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Begnadigung und Sendung in Dantes Commedia und Goethes Faust

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Zusammenfassung

Der Vergleich der beiden Werke begann nach dem Erscheinen des Fragments in den 1790er Jahren. Nach kurzer kritikgeschichtlicher Durchsicht der ersten Jahrzehnte stellt die Studie die Charaktereigenschaften von Dante, der den gewöhnlichen Weg der Begnadigung geht und die von dem doppelseeligen Faust vor dem „Öffnen des Vorhangs“ dar. Im Falle vom letzteren erhielt das falsche Ich eine kontinuierliche äußere Unterstützung vom bis zuletzt in seiner physischen Gestalt anwesenden Mephisto. Die edle Hälfte seiner Seele blieb oft allein. Das eine Werk ist eine himmlische Vision, das andere ein irdisches Drama. Goethe beschäftigte sich seit 1824 in seinen Gesprächen und seiner Korrespondenz immer öfter mit Dante. Die Suche und der heroische Kampf gegen die Welt reichen für die Seligkeit nach dem Urteil eines Gottes aus, der unsere Welt nicht „nur von außen stieße“. „An der Stelle“ des Verlangens nach Vergebung, das auf den ersten Blick in Faust fehlt, steht sein individuelles, von Irrtümen belastetes Sendungsbewusstsein, das nichts anderes ist, als der Entschluss seines freien Willens, das Werk der Schöpfung durchzusetzen. Im Subjekt gibt es keinen Gnadenmoment (wie bei Dante), dem die Handlung entspringen würde, sondern der Prozess der Handlung selbst konnte vor dem Augenschein der Mater gloriosa zum Schluß gnadenwürdig werden. Diese Gnade ist eine Folge der Tat.

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Notes

  1. Memoirs of the late Thomas Holcroft, written by himself, London, 1857. 257.

  2. Fr. W. J. Scelling, Sämmtliche Werke. Stuttgart, Augsburg 1859. 152–163.

  3. „But the Florentine has this advantage over the bard of Weimar that time, which alone forms an enduring crystal, has tested by upwards of half a thousand ages the hardness of his reputation, and proved that it is not glass.“ Zitat nach Farinelli, Arturo (1922) 355.

  4. Anna Luisa Staël-Holstein, Sulla maniera e utilità delle traduzioni. „Biblioteca Italiana“ Gennaio 1816. Discussioni e polemiche sul Romanticismo. Laterza, Bari 1943. I. 3–9. „..tradurre diligentemente assai delle recenti poesie inglesi e tedesche; onde mostrare qualche novità a’loro cittadini.“

  5. Goethe schrieb den zweiten und längeren Teil des Faust, der sich eng an die griechische Mythologie knüpft, in der zweiten Hälfte der 1820er Jahre.

  6. 2. April 1829. „Das meiste Neuere ist nicht romantisch, weil es neu, sondern weil es schwach, kränklich und krank ist, und das Alte ist nicht klassisch, weil es alt, sondern weil es stark, frisch, froh und gesund ist.“ Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1981.

  7. Mme de Staël analysierte die Satan-Darstellungen: „Milton a fait Satan plus grand que l’homme; Michel-Ange et le Dante lui ont donné les traits hideux de l’animal, combinés avec la figure humaine. Le Méphistophélès de Goethe est un diable civilisé“. Mme de Staël, De l’Allemagne, Paris, Flammarion, s.a. I. 324.

  8. Goethes Werke (1948–) Band 10. Zwölftes Buch. S. 514 (Aus meinem Leben, Wahrheit und Dichtung, Dritter Teil).

  9. Ebd. Band 7, S. 217 (Wilhelm Meisters Lehrjahre, Viertes Buch, Drittes Kapitel).

  10. Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Übers. v. Karl Witte, Askanischer Verlag, Berlin 1916, S. 271 (Fegefeuer, Dreißigster Gesang) („ogne abito destro / fatto avrebbe in lui mirabil prova“ Pg. XXX. 116–117.)

  11. Ebd. S. 17 (Die Hölle, Zweiter Gesang) („Donna è gentil nel ciel che si compiange.“ Inf. II. 94.)

  12. Am Ende der Reise, als Beatrice in die candida rosa zurückkehrt und ihren Platz Bernhard überläßt, kommt das Wort grazia, das sich auf Dante bezieht, im Zusammenhang mit drei verschiedenen Personen vor: mit Beatrice (Paradies XXXI. 84, Schlußzeile der Terzine) mit Maria (ebendort 101, in der mittleren Zeile der Terzine als Reimwort) und Bernhard sprach Dante als Sohn der Gnade an (ebendort 112, erste Zeile der Terzine).

  13. Im Gespräch mit den Porkhyaden (Zweiter Teil, 2. Akt, Am obern Peneios) sagt Mephisto: „Man schilt mich nun, o Schmach, Hermaphroditen.“ und etwas später behaptet der evolutionistische Thales über Homunculus, der lebendig werden will: „Er ist, mich dünkt, hermaphroditisch“ (Zweiter Teil, 2. Akt, Felsbuchten des ägäischen Meers), was Proteus, dem ewigen ’Heuchler’ natürlich gefällt.

  14. Prolog im Himmel. In der Dichtung und Wahrheit kommt an erster Stelle die Dreifaltigkeit, der vierte (Luzifer) will absolut werden, aber er ist „begrenzt“. „[…] erschufen sie ein Viertes, das aber schon in sich einen Widerspruch hegte, indem es, wie sie, unbedingt und doch zugleich in ihnen enthalten und durch sie begrenzt sein sollte. Dieses war nun Luzifer, welchem von nun an die ganze Schöpfungskraft übertragen war, und von dem alles übrige Sein ausgehen sollte.“ (Siehe Anm 8, Zweiter Teil, Achtes Buch) S. 351.

  15. Ebd.

  16. Studierzimmer (2) Gespräch mit Mephisto.

  17. Vor dem Tor. Faust zu Wagner: „Was man nicht weiß, das eben brauchte man, / Und was man weiß, kann man nicht brauchen.“

  18. 1Kor.12–14.

  19. Vor dem Tor. Faust zu Wagner.

  20. Vergil blickte bei seinem Abschied auf den gemeinsamen Weg zurück, er konnte Dante mit Hilfe von Wissen und Kunst bis zur Spitze des Berges des Purgatoriums führen, der von dort an durch seine eigene Freude (piacere) geleitet wird. „Sieh dort die Sonne dir in's Antlitz scheinen, / Die Kräuter sieh, die Blumen und die Sträucher, / Die hier der Boden aus sich selbst erzeuget.“ (Fegefeuer. XXVII.133–135.)

  21. Studierzimmer (1): „Was sich dem Nichts entgegenstellt, / Das Etwas, diese plumpe Welt“ Der Herr erlaubt Mephisto die „Wette“ oder „Wettstreit“, während er Faust so wie Hiob auf die Probe stellt.

  22. Mephisto zu Faust (Faust II. 1. Akt, Finstere Galerie) Sie wollen zu den Müttern, wo dann Paris und Helena erscheinen. Faust meint, dass Mephisto so spricht wie ein Mystagog.

  23. Die Römer setzten die Buchstaben des Wortes salus an die Spitzen.

  24. Agrippa von Nettesheim, Titkos bölcselet (De occulta philosophia), Budapest, Holnap 1990. 23.

  25. „Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ (Faust I. Nacht) Gegen Ende des Weges scheint Faust das Gefühl zu haben, seine frühere Zweifel seien bestätigt worden. „Die Tat ist alles, nichts der Ruhm“ (Faust II. 4. Akt Hochgebirg).

  26. Goethe, Maximen und Reflexionen, Naturwissenschaft, XIV, 863.

  27. Der Gesang über die künftige Verbreitung der neuen Doktrin wurde im geplanten Drama Mahomet abwechselnd durch Ali und Fatima, die Tochter des Propheten gesungen. Croce (1946) I. 166 meint: das Gedicht „ist reine Lyrik, die Natur hat einen spirituellen Charakter, der Geist findet in ihr seine eigene Bewegung, da wie die Natur Geist ist, ist der Geist auch Natur. Die Idee, die im Geist des Menschen entsteht, triumphierend kämpft und andere Ideen anzieht, während sie geistige Ansprüche befriedigt und über die Welt herrscht und der aus dem Felsen hervorbrechende Bach, der sich zum Fluß wandelt und zum Ozean gelangt, haben die gleiche Bedeutung.“ (… la poesia „è una vera lirica in cui la natura è spiritualizzata e in essa lo spirito ritrova il suo stesso moto, perché, come la natura è spirito, così lo spirito è natura. L’idea, che, sorta nella mente di un uomo, lottando vittoriosa e raccogliendo intorno a sé altre idee e soddisfacendo bisogni spirituali, domina il mondo, e il ruscello che sgorga dalla roccia e, facendosi fiume, perviene all’oceano, sono il medesimo.“)

  28. In seiner Autobiographie beschrieb er mehrmals die Umstände seiner Geburt durch die glückliche Konstellation (die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau und außer des Mondes hatten alle Planeten freundliche oder neutrale Aspekte zu ihr). Im Gedicht Urworte. Orphisch taucht die Frage der astrologischen Determination mehrmals auf: „Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen, / Die Sonne stand zum Gruße der Planeten“ (Daimon – Dämon), „wie die Sterne wollten“ (Ananke – Nötigung). Das Gedicht Vom Vater hab ich die Statur (Zahme Xenien) handelt von den prägenden Eigenschaften der Ahnen und endet mit der Frage: „Was ist denn an dem ganzen Wicht / Original zu nennen?“

  29. Goethe, (Anm. 8) Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Erster Teil, S. 7. Die (heimliche) gesellschaftliche Geprägtheit ist das Thema des ersten Wilhelm Meister Romans (1778–1785), in dem es sich um eine Theatermission handelt.

  30. Cassirer (2008) 19.

  31. Faust I. Nacht

  32. Weimar, 17. März 1832.

  33. Cassirer (2008) 17.

  34. Der Wanderer.

  35. Im Mittelalter wies die Gattungsbezeichnung Komödie auf die Richtung der Handlung hin (wechselvoller Anfang, glückliches Ende), bzw. auf die ’niedere’ Sprache. Den zweiten Teil des Faust schrieb Goethe ausdrücklich für die Bühne, er fügte auch zahlreiche Regieanweisungen hinzu. Die gleiche Opposition verwendete Vossler, Karl (1927) I. 6.

  36. Einige Stellen, wo die Zeit als Gelegenheit eine besonders große Bedeutung hat: Faust sagt zu Chiron im Gespräch am unteren Peneios (Faust II, 2. Akt, Klassische Walpurgisnacht, Am unteren Peneios): „So sei auch sie durch keine Zeit gebunden!“; Manto: „Ich harre, mich umkreist die Zeit.“ (Ebd.). Faust wiederholt sich fast wörtlich vor der Wette und im Moment vor seinem Tod : „Werd' ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! du bist so schön!“ (Faust I, Studierzimmer (2)); „Zum Augenblicke dürft' ich sagen: / Verweile doch, du bist so schön!“ (Faust II, 5. Akt, Großer Vorhof des Palasts).

  37. Dadurch schwand Fausts Realitätsgefühl, er ’verlor’ die Erfahrung. Mephisto zum Baccalaureus: „Seit manchen Monden, einigen Sonnen / Erfahrungsfülle habt Ihr wohl gewonnen.“ (Faust II, 2. Akt, Hochgewölbtes enges gotisches Zimmer). Goethe, der 1786 in Rom ankam, verjüngte sich selbst auch um fünf Jahre. Nachdem er eine innere geistige Umwandlung erlebte, das Ich des Sturm und Drang ablegte und ein neues klassisches Ich annahm, meldete er sich bei der Parochie (Santa Maria del Popolo) in der Nähe seines Quartiers (Via del Corso, 18) als Philippo Miller deutscher Maler, der 32 Jahre alt ist. Außer der Angabe deutsch ist alles Fiktion (obwohl er auch malte und zeichnete, ein anderes Mal gab er sich als Händler aus). Die kasettendecke seines Zimmers war für ihn aus Marmor, seine Adresse gab er so an: dem Palazzo Rondanini gegenüber (in contro del Palazzo Rondanini).

  38. Die genaue Chronologie der im Frühling 1300 erlebten Vision kennen wir nicht. Umgerechnet auf Dantes Alter: er mag die Commedia vom 38/39. bis zum 56. Lebensjahr geschrieben haben. Goethe arbeitete ebenfalls bis zu seinem Tod an der endgültigen Form des Faust, den er auch selbst für das größte seiner Werke hielt, mit 25 Jahren verfasste er den Urfaust, mit 50 den ersten Teil der Tragödie und als 82 Jahre alter Greis den zweiten, das Ende.

  39. An Eckermann, am 6. Juni 1831.

  40. Gespräch zwischen Faust und der Sorge.

  41. Der Ausdruck über den christlichen Personalismus stammt von Boëthius. Vgl. Gilson (2000) 189–206.

  42. Sein Platz unter den Sodomiten weist wahrscheinlich auf seine Homosexualität hin.

  43. Zur christlichen Anthropologie vgl. Gilson, Étienne (2000) 172–188.

  44. Pg. XXV.70–75. Lo motor primo…spira / spirito nuovo, di vertù repleto / che ciò che trova attivo quivi, tira / in sua sustanzia, e fassi un’alma sola, / che vive e sente e sé in sé raggira.

  45. Er sagte im Juni 1831 zu Eckermann: „In diesen Versen ist der Schlüssel zu Fausts Rettung enthalten. In Faust selber eine immer höhere und reinere Tätigkeit bis ans Ende, und von oben die ihm zu Hilfe kommende ewige Liebe. Es steht dieses mit unserer religiösen Vorstellung durchaus in Harmonie, nach welcher wir nicht bloß durch eigene Kraft selig werden, sondern durch die hinzukommende göttliche Gnade.“

  46. „Nicht neu ist meinem Ohr solch übles Angeld; / Drum möge nur ihr Rad Fortuna rollen, / Mir gilt's, als ob der Bauer seinen Karst schwingt.“ (Die Hölle, XV. 94–96.)

  47. Die beiden Zitate: Das Paradies XXXIII.26–27: (supplica a te, per grazia, di virtute / ) tanto, che possa con gli occhi levarsi / più alto verso l’ultima salute. (Bernhard) 71–75: ch’una favilla sol de la tua gloria / possa lasciare a la futura gente; / ché, per tornare alquanto alla mia memoria / e per sonare un poco in questi versi, / più concepera di tua vittoria. (Dante) Die voneinander 46 Zeilen weit stehenden gleichen grammatikalischen Konstruktionen (possa… levarsi, possa lasciare…) veranschaulichen sehr gut den Zusammenhang der zweifachen Sendung.

  48. Goethe, Entwurf einer Farbenlehre, Didaktischer Teil, Einleitung.

  49. Pascal, Blaise, Pensées. Librairie Générale Française, 1972. 248. (555: Tu ne me chercherais pas si tu ne me possédais.

  50. Proömion, Das erste Gedicht im Band Gott und Welt.

  51. Goethe, Maximen und Reflexionen, Naturwissenschaft, XIV, 879.

  52. Eins und Alles.

  53. Gegen Mitte der 1820er Jahre beschäftigte seine Gedanken oft die Commedia und ihr Verfasser: 18. November 1824 (Gepräch mit Kanzler Müller), 3. Dezember 1824 (Gespräch mit Eckermann und Müller), 1826 (Die elegischen Dichter der Hellenen), 6–9 September 1826 (Briefe an Zelter), 7. August und 1. September 1828 (Briefe an Müller).

Referenzen

  • Cassirer, E. (2008). Goethe und die geschichtliche Welt, Hamburg, Felix Meiner Verlag, 1995; Rousseau, Kant, Goethe, Hamburg, Felix Meiner Verlag, 1991. (Trans.) Rousseau, Kant, Goethe. Atlantisz: Budapest.

  • Croce, B. (1946). Goethe. I–II. Bari: Laterza.

    Google Scholar 

  • Farinelli, A. (1922). Dante e Goethe. In Dante, Torino: Fratelli Bocca Editori.

  • Gilson, É. (2000). L’esprit de la Philosophie Médiévale. Paris: Librairie Philosophique J. Vrin, 1998. (Trans.) A keresztény filozófia szelleme. Budapest: Kairosz.

  • Goethes Werke. (1948–). Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Hamburg.

  • Vossler, K. (1927). La divina Commedia studiata nella sua genesi e interpretata I–IV. Bari: Laterza.

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Pál, J. Begnadigung und Sendung in Dantes Commedia und Goethes Faust. Neohelicon 39, 15–30 (2012). https://doi.org/10.1007/s11059-012-0141-1

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