Selten ist in Europa überall Frieden,

und nie geht der Krieg in den anderen Weltteilen aus.

  • Carl Clausewitz (1780–1831), preußischer Offizier und Militärtheoretiker.

Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) der Universität Hamburg veröffentlicht fortlaufend Daten und Analysen zum weltweiten Kriegsgeschehen und gibt ein Jahrbuch aller Kriege und bewaffneten Konflikte heraus. Aktuellen Auswertungen der AKUF zufolge wurden im Jahr 2007 weltweit 28 Kriege und 14 bewaffnete Konflikte geführt. Gegenüber dem Vorjahr ist damit die Gesamtzahl der gewaltsam ausgetragenen Konflikte relativ deutlich zurückgegangen und befindet sich somit auf dem niedrigsten Stand seit 1993 [1]. Seinen Höhepunkt hatte das Kriegsgeschehen im Jahr 1992 mit 55 Kriegen erreicht.

Die von organisierten Kämpfen am stärksten betroffene Weltregion ist weiterhin Asien mit 16 kriegerischen Konflikten. Indien blieb auch 2007 mit insgesamt sechs Kriegen und bewaffneten Konflikten das Land mit den meisten kriegerischen Auseinandersetzungen. Es folgten der Vordere und Mittlere Orient mit jeweils 13 Kriegen und bewaffneten Konflikten und Afrika mit 11. In Lateinamerika waren zwei kriegerische Konflikte zu verzeichnen. Damit bestätigt sich auch im Jahr 2007 die regionale Ungleichverteilung des weltweiten Kriegsgeschehens: Weit über 90% aller Kriege seit 1945 fanden in der „Dritten Welt“ statt. Dabei spielten und spielen der Kampf um die Macht im Staat und Sezessionsbestrebungen die Hauptrolle. Diese innerstaatlichen Kriege dominieren das Kriegsgeschehen der heutigen Zeit. Im Vorderen und Mittleren Orient fanden 2007 mit den Kriegen im Irak, Afghanistan und in den palästinensischen Autonomiegebieten die bewaffneten Auseinandersetzungen mit dem breitesten öffentlichen Interesse statt.

Wichtige Bestandteile der heutigen Konflikte sind Kleinwaffen (Pistolen, Maschinengewehre) – weltweit verursachen sie 60–90% aller direkten Kriegsopfer – sowie Explosivmunition wie Granaten, Landminen und eigenfabrizierte Sprengstoffapparaturen [2]. Moderne Kriege sind nicht mehr durch monatelangen Stellungskrieg („Grabenkrieg“) oder Flächenbombardements gekennzeichnet. Eine Variante moderner Kriege, wie heute im Irak oder in Afghanistan, unterscheidet sich erheblich von den Szenarien der Vergangenheit und wurde im Jahre 1999 von General Charles Krulak mit dem Begriff „three block war“ bezeichnet, da Aktivitäten im Bereich der humanitären Hilfe („humanitarian assistance“), „friedensschaffende“ Maßnahmen („peace-making“) als zweite Komponente sowie Kämpfe mittlerer bis hoher Intensität als dritter Anteil gleichzeitig und unmittelbar benachbart („within the space of three contiguous city blocks“) erfolgen [3].

In den Jahren seit 2003 wird global mit ca. 80.000–110.000 Toten als direkte Kriegsopfer per anno gerechnet. Die Gesamtzahl der Todesopfer in einem bewaffneten Konflikt ist jedoch beachtlich höher als die Zahl der während der Kampfhandlungen Gefallenen. Indirekte Todesfälle wie Krankheit und Hungersnot, die durch die Folgen der bewaffneten Auseinandersetzungen entstehen, übertreffen zahlenmäßig die direkten Kriegstoten bei weitem. Hierbei hängt das Verhältnis der Anzahl direkter und indirekter Kriegsopfer vom jeweiligen Kriegsschauplatz ab. In manchen Konflikten werden die meisten Opfer durch Gewalt verursacht (Irak, Afghanistan). In Afrika südlich der Sahara ist die Situation umgekehrt. Hier ist die durchschnittliche, nicht gewaltassoziierte Sterblichkeitsrate mehr als doppelt so hoch wie die zu erwartende natürliche Sterblichkeitsrate und in manchen Flüchtlingsszenarien (durch ungünstige Hygieneverhältnisse, Unterernährung etc.) mag sie mehr als 8-mal so hoch sein. Berichte aus Konfliktzonen enthalten jedoch oft nur zahlenmäßige Schätzwerte über Tote und Verwundete sowie deren Verletzungsmuster, die durch direkte Kampfhandlungen verursacht wurden. Nur aus einigen Ländern und Bevölkerungsgruppen sind nutzbare Datengrundlagen vorhanden. Aktuellste Beispiele mit der besten Dokumentation sind die militärischen Auseinandersetzungen im Irak und in Afghanistan, von denen die Anzahl getöteter und verwundeter US-amerikanischer und multinationaler Militärs genauer registriert und auch allgemein zugänglich sind.

Die seit nahezu 20 Jahren andauernde Beteiligung der Bundeswehr an friedenserhaltenden, stabilisierenden und friedenserzwingenden Missionen führt dazu, dass auch der deutsche chirurgisch tätige Sanitätsoffizier unmittelbar mit kriegstypischen Verletzungsmustern konfrontiert wird. Aus militärmedizinischer Sicht sind daher exakte epidemiologische Analysen dieser Daten von besonderem Interesse. Aus ihnen können fachliche Anforderungen an den Chirurgen, Notwendigkeiten für Fort- und Weiterbildung und die hierfür erforderliche personelle und materielle Infrastruktur abgeleitet werden. Hierbei muss jedoch auch berücksichtigt werden, dass die Einsatzhistorie des Sanitätsdienstes ebenso unmittelbar mit zahlreichen humanitären Missionen verbunden ist. So kamen bereits 1960 erstmals Sanitätssoldaten im Rahmen der Erdbebenhilfe in Agadir, Marokko im Ausland zum Einsatz. Bis heute war der Sanitätsdienst regelmäßig bei der Bewältigung von Großschadensereignissen im Inland (Flutkatastrophe, Waldbrandbekämpfung, Hochwasserbekämpfung, zuletzt 2002 an der Elbe) und im Ausland (Erdbeben, Hungerkatastrophen, zuletzt Tsunami-Katastrophe 2004/2005 in Südostasien und Erdbebenhilfe Pakistan 2005) in maßgeblichem Umfang beteiligt [4]. Hinzu kommt, dass die Bundeswehr nach wie vor bei der Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Notlagen gefordert ist. Diese „Zusatzaufgaben“ fordern dem „Militärchirurgen“ auch zusätzliche Kenntnisse für die Behandlung zivil bedingter Verletzungen und Erkrankungen ab.

Bei der enormen Anzahl ziviler Hilfsorganisationen, die mit ärztlichem Personal in Krisengebieten Hilfe leisten, sowie einer latenten Terrorgefahr auch in Westeuropa – man erinnere sich an die Attentate in Madrid und London – scheinen jedoch Kenntnisse über Verletzungsmuster und -ursachen in Krisengebieten auch für den deutschen (Unfall-)Chirurgen aus dem zivilen Bereich von Interesse zu sein. Vor diesem Hintergrund sollen Verletzungsmuster, -arten und -ursachen moderner bewaffneter Konflikte und Kriege dargestellt und in den nachfolgenden Beiträgen von Chirurgen der fümf Bundeswehrkrankenhäuser folgende Fragen beantwortet werden:

  • Unter welchen infrastrukturellen Bedingungen arbeitet ein deutscher Sanitätsoffizier derzeit im Ausland?

  • Mit welchen Krankheitsbildern wird ein Chirurg der Bundeswehr im Auslandseinsatz in Nordafghanistan konfrontiert?

  • Mit welchen Verletzungsmustern und -ursachen muss in bewaffneten Konflikten der heutigen Zeit gerechnet werden?

  • Welche Notkompetenzen sind bei einem Einsatz in Krisengebieten für den Chirurgen erforderlich?

  • Wie sollte die Weiterbildung für ihn gestaltet sein?