Zusammenfassung
Die Verwendung der juristischen Kategorie des Ausländers in der amtlichen deutschen Statistik und in sozialwissenschaftlichen Darstellungen des Zuwanderungs- und Integrationsgeschehens wird in Frage gestellt. Einbürgerungen haben in der vergangenen Dekade zu einer bedeutsamen quantitativen Differenz zwischen dem Personenkreis der Ausländer und dem der Zuwanderer geführt. Juristische und administrative Determinanten der Einbürgerungspraxis führen zu unbekannten Selektivitätseffekten im übergang zwischen diesen Aggregaten, die die Bedeutung der Staatsangehörigkeit für sozialwissenschaftliche Betrachtungen zusehends unklar erscheinen lassen. Anhand zweier Stichproben zeigt der Beitrag, dass eingebürgerte Zuwanderer eine wesentlich günstigere sozioökonomische Platzierung aufweisen als Ausländer derselben Herkunft. Vor diesem Hintergrund wird der Schluss gezogen, dass jede Berichterstattung über den Stand der Integration von Zuwanderern in die vertikalen Strukturen der Aufnahmegesellschaft ein übermäßig pessimistisches Bild zeichnet, wenn sie nur Daten über Ausländer benutzt, da sie die unter Bildungs-, Beschäftigungs- und Einkommensaspekten erfolgreichsten Zuwanderer buchstäblich in der deutschen Bevölkerung versteckt. Die Forderung nach einer angemessenen Berücksichtigung Eingebürgerter in Erhebungsinstrumenten und Stichprobenverfahren wird erhoben.
Abstract
The use of the legal term “foreigner” in German official statistics and in sociological research on migration and integration is questioned. During the 1990s, naturalization has created a gap between the numbers of migrants and of foreigners. Legal and administrative factors cause an unobserved selectivity in the process of naturalization and increasingly blur the meaning of citizenship for social science purposes. Drawing on two German survey samples, the article reveals a considerably more favorable socio-economic placement of naturalized persons compared with foreigners of the same origin. Any stock-taking based on foreigners alone would exclude the most successful migrants in terms of education, labor market participation and income, and depict the participation of the immigrated population as overly deficient. An appropriate representation of naturalized people in official statistics is called for.
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Die dieser Analyse zu Grunde liegende Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert (Az. Al 143/3-1). Die Autoren danken dem Projektleiter, Prof. Günter Albrecht, und Christian Babka von Gostomski, Prof. Elmar Lange sowie den Herausgebern und einem anonymen Gutachter dieser Zeitschrift für Anregungen zu einer früheren Fassung des Manuskripts sowie Karsten Dogar für Unterstützung bei den Datenanalysen.
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Salentin, K., Wilkening, F. Ausländer, Eingebürgerte und das Problem einer realistischen Zuwanderer-Integrationsbilanz. Koelner Z.Soziol.u.Soz.Psychol 55, 278–298 (2003). https://doi.org/10.1007/s11577-003-0051-3
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