Zusammenfassung
Thema dieses Aufsatzes ist das ambivalente und gespannte Verhältnis, in das die deutsche historische Geschichtswissenschaft vornehmlich des 19. Jahrhunderts zur Literatur geriet, als sie ihren wissenschaftlichen Ansprüchen gemäß versuchte, sich von der literarischen Tradition der Geschichtsschreibung zu lösen und den Stellenwert der Literatur für die Geschichte streng einzugrenzen.
Abstract
This article adresses the ambivalent and strained relationship to literature developed by the historicist scholarship of 19th-century Germany, which — as a consequence of its own method — strove to detach itself from the literary tradition of history-writing, delimiting the value and function of literature in history.
Literature
Leopold von Ranke, in Eberhard Kessel, “Rankes Idee der Universalhistorie,” Historische Zeitschrift, 178 (1954), 307–8.
Miklos Molnar, “Walter Scott et les historiens,” Etudes de Lettres, 4, No. 2 (1979), 79–93.
Johann Gustav Droysen, Historik: Vorlesungen über Enzyklopädie und Methodologie der Geschichte, hrsg. Rudolf Hübner, 3. Aufl. (1958), S. 273.
Leopold von Ranke, “Zur eigenen Lebensgeschichte,” in Sämtliche Werke (fortan SW) LIII–LIV (1890), S. 61.
Hermann Butterfield, Man on his Past: The Study of the History of Historical Scholarship (1955), S. 16.
Friedrich Meinecke, “Kausalitäten und Werte in der Geschichte,” in Zur Theorie und Philosophie der Geschichte, Werke Bd. IV, 2. Aufl. (1965), S. 63.
Leopold von Ranke, in Eberhard Kessel, “Rankes Idee der Universalhistorie,” HZ, 178 (1954), 291.
Wilhelm von Humboldt, “Über die Aufgabe des Geschichtsschreibers,” in Gesammelte Werke, Bd. I (1841), S. 6.
Hans Robert Jauss, “Geschichte der Kunst und Historie,” in Literaturgeschichte als Provokation, 2. Aufl. (1970), S. 218–22; vgl. bei Droysen, Historik, S. 144, 150–2.
Reinhart Koselleck, “Terror und Traum,” in Vergangene Zukunft: Zur Semantik geschichtlicher Zeiten (1979), S. 280–1.
Heinrich Ulmann, “Über wissenschaftliche Geschichtsdarstellung,” HZ, 54 (1885), 42.
Heinrich von Sybel, “Gedächtnisrede auf Leopold von Ranke,” HZ, 56 (1886), 475–6.
Ernst Bernheim, Lehrbuch der historischen Methode (1889), S. 82–90.
“Historische Belletristik” (1928); Emil Ludwig, “Historie und Dichtung,” Neue Rundschau, 40 (1929), 358–81
Wilhelm Mommsen, “‘Legitime’ und ‘illegitime’ Geschichtsschreibung — Eine Auseinandersetzung mit Emil Ludwig” (1930).
Jakob Burckhardt, Brief an Andreas Heusler vom 9. Juli 1847, in Briefe, hrsg. Max Burckhardt, Bd. III (1959), S. 79–80, mit dem spöttischen Zusatz: “Gegen das Naserümpfen der jetzigen Gelehrsamkeit muß man sich mit etwas Gleichgültigkeit panzern und sich damit zufrieden geben, daß man vielleicht gekauft und gelesen, nicht bloß in Bibliotheken mit saurem Schweiß excerpirt wird.”
Jörn Rüsen, Ästhetik und Geschichte: Geschichtstheoretische Untersuchungen zum Begründungszusammenhang von Kunst, Gesellschaft und Wissenschaft (1976), S. 69–74 und 88–9.
Vgl. Rudolf A. Makkreel, Dilthey: Philosopher of the Human Studies (1975), der dem Einfluß von Diltheys literaturwissenschaftlichen Studien auf sein wissenschaftstheoretisches Denken besondere Aufmerksamkeit schenkt.
Wilhelm Dilthey, Weltanschauungslehre, Gesammelte Schriften, Bd. VIII, hrsg. Bernhard Groethuysen (1931), S. 84–85.
Rolf Engelsing, “Dienstbotenlektüre im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland,” in Zur Sozialgeschichte der deutschen Mittel- und Unterschichten (1973), S. 216–218.
Leonard Krieger, Ranke: The Meaning of History (1977), S. 188–9
Heinrich von Treitschke, Historische und politische Aufsätze, Bd. I (1886), S. 94–5 und 306.
Veit Valentin, Geschichte der deutschen Revolution von 1848–49, Bd. I (1930), S. 249–50.
Jakob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien: Jakob Burckhardt Gesamtausgabe, hrsg. Werner Kaegi, Bd. III (1930), S. 231.
Gelegenheitsdichtung bei Ranke — vgl. Günter Johannes Henz, Leopold von Ranke: Leben, Denken, Wort 1795–1814 (1968), S. 480–93
die dichterischen Entwürfe für einen Brief an seinen Bruder im Lutherfragment von 1817, hrsg. Elisabeth Schweitzer, in Leopold von Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, hrsg. F. Joachimsen, Bd. VI (1926), S. 215, 330.
Z. B. Droysens Übersetzungen der Werke des Aischylos und Aristophanes — vgl. Jörg Rüsen, Begriffene Geschichte: Genesis und Begründung der Geschichtstheorie J. G. Droysens (1969) S. 25–7, 30–1.
Die Anekdote erwähnt Gilbert Highet, The Anatomy of Satire (1961), S. 99–100.
Heinrich von Treitschke, “Literarische Vorboten einer neuen Zeit,” in Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. III (1879), S. 682.
Vgl. die Einleitung von Walter Grab und Uwe Friesel, “Noch ist Deutschland nicht verloren”: Eine historisch-politische Analyse unterdrückter Lyrik von der französischen Revolution bis zur Reichsgründung (1970), S. 10–13.
Kurt Sontheimer, Thomas Mann und die Deutschen (1961), S. 15 und 70–1.
Hans Joachim Schoeps, Was ist und was will die Geistesgeschichte: Über Theorie und Praxis der Zeitgeistforschung (1959), S. 88.
S. z. B. im von Hans Joachim Schoeps herausgegebenen Sammelband Zeitgeist im Wandel, die Aufsätze von Helmut Diwald, “Literatur und Zeitgeist in der Weimarer Republik,” Bd. II (1968), S. 203–60
und Hans Schwerte, “Deutsche Literatur im wilhelminischen Zeitalter,” Bd. I (1967), S. 121–143.
Gerhard Masur, Prophets of Yesterday: Studies in European Culture 1890–1914 (1961).
Vgl. Walter Benjamins berühmten Aufsatz “Literaturgeschichte und Literaturwissenschaft,” Gesammelte Schriften Bd. III, hrsg. Hella Tiedemann-Bartels (1972), S. 283–90.
Vgl. das Interesse des jungen Karl Mannheim für Lukacs’ Theorie des Romans (Wissenssoziologie, hrsg. Kurt H. Wolff (1964)) und allgemeiner die vielversprechenden Anfänge der Kunstsoziologie in der Weimarer Republik.
Jakob Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte, hrsg. Felix Stähelin (1930), I, 2.
Z. B. Frantisek Graus, Lebendige Vergangenheit: Überlieferungen im Mittelalter und in der Vorstellung vom Mittelalter (1975).
Arno Borst, Lebensformen im Mittelalter (1973).
Zur Bedeutung der Hermeneutik für die heutigen Sozialwissenschaften, vgl. Paul Ricoeurs Versuch, aus dem Erbe Diltheys eine notwendige Ergänzung zu den Errungenschaften des französischen Strukturalismus zu gewinnen — “The Modell of the Text: Meaningful Action Considered as a Text,” Social Research, 38 (1971), S. 529–62.
S. die im angelsächsischen Raum entstandenen Arbeiten (Danto, Mandelbaum, Gallie usw.), an die der Band Theorie der Geschichte — Theorie und Erzählung in der Geschichte, hrsg. Jürgen Kocka und Thomas Nipperdey (1979) anknüpft. Im Band V der Reihe Poetik und Hermeneutik (Geschichte — Ereignis und Erzählung, hrsg. Reinhart Koselleck und W. D. Stempel (1973)) sind Beiträge von Historikern, Literaturwissenschaftlern und Linguisten zu diesen Themen enthalten; wie H. Weinrich allerdings etwas vorwurfsvoll bemerkt, sind es letztere und nicht die Historiker, von denen die Reflexion über die “narrativen Bedingungen” der Geschichtsschreibung stammen (S. 521).
Wie es das Vorwort bedauert, gehen die Beiträge des Sammelbandes Geschichte: Ereignis und Erzählung auf das Verhältnis von literarischer Fiktion und Geschichte kaum ein; entwickelt wird dieser Aspekt vor allem bei Roland Barthes, “Le discours de l’histoire,” Social Science Information, 4, No. 4 (1967), 65–75, “L’effet de réel,” Communications, 12 (1968), den Arbeiten von Gérard Genette und Tzvetan Todorov über die Kategorie des Wahrscheinlichen in der Erzählung, und Jean Pierre Fayes “Théorie du récit” in Langages totalitaires, 2. Aufl. (1973).
Lawrence Stone, “The Revival of Narrative: Reflections on a New Old History,” Past and Present, 85 (1979), 3–24.
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Dieser ursprünglich französische Text ist aus einem unter der Leitung von Prof. M. Molnar (Universität Lausanne/Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales, Genf) durchgeführten und vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstützten Forschungsvorhaben über Literatur als Quelle für die Geschichtswissenschaft hervorgegangen.
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Kruse, I. “More kin than kind” — Die historische Geschichtswissenschaft und die Literatur. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 56 (Suppl 1), 202–225 (1982). https://doi.org/10.1007/BF03374808
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