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Plädoyer für das Zeug zur Betrachter*innenmelancholie. Bilder und das Er/Zeugen von Gewalt

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Bezeugen

Part of the book series: Kriminalität in Literatur und Medien ((KLM,volume 2))

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Zusammenfassung

Dieser Text nimmt eine psychoanalytische Perspektive in Hinblick auf das Anschauen von Gewaltbildern ein. Ziel ist, mit und in Distanz zu Sigmund Freud an einer Ethik des Visuellen zu arbeiten, die im Betrachten nicht die Gewaltverhältnisse reproduziert, die zur Entstehung der Bilder geführt haben (Die ausführliche Version dieses Textes ist erschienen in: Hentschel: Schauen und Strafen. Gegen Lynchen. Kulturverlag Kadmos, Berlin 2021). Es soll deutlich werden, dass das Bezeugen von Gewalt nicht getrennt gesehen werden kann vom Erzeugen von Gewalt.

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Notes

  1. 1.

    Die ausführliche Version dieses Textes ist erschienen in: Hentschel: Schauen und Strafen. Gegen Lynchen.

  2. 2.

    Vgl. Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 1008.

  3. 3.

    Heidegger: Holzwege, 21.

  4. 4.

    Sontag: Das Leiden anderer betrachten, 112–113. Michel de Montaigne setzt sich in seinen Essays in den 1580er-Jahren mit dem Begriff der Tugend bei Sokrates auseinander und beschreibt einen inneren Konflikt: „Wenn die Tugend nicht anders, als durch den Streit mit widerwärtigen Begierden hervorschimmern kann: wollen wir dann sagen, sie könne des Beistandes des Lasters nicht entbehren, und habe demselben ihre Ehre und Ansehen zu verdanken?“ Tugend, so Montaigne, sei nicht die Abwesenheit von Laster, sondern der reflektierende Umgang damit. Montaigne: Von der Grausamkeit, 145.

  5. 5.

    Vgl. Barthes: Die helle Kammer, 53–54. Barthes beschreibt hierin seine Theorie der Fotografie als eine Fähigkeit, die Betrachter*innen zu treffen und mithin zu Betroffenen zu machen. Diese Momente nennt er das fotografische ‚punctum‘.

  6. 6.

    Siehe hierzu ausführlich meine Auseinandersetzungen mit Michel Foucault: Die Kunst, sich selbst visuell zu regieren, in: Hentschel: Schauen und Strafen. Nach 9/11 63–115.

  7. 7.

    Eine letzte Vorbemerkung: Die folgenden Überlegungen sind im Rahmen meiner Studie Schauen und Strafen zur visuellen Kultur des Lynchens entstanden: der legalisierten Tötung von Schwarzen Amerikanern zwischen 1860 und 1940, den in volksfestartigen Spektakeln inszenierten Hinrichtungen für eine weiße Schaugemeinschaft, dem Verschenken von Fotografien und Versenden von Postkarten. In dieser rassistischen visuellen Kultur, so meine These, ist auch das Bezeugen keineswegs ein Ausweg aus der Dominanzposition, sondern eine gute Gelegenheit, sie weiterhin straffrei zu genießen (vgl. Hentschel: Schauen und Strafen. Gegen Lynchen).

  8. 8.

    „Allein nur die Form dieser Phantasie ist sadistisch, die Befriedigung, die aus ihr gewonnen wird, ist eine masochistische […].” Freud: Ein Kind wird geschlagen, 242.

  9. 9.

    „Es scheint sich zunächst zu bestätigen, dass der Masochismus keine primäre Triebäußerung ist, sondern aus einer Rückwirkung des Sadismus gegen die eigene Person, also durch Regression vom Objekt aufs Ich entsteht.“ Ebd., 245. Diese Deutung hatte er bereits 1915 in Triebe und Triebschicksale formuliert: „Ein ursprünglicher Masochismus, der nicht auf die beschriebene Art [als Abwehr, Anm. d. Autorin] aus dem Sadismus entstanden wäre, scheint nicht vorzukommen“. Freud: Triebe und Triebschicksale, 91.

  10. 10.

    Freud: Ein Kind wird geschlagen, 244.

  11. 11.

    „So würde die Phantasie der zweiten Phase, selbst vom Vater geschlagen zu werden, zum direkten Ausdruck eines Schuldbewusstseins, dem nun die Liebe zum Vater unterliegt. Sie ist also masochistisch geworden; meines Wissens ist es immer so, jedes Mal ist das Schuldbewusstsein das Moment, welches Sadismus zum Masochismus umwandelt.“ Ebd., 240.

  12. 12.

    „Diese zweite Phase ist die wichtigste und folgenschwerste von allen. Aber man kann in gewissem Sinne von ihr sagen, sie habe niemals eine reale Existenz gehabt. Sie wird in keinem Falle erinnert, sie hat es nie zum Bewusstwerden gebracht.“ Ebd., 237.

  13. 13.

    Die Psychoanalytikerin Elisabeth R. Zetzel betont unter Bezug auf Melanie Klein, dass „die depressive Erkrankung des Erwachsenen einer frühkindlichen Urform stark ähnelt […]“ und dass deshalb die „regressive Symptomatologie des Erwachsenen eine direkte Wiederholung des ursprünglichen Entwicklungsvorgangs darstellt.“ Zetzel: Zum Krankheitsbild der Depression, 191.

  14. 14.

    Vgl. Freud: Trauer und Melancholie, 193–212. Auf die historische, auf Aristoteles zurückgehende Verknüpfung von Melancholie mit Wahnsinn, Genialität und Kreativität geht Freud nicht ein. Für diese Lesart und ihre historische Entwicklung vgl. u. a.: Klibansky/Panofsky/Saxl: Saturn und Melancholie.

  15. 15.

    Vgl. Freud: Trauer und Melancholie, 197.

  16. 16.

    Besonders anfällig für Melancholie sollen nach der arabischen Astrologie des 9. Jahrhunderts die unter dem Planeten des Saturn, d. h. die im Herbst Geborenen gewesen sein. In der mittelalterlichen Astronomie galt Saturn als größter, langsamster, schwerster, feuchtester, kältester, fernster und dunkelster Planet. Er wurde auch ,schwarze Sonne‘ genannt. In der griechischen Mythologie war Saturn der Gott des Ackerbaus. Er fraß all seine Söhne bis auf Jupiter, da man ihm vorausgesagt hatte, dass sie ihn entmachten würden. Dann aber kastrierte ausgerechnet Jupiter seinen Vater. Saturn floh und galt fortan als Verkörperung der Sorge, der Krankheit und des Unglücks, aber auch der harten Arbeit. Jupiter warf die Genitalien seines Vaters ins Meer, woraufhin Venus geboren wurde. Vgl. Klibansky/Panofsky/Saxl: Saturn und Melancholie.

  17. 17.

    Freud: Trauer und Melancholie, 203 sowie ebd., 210: „Die Liebe hat sich so durch ihre Flucht ins Ich der Aufhebung entzogen.“

  18. 18.

    Ebd., 202. Der darauf folgende Satz lautet: „[U]nd sie sind weit davon entfernt, gegen ihre Umgebung die Demut und Unterwürfigkeit zu bezeugen, die allein so unwürdigen Personen geziemen würde, sie sind vielmehr im höchsten Grade quälerisch, immer wie gekränkt und als ob ihnen ein großes Unrecht widerfahren wäre.“

  19. 19.

    Die Idee des kontinuierlichen Fortschritts in einer linear verlaufenden Zeit – Chronologie – wird durch Kronos/Saturn suspendiert: „Melancholie: Festhalten an der Utopie als Einbruch des Zukünftigen, als das, was nicht ist, in das Gegenwärtige. Melancholie: Insistieren auf dem, was in der Gegenwart nicht gedacht und nicht gelebt werden kann. Melancholie: Realisieren des Unmöglichen, dessen, was nicht an der Zeit ist – durch Verausgabung.“ Forster: Unmännliche Männlichkeit, 351.

Literatur- und Quellenverzeichnis

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  • Heidegger, Martin: Holzwege. Frankfurt a. M. 2003.

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  • Hentschel, Linda: Schauen und Strafen. Band 1: Nach 9/11. Berlin 2020.

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  • Hentschel, Linda: Schauen und Strafen. Band 2: Gegen Lynchen. Berlin 2021.

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  • Klibansky, Raymond/Erwin Panofsky/Fritz Saxl: Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst [1964]. Frankfurt a. M. 1990.

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  • Montaigne, Michel de: Von der Grausamkeit. In: Ders.: Essais. Frankfurt a. M. 2016, 142–164.

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  • Sontag, Susan: Das Leiden anderer betrachten. München 2003.

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  • Zetzel, Elisabeth R.: Zum Krankheitsbild der Depression, In: Lutz Walther (Hg.): Melancholie. Leipzig 1999, 187–199.

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Hentschel, L. (2022). Plädoyer für das Zeug zur Betrachter*innenmelancholie. Bilder und das Er/Zeugen von Gewalt. In: Tuna, Z., Wischhoff, M., Zinsmaier, I. (eds) Bezeugen. Kriminalität in Literatur und Medien, vol 2. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05800-3_9

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