu einer Theorie semiotischen Wissens. Tübingen, Basel 1995,
Keller, Rudi: »Begriff und Bedeutung«. In: Grabowski, Joachim/Harras, Gisela/Herrmann, Theo (Hg.): Bedeutung, Konzepte, Bedeutungskonzepte. Opladen 1996, S. 47–66.
vgl. etwa Gibbs, Raymond W.: Intentions in the Experience of Meaning. Cambridge, New York 1999, S. 203.
Vgl. etwa Martin, Wallace: Recent Theories of Narrative. Ithaca, London 1986, S. 154, oder Kahrmann/Reiß/Schluchter: Erzähltextanalyse (s. Anm. 2), S. 43ff.
Möbus, Frank: »Die mehreren Ichs in der Kurzprosa Robert Walsers«. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 44 (2000), S. 195–211, hier S. 198.
Vgl. zum Begriff ›unzuverlässiger Erzähler‹ den Überblick bei Nünning, Ansgar: ›Unreliable Narration‹ Zur Einführung. Grundzüge einer kognitiv-narratologischen Theorie und Analyse unglaubwürdigen Erzählens. In ders. (Hg.): Unreliable Narration. Studien zur Theorie und Praxis unglaubwürdigen Erzählens in der englischsprachigen Literatur. Trier 1998, S. 3–39, sowie die reichhaltige Bibliographie in diesem Band.
»signs of the narrator are a subset of signs from the narrator«, so Prince, Gerald: »The Narratee Revisited«. In: Style 19,3 (1985), S. 299–303;
Zur Geschichte des Begriffs vgl. Nünning, Ansgar: »Renaissance eines anthropomorphisierten Passepartouts oder Nachruf auf ein literaturkritisches Phantom? Überlegungen und Alternativen zum Konzept des implied author«. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 67 (1993), S. 1–25;
sowie Kindt, Tom/Müller, Hans-Harald: »Der ›implizite Autor‹«. In: Jannidis, Fotis/Lauer, Gerhard/Martinez, Matias/Winko, Simone (Hg.): Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Tübingen 1999,
Das gilt für Friedemann, aber auch noch für Booth, Wayne C.: The Rhetoric of Fiction. Chicago, London 1961,
der untersucht, welche Textphänomene als Einmischung des Autors — er spricht in diesem Zusammenhang immer vom Autor, nicht vom Erzähler — gelten müssen, S. 16ff. Zum Überblick vgl. Frey, John R.: »Author-intrusion in the narrative«. In: GR 23 (1948), S. 274–289.
Vgl. Ernst, Thomas: Popliteratur. Hamburg 2001,
und Ullmaier, Johannes: Von Acid nach Adlon. Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur. Mainz 2001.
Kracht, Christian: Faserland. München 1997, S. 16.
Vormweg, Christoph: »Trübe Erben«. In: SZ 5. 4. 1995.
Marquard, Volker: »Genese eines Spießers«. In: taz 28. 2. 1995, S. 23.
Seibt, Gustav: »Trendforscher im Interregio«. In: FAZ 22. 5. 1995, S. 36.
Kracht, Christian: Der gelbe Bleistift. Köln 2000. Ders.: 1979. Köln 2001.
Vgl. auch Liesegang, Torsten: »Popliteratur«. In: Gumbo YaYa-Show 12. 11. 2000. ‹http://www.torli.de/gumbo/txt/popliteratur.htm› (gesehen am 1. Februar 2002).
Gerade der Snobismus ist wiederum stark durch das literarische Vorbild American Psycho vorgebildet, indem nicht nur die profunde Kenntnis von Markennamen, sondern auch der sich darin formulierende ganz ungebrochene Sozialdünkel bereits zu finden sind. Das ist nur ein Widerspruch, wenn man nicht annimmt, daß es ein von der Literatur weitgehend unabhängiges soziales Leben gibt, das in den USA schon in den 1980er Jahren solchen Snobismus hervorgebracht hat. Vgl. Ellis, Bret Easton: American Psycho. London 2000.
vgl. Weimann, Robert: »Erzählsituation und Romantypus. Zur Theorie und Genesis realistischer Erzählformen«. In: Sinn und Form 18 (1966), S. 109–133.
Vgl. dazu aus der Sicht einer Autorin: McCarthy, Mary: »Characters in Fiction«. In: Partisan Review 28 (1961), S. 171–191.
Wiederabgedruckt in dies.: On the Contrary. Articles of Belief 1946–1961. New York: Noonday Press 1962, S. 271–292.
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Jannidis, F. (2002). Zwischen Autor und Erzähler. In: Detering, H. (eds) Autorschaft: Positionen und Revisionen. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05568-2_29
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-05568-2_29
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Online ISBN: 978-3-476-05568-2
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