1 Einleitung

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Rahmenbedingungen im deutschen Hochschulsystem grundlegend verändert. Die Studienanfängerzahlen sind erheblich gestiegen (Statistisches Bundesamt 2017) und mit der Anrechnung beruflicher Kompetenzen wurden die Hochschulen für traditionell hochschulferne Gruppen weiter geöffnet (Freitag 2009). Mittlerweile gelangt ein deutlich größerer Anteil der Bevölkerung über zunehmend unterschiedliche Bildungswege ins Studium. Darüber hinaus wurde mit der Bologna Reform (1999) eine binäre Studienstruktur eingeführt, die das Studium in verschiedene Bildungsphasen (Bachelor/Master) unterteilt und mit der Modularisierung des Studiums darauf abzielt, die Studienbedingungen zu verbessern. Inwieweit unter diesen veränderten Rahmenbedingungen weiterhin soziale Ungleichheiten bestehen, wurde bereits in vielen verschiedenen Studien aus unterschiedlichen Ungleichheitsperspektiven untersucht. Aus der vorliegenden Forschungsliteratur geht hervor, dass beim Zugang zum Studium insbesondere Unterschiede nach sozialer Herkunft (Watermann et al. 2014) und Geschlecht (Lörz et al. 2011) bestehen und im weiteren Studienverlauf Studierende aus weniger privilegierten Familien das Studium häufiger abbrechen (Sarcletti und Müller 2011; Isleib und Heublein 2016) und auf ein Masterstudium verzichten (Lörz et al. 2015; Neugebauer et al. 2016). Mit Blick auf die migrationsspezifischen Ungleichheiten sieht die Befundlage in Deutschland weniger eindeutig aus. Verschiedene Studien berichten, dass beim Übergang ins Studium keine migrationsspezifischen Unterschiede bestehen und sprechen teilweise sogar von einem Vorteil der Studienberechtigten mit Migrationshintergrund (Kristen et al. 2008; Kristen 2016). Auch beim Übergang ins Masterstudium sind nach Sarcletti (2015) keine migrationsspezifischen Unterschiede zu beobachten. Hinsichtlich des erfolgreichen Absolvierens eines Studiums zeigt sich jedoch, dass bestimmte Migrantengruppen vor größeren Problemen stehen und das Studium häufiger abbrechen (Brinbaum und Guégnard 2013; Ebert und Heublein 2017).

Mit Blick auf die neuen Studienbedingungen hat die Ungleichheitsforschung demnach bereits wichtige Erkenntnisse zu einzelnen Bildungsphasen und Ungleichheitsformen erzielt. Viele der vorliegenden Studien konzentrieren sich dabei jedoch auf einzelne Ungleichheitsdimensionen (Geschlecht, soziale Herkunft, Migration) in ganz bestimmten Bildungsphasen. Diese Konzentration auf bestimmte Ausschnitte der Bildungskarriere und bestimmte Ungleichheiten hat den Vorteil, die Mechanismen für eine spezielle Fragestellung genau herauszuarbeiten. Es ist allerdings unklar, welche der verschiedenen Ungleichheiten (Geschlecht, Herkunft, Migration) in welchen Bildungsphasen von besonderer Tragweite sind und inwieweit zwischen den verschiedenen Ungleichheitsformen Zusammenhänge bestehen. Diese Feinheiten in der Reproduktion sozialer Ungleichheiten herauszuarbeiten ist gerade in Deutschland von besonderer Relevanz, da an einen Bildungsabschluss sehr unterschiedliche weiterführende Karrierewege und Lebenschancen geknüpft sind (Leuze und Lörz 2018) und angesichts der bestehenden Ungleichheiten, die vorliegenden Bildungspotentiale nicht effizient genutzt werden. Da im Zuge der Bildungsexpansion mittlerweile mehr als die Hälfte der Bevölkerung die Möglichkeit erhält zu studieren, kommt dem Hochschulsystem bei der Rekrutierung der Bildungsreserven und der Wahrung von Chancengleichheit eine zunehmende Bedeutung zu. Möchte man konkrete bildungspolitische Maßnahmen ergreifen, um das Ausmaß sozialer Ungleichheiten im Hochschulbereich abzubauen, ist es jedoch zunächst wichtig herauszufinden, inwieweit auch im Hochschulbereich soziale Ungleichheiten bestehen und welche Risikogruppen in welchen Bildungsphasen besonders benachteiligt sind.

In der qualitativen Ungleichheitsforschung wird in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend mit dem Konzept der Intersektionalität gearbeitet (für einen Überblick siehe Gross et al. 2016). Grundgedanke hierbei ist es, die Wirkung verschiedener Ungleichheitsdimensionen in ihren Konsequenzen für den individuellen Bildungsverlauf herauszuarbeiten. Wenngleich auf Basis dieser Studien auch für den Hochschulbereich bereits wichtige Erkenntnisse erzielt wurden, stellt sich dennoch aus quantitativ empirischer Perspektive die Frage, inwieweit im Hochschulbereich solche Zusammenhänge in statistisch relevanter Weise überhaupt auftreten. Denn mit Blick auf die starken Selektionsprozesse auf den vorgelagerten Bildungsstufen könnte man durchaus erwarten, dass die sozialen Ungleichheiten im Hochschulbereich eher gering ausfallen. Der vorliegende Beitrag nimmt daher eine Intersektionalitätsperspektive ein und möchte neben einer Begriffsbestimmung zeigen, welche Ungleichheitsformen (Geschlecht, Herkunft, Migration) im Hochschulbereich von zentraler Bedeutung sind (i), in welchen Bildungsphasen zwischen Abitur und Hochschulabschluss diese Ungleichheiten besonders hervortreten (ii) und inwieweit zwischen den verschiedenen Ungleichheitsdimensionen sich verstärkendeFootnote 1 Zusammenhänge bestehen (iii). Hierfür werden im nächsten Abschnitt zunächst verschiedene theoretische Überlegungen skizziert (Abschn. 2). Anschließend erfolgt die Beschreibung der verwendeten Daten und Methoden (Abschn. 3). Im vierten Abschnitt werden auf Basis logistischer Regressionen die theoretischen Überlegungen getestet und die Risikogruppen herausgearbeitet. Abschließend werden die Ergebnisse mit Blick auf bildungspolitische Implikationen diskutiert (Abschn. 5).

2 Theoretische Überlegungen

Aus Intersektionalitätsperspektive sind die Ungleichheitsfaktoren Geschlecht, Herkunft und Migration nicht isoliert zu betrachten, sondern hängen unmittelbar miteinander zusammen (Winker und Degele 2009) und können je nach Kontext eine unterschiedliche Wirkung entfalten (Gross et al. 2016). Im Mittelpunkt steht demnach nicht eine einzelne Ungleichheitsdimension, sondern das Zusammenspiel verschiedener Ungleichheitsdimensionen und deren Auswirkungen auf die Bildungsbeteiligung. Der Begriff der „Intersektionalität“ wurde stark in den 1990er Jahren von der qualitativen Geschlechterforschung geprägt (Crenshaw 1991) und findet in diesem Bereich breite Anwendung (Andersen und Collins 1992; Biraimah 1994; King et al. 2010). Nach Gottburgsen und Gross (2012) spielt demgegenüber das Intersektionalitätskonzept in der quantitativ empirischen Bildungsforschung kaum eine Rolle. Bei genauerer Durchsicht der Forschungsliteratur wird allerdings schnell ersichtlich, dass der Intersektionalitätsgedanke auch in der quantitativ empirischen Bildungsforschung bereits seit Jahren fest verankert ist.

Der Gedanke der Intersektionalität findet sich bereits bei der von Dahrendorf (1965) entworfenen Kunstfigur des „katholischen Arbeitermädchens vom Lande“ oder in der neuzeitlichen Fassung von Geißler (2005), dem „Migrantensohn aus bildungsschwachen Familien“. Diesem Strang an Studien ist es gemein, aus den verschiedenen Ungleichheitsbefunden zu Geschlecht, sozialer Herkunft und Migrationshintergrund eine so genannte Risikogruppe zu konstruieren, die besondere Schwierigkeiten im Bildungssystem hat (Helbig und Schneider 2014). Da bei dieser Risikogruppenbeschreibung allerdings keine sich gegenseitig verstärkenden bzw. abschwächenden Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Ungleichheitsdimensionen im Kern besprochen werden, handelt es sich dabei vielmehr um eine Kumulation verschiedener Einflussgrößen. Nach Hadjar und Hupka-Brunner (2013) ist dies als additiver Effekt verschiedener Ungleichheitsdimensionen zu bezeichnen.

Ein weiterer Strang an quantitativ empirischen Studien legt den Fokus stärker auf die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Ungleichheitsdimensionen bzw. die divergierenden Mechanismen. Hierbei steht der multiplikative Effekt verschiedener Ungleichheitsdimensionen im Fokus und es wird der Frage nachgegangen, inwieweit sich die Mechanismen zwischen den verschiedenen Merkmalsgruppen unterscheiden. Diese Studien kommen dem Intersektionalitätsgedanken, welcher von einer so genannten „Verwobenheit“, „Überlappung“ oder „Kreuzung“ verschiedener Ungleichheitsdimensionen ausgeht (Knapp 2008; Klinger 2008; Winker und Degele 2009), am nächsten. So können Becker und Müller (2011) zeigen, dass im Sekundarschulbereich Mädchen aus Arbeiterfamilien zu den Gewinnern der Bildungsexpansion gehören, während sich diese Merkmalskombination negativ auf den Übergang ins Studium auswirkt (Müller und Pollak 2004). Auch mit Blick auf Geschlecht und Migrationshintergrund zeigt sich, dass insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund seltener ein Studium aufnehmen (Griga et al. 2013). Neben den unterschiedlichen Auswirkungen auf die Bildungsentscheidungen an den Übergängen des Bildungssystems finden sich auch einige Studien, die sich mit den Auswirkungen verschiedener Ungleichheitsdimensionen auf die Leistungen innerhalb einzelner Bildungsetappen auseinandersetzen (bspw. Maaz et al. 2017; Lühe et al. 2017; Becker und McElvany 2017). Hierbei zeigt sich im Schulbereich, dass Männer aus weniger privilegierten Familien größere Schwierigkeiten haben die erforderlichen Leistungen zu erbringen (Legewie und DiPrete 2012).

Darüber hinaus geht aus der vorliegenden Literatur hervor, dass sich die Ungleichheitsmechanismen in den verschiedenen Lebensphasen und -kontexten erheblich unterscheiden. So wird bei Lörz und Mühleck (2018) deutlich, dass die Geburt eines Kindes bei Frauen häufiger einen Studien- oder Promotionsabbruch hervorruft, während bei Männern die Geburt eines Kindes eher dazu führt, dass erst gar kein Studium oder eine Promotion aufgenommen wird. Die Mechanismen unterscheiden sich demnach nicht nur zwischen den verschiedenen Ungleichheitsdimensionen, sondern auch hinsichtlich der betrachteten Bildungsetappe. Die quantitativ empirische Forschung verwendet hierbei zwar nicht immer explizit den Begriff der „Intersektionalität“, untersucht aber im Grunde ähnliche Mechanismen, nur unter der Verwendung von Begriffen wie „Interaktion“ oder im Rahmen von „getrennten Modellen“. Während solche Interaktionseffekte in der Schulforschung bereits in verschiedener Weise herausgearbeitet wurden (Gross et al. 2016), ist für den Hochschulbereich weitgehend unklar, ob und wenn ja in welchen Phasen des Studiums solche Interaktionseffekte auftreten. Auf Basis der systematischen Unterscheidung von additiven und multiplikativen Effekten verschiedener Ungleichheitsdimensionen stellt sich daher im Folgenden aus Lebensverlaufsperspektive die Frage, in welchen Bildungsphasen zwischen Abitur und Hochschulabschluss die verschiedenen Ungleichheiten in welcher Konstellation auftreten (additive Effekte, siehe Abschn. 2.1) und in welchen Situationen sich gegenseitig verstärkende Effekte zwischen verschiedenen Ungleichheitsdimensionen zu erwarten sind (multiplikative Effekte, siehe Abschn. 2.2).

2.1 In welchen Bildungsphasen sind soziale Ungleichheiten zu erwarten?

Der Abschluss eines Studiums wird in der Bildungsforschung oftmals als das Ergebnis eines mehrstufigen, sequentiellen Entscheidungsprozesses beschrieben (Kristen 1999). Demnach stehen die Schülerinnen und Schüler im Laufe ihrer Bildungskarriere zu verschiedenen Zeitpunkten vor der Entscheidung den Bildungsweg fortzuführen oder das Bildungssystem vorzeitig zu verlassen (Erikson und Jonsson 1996). Mare (1980) teilt die Bildungskarriere dementsprechend in verschiedene Etappen ein und kann zeigen, dass die sozialen Ungleichheiten am Anfang der Bildungskarriere deutlich ausgeprägter ausfallen als am Ende. Die Ursache hierfür liegt nach Mare (1980) hauptsächlich in einer von Bildungsstufe zu Bildungsstufe (leistungsbezogen) immer homogener werdenden Gruppe. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Lörz und Schindler (2016) mit Blick auf das deutsche Hochschulsystem, zudem geht aus ihren Befunden hervor, dass es immer dann zu einer Vergrößerung sozialer Ungleichheiten kommt, wenn richtungsweisende Entscheidungen im Bildungsverlauf anstehen (Bildungsübergänge).

Vor dem Hintergrund der vorgelagerten Selektionsprozesse im Sekundarschulbereich sowie der im Zuge der Bologna Reform neu gegliederten Studienstruktur (Bachelor/Master), stellt sich nun die Frage, in welcher Phase zwischen Studienaufnahme und Studienabschluss immer noch soziale Ungleichheiten zu erwarten sind. Da sich die Ursachen für herkunfts-, geschlechts- und migrationsspezifischer Unterschiede im Bildungssystem erheblich unterscheiden, werden im nachfolgenden Abschnitt die für den Hochschulbereich zu erwartenden Unterschiede zunächst für jede Ungleichheitsdimension separat besprochen.

Mit Blick auf die soziale Herkunft wäre aus Perspektive der Statusreproduktionstheorie (Boudon 1974; Esser 1999) zu erwarten, dass privilegierte Sozialgruppen deutlich häufiger ein Studium aufnehmen und sich nach Abschluss des Bachelorstudiums auch häufiger für ein zeitlich längeres Masterstudium entscheiden. Ein zentrales Argument ist in diesem Zusammenhang die unterschiedliche Möglichkeit, die Kosten eines längeren Bildungsweges zu tragen (Becker 2011; Lörz 2012). Darüber hinaus führen die unterschiedlichen Erwartungshaltungen der Eltern zu herkunftsspezifischen Bildungs- und Karriereambitionen (Erikson und Jonsson 1996), welche die Investition in höhere Bildung in einem anderen Licht erscheinen lässt. Vor dem Hintergrund der Theorie kultureller Reproduktion (Bourdieu 1982) wäre zudem davon auszugehen, dass aufgrund einer unterschiedlichen Vertrautheit mit dem Hochschulbereich und unterschiedlichen Lerngelegenheiten in den Herkunftsmilieus, die Studierenden aus weniger privilegierten Familien bei der Bewältigung des Studiums größere Probleme haben und seltener die für einen Studienabschluss erforderlichen Leistungen erzielen. Boudon (1974) spricht in diesem Zusammenhang von einem primären Herkunftseffekt, welcher sich sowohl auf den Bildungserfolg als auch auf die Bildungsentscheidungen auswirken kann. Die soziale Herkunft sollte sich demnach aus ganz verschiedenen Gründen in allen Bildungsphasen auf den Verbleib im Hochschulbereich auswirken.

Hinsichtlich der Unterschiede nach Geschlecht, wäre mit Blick auf klassische Geschlechterrollenstereotype (Ruble et al. 2006) und Rollenvorbilder (Busch-Heizmann 2015) zu erwarten, dass Männer und Frauen unterschiedliche Lebenspläne verfolgen und bei der Karriereplanung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in unterschiedlichem Maße berücksichtigten. Wenngleich sich die traditionellen Geschlechterrollenvorstellungen in den vergangenen Jahrzehnten erheblich reduziert haben (Knight und Brinton 2017), so haben diese nach Cattaneo et al. (2017) in manchen Ländern immer noch einen starken Einfluss auf die Bildungsbeteiligung. Mit Blick auf die Rahmenbedingungen in Deutschland und dem Male Breadwinner Modell (Pfau-Effinger 2004) wäre durchaus zu erwarten, dass sich Männer häufiger die Rolle des Familienernährers zuschreiben und folglich häufiger ein Studium bzw. ein Masterstudium aufnehmen. Aus Perspektive der Humankapitaltheorie (Becker 1964) dürfte dieses geschlechtsspezifische Investitionsverhalten im Hochschulbereich auch damit zusammenhängen, dass auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich geschlechtsspezifische Lohnungleichheiten bestehen (Leuze und Strauß 2014) und mögliche Erwerbsunterbrechungen sowie Diskriminierungsprozesse bereits bei den Bildungsentscheidungen von den Frauen antizipiert werden. Mit Blick auf den Studienverlauf und die Frage, wer das Studium abbricht, könnte man demgegenüber einerseits erwarten, dass Frauen das Studium mit einer höheren Wahrscheinlichkeit meistern, da sie auch im Sekundarschulbereich vorteilhafte Leistungen erbringen (Lühe et al. 2017). Andererseits sind Frauen im Falle einer Familiengründung häufiger von familiären Verpflichtungen betroffen, welche sich negativ auf den weiteren Studienverlauf auswirken. Insbesondere für Frauen erhöht die Geburt eines Kindes das Risiko eines Studienabbruchs (Lörz und Mühleck 2018). Hinsichtlich des Studienerfolgs sind demnach gegenläufige Prozesse zu erwarten und es lassen sich keine eindeutigen Erwartungen bezüglich der Richtung der Geschlechterunterschiede formulieren. Geschlechtsspezifische Unterschiede im Hochschulbereich sind demnach vorwiegend bei den Entscheidungen an den Bildungsübergängen zu erwarten.

Mit Blick auf die höheren Bildungsaspirationen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund (Gresch et al. 2012; Becker und Gresch 2016) wäre zunächst davon auszugehen, dass auch mit Blick auf den Hochschulbereich Studienberechtigte mit Migrationshintergrund häufiger ein Studium aufnehmen und häufiger einen Masterabschluss anstreben. Mit Blick auf primäre und sekundäre Herkunftseffekte (Boudon 1974) könnten jedoch Sprachdefizite und eine vermutlich geringere Vertrautheit mit dem deutschen Hochschulsystem wiederum dazu führen, dass Studienberechtigte mit Migrationshintergrund von der Aufnahme eines Studiums und dem Übergang in ein Masterstudium absehen. Umgekehrt argumentieren Kristen et al. (2008) jedoch, dass die geringere Vertrautheit mit dem dualen Berufsausbildungssystem, die Schülerinnen und Schüler vielmehr zur Aufnahme eines Studiums veranlasst. Die aus theoretischer Perspektive zu erwartende Richtung migrationsspezifischer Unterschiede an den Übergängen des Hochschulbereichs ist demnach nicht eindeutig. Obwohl es sich an der Schwelle zum Studium bereits um eine leistungsbezogen stark vorselektierte Gruppe handelt, zeigen sich nach Hinz und Thielemann (2013) hinsichtlich der Bewältigung eines Studiums bei den Studierenden mit Migrationshintergrund tendenziell größere Schwierigkeiten. Mit Blick auf den Studienverlauf und die Frage, wer das Studium abbricht, wäre daher zu erwarten, dass Studierende mit Migrationshintergrund häufiger das Studium abbrechen.

Zusammengefasst ist auf Basis der in Tab. 1 skizzierten theoretischen Überlegungen zu erwarten, dass hinsichtlich der Studienaufnahme und des Übergangs ins Masterstudium insbesondere „Frauen aus weniger privilegierten Familien“ eine Risikogruppe darstellen. Hinsichtlich des erfolgreichen Studienabschlusses ist dagegen bei „Studierenden mit Migrationshintergrund aus weniger privilegierten Familien“ ein erhöhtes Abbruchrisiko zu erwarten.

Tab. 1 Schematische Darstellung der theoretischen Erwartungen (additive Effekte)

2.2 Zwischen welchen Ungleichheitsdimensionen sind Interaktionseffekte zu erwarten?

Dass auch unter den neuen Studienbedingungen im Hochschulbereich Unterschiede nach Geschlecht, sozialer Herkunft und Migration zu erwarten sind, geht zum Teil bereits aus aktuellen Untersuchungen hervor (Lörz und Quast 2019). Es ist allerdings weitgehend unklar, welche Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Ungleichheitsdimensionen bestehen und in welchen Phasen des Studienverlaufs diese Zusammenhänge sichtbar werden. Ein Teil der Studien, die sich mit der Intersektionalitätsthematik befassen, formulieren hinsichtlich der zu erwartenden Zusammenhänge und zugrundeliegenden Mechanismen im Vorfeld keine eindeutigen theoretischen Erwartungen, sondern gehen die Analyse ergebnisoffen an. Ein solches exploratives Vorgehen ist jedoch angesichts des aktuellen Erkenntnisstandes nicht unbedingt notwendig. Insbesondere mit Blick auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Bildungssystem gibt es bereits fundierte theoretische Überlegungen (Hadjar und Hupka-Brunner 2013), warum verstärkende Effekte zwischen den verschiedenen Ungleichheitsachsen zu erwarten sind.

Soziale Herkunft und Geschlecht

Wie bereits im vorangegangenen Abschnitt beschrieben, könnte ein unterschiedliches Bildungsverhalten von Männern und Frauen mit Geschlechterstereotypen und traditionellen Rollenvorstellungen zusammenhängen. Ein solches Rollenverständnis wird über Sozialisationsprozesse im Elternhaus vermittelt und hängt unmittelbar mit den Vorbildern im Elternhaus zusammen (Bussey und Bandura 1999). Nach Lupatsch und Hadjar (2011) variiert ein traditionelles Rollenverständnis erheblich mit dem Qualifikationsstand, weswegen es – in Anlehnung an die oben skizzierten Überlegungen hinsichtlich des Male Breadwinner Modells – durchaus möglich ist, dass Frauen aus weniger privilegierten Familien familienorientierte Lebenspläne verfolgen und beim Übergang ins Studium sowie beim Übergang ins Masterstudium seltener einen akademischen Karriereweg einschlagen. Es wäre demnach davon auszugehen, dass sich diese in weniger privilegierten Familien stärker vertretenen tradierten Geschlechterrollenvorstellungen insbesondere an den Übergängen des Hochschulsystems zeigen, an denen richtungsweisende Entscheidungen hinsichtlich des weiteren Bildungs- und Berufsweges getroffen werden. Hinsichtlich des Studienerfolgs finden sich demgegenüber auf den ersten Blick keine eindeutigen Argumente, warum verstärkende Zusammenhänge zwischen den beiden Ungleichheitsdimensionen zu erwarten wären. Der Studienerfolg sollte in diesem Zusammenhang in höherem Maße von individuellen Leistungen geprägt sein und weniger von den Geschlechterrollenvorstellungen in den verschiedenen Herkunftsgruppen.Footnote 2

Geschlecht und Migrationshintergrund

Ähnlich zu der oben angeführten Argumentation zum Zusammenhang von Geschlecht und sozialer Herkunft, dürfte auch ein sich gegenseitig verstärkender Effekt von Geschlecht und Migrationshintergrund ausgehen. So können Becher und El-Menouar (2014) zeigen, dass in Migrantenfamilien etwas häufiger tradierte Geschlechterrollenvorstellungen anzutreffen sind. Nach Griga et al. (2013) können sich solche traditionelleren Sichtweisen negativ auf das Bildungsverhalten der Mädchen bzw. das Investitionsverhalten der Familien in Mädchen auswirken. Diesen Überlegungen zufolge, sollten insbesondere Männer mit Migrationshintergrund in höherem Maße sich die Rolle des Familienernährers zuschreiben und lukrativere Karrierewege anstreben. Diesen Überlegungen folgend sollten Männer mit Migrationshintergrund deutlich häufiger als Frauen mit Migrationshintergrund einen Studien- bzw. Masterabschluss anstreben. Ähnlich zu den im vorangegangenen Abschnitt skizzierten Überlegungen sollten sich diese verstärkenden Zusammenhänge auf die Bildungsentscheidungen an den Übergängen des Hochschulsystems beschränken und hinsichtlich des Studienabbruchs keine Interaktionseffekte aus Migration und Geschlecht zu erwarten sein. Außerdem sollte die im Lebensverlauf zunehmende Unabhängigkeit der Bildungsentscheidungen von den Rahmenbedingungen im Elternhaus (Müller und Karle 1993) dazu führen, dass die geschlechtsspezifischen Interaktionseffekte in beiden Fällen (Migration und soziale Herkunft) an früheren Übergängen stärker ausfallen als an späteren Übergängen.

Migrationshintergrund und soziale Herkunft

Zusammenhänge zwischen Migrationshintergrund und sozialer Herkunft bestehen in Deutschland dahingehend, dass Schülerinnen und Schüler aus Migrantenfamilien oftmals zugleich Zuhause weniger günstige sozioökonomische Rahmenbedingungen vorfinden. Die beiden Merkmale sind demnach eng miteinander korreliert und ein großer Teil der migrationsspezifischen Unterschiede in der Bildungsbeteiligung lässt sich auf soziale Herkunftsunterschiede zurückführen (Dollmann 2017). Hierbei handelt es sich aber nicht um einen multiplikativ verstärkenden Effekt verschiedener Ungleichheitsdimensionen, sondern vielmehr um einen (Schein‑)Effekt der Migration, der über soziale Herkunftsunterschiede zustande kommt (Gresch 2012). Auch hinsichtlich des Studienabbruchs ist auf den ersten Blick nicht zu erwarten, dass sich Migration und soziale Herkunft zusätzlich verstärkend negativ auf den Studienerfolg auswirken. Wir gehen zwar davon aus, dass diese Risikogruppe aufgrund einer unterschiedlichen Vertrautheit mit dem deutschen Hochschulsystem und nachteiliger Unterstützungsmöglichkeiten im Elternhaus besonders häufig das Studium abbricht (additiver Effekt), es ist aber vor dem Hintergrund der bisherigen theoretischen Überlegungen nicht zu erwarten, dass von dieser Merkmalskombination eine zusätzlich multiplikativ verstärkende Wirkung ausgeht.

Fasst man in Tab. 2 die theoretischen Überlegungen hinsichtlich der multiplikativen Verknüpfung verschiedener Ungleichheitsdimensionen zusammen, so wären lediglich an den Übergangsschwellen des Hochschulsystems Interaktionseffekte von sozialer Herkunft und Geschlecht sowie Migrationshintergrund und Geschlecht zu erwarten.Footnote 3

Tab. 2 Schematische Darstellung der theoretischen Erwartungen (multiplikative Effekte)

3 Daten, Variablen und Methoden

3.1 Daten

Zur Überprüfung der theoretischen Überlegungen werden im Folgenden die Daten der Studienberechtigtenbefragung 2010 verwendet. Hierbei handelt es sich um eine bundesweit repräsentative Paneluntersuchung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) zu den nachschulischen Werdegängen von studienberechtigten Schülerinnen und Schüler, die im Jahr 2010 die Hochschulreife erworben haben (Lörz et al. 2011). Diese Schülerinnen und Schüler wurden ein halbes Jahr vor Schulabgang (1. Welle), ein halbes Jahr nach Schulabgang (2. Welle) sowie viereinhalb Jahre nach Schulabgang (3. Welle) über ihre Pläne, Motive sowie bisherigen und zukünftigen Werdegänge schriftlich befragt. Der Großteil dieser Studienberechtigtenkohorte hat zwischen 2010 und 2015 ein Studium aufgenommen und etwa die Hälfte hat dieses bereits erfolgreich abgeschlossen bzw. befindet sich bereits in einem weiterführenden Masterstudiengang (Spangenberg und Quast 2016). In der ersten Befragung (Dezember 2009) nahmen 29.557 Schülerinnen und Schüler an der Untersuchung teil (Rücklaufquote: 49 %). Aufgrund einer eingeschränkten Teilnahmebereitschaft bei den weiteren Befragungswellen (77 %) sowie aufgrund von Panelmortalität (2. Welle: 61 %; 3. Welle: 62 %) verbleiben in der dritten Befragung lediglich 5160 Fälle (Dezember 2014). Nach Ausschluss von fehlenden Werten (n = 69) reduziert sich das Analysesample auf 5091 Fälle. Um systematische Verzerrungen auszuschließen, werden die Daten anhand der amtlichen Statistik gewichtet (nach Bundesland, Schulart, Abschlussart und Geschlecht) und die Ausfallprozesse zwischen der ersten und dritten Erhebungswelle bei der Berechnung der Gewichtungsfaktoren berücksichtigt.

3.2 Variablen

In den nachfolgenden Abschnitten stehen die Bildungsverläufe nach Erwerb der Hochschulreife im Vordergrund. Hierbei betrachten wir die sozialen Ungleichheiten bei der Entscheidung ein Studium aufzunehmen (A), im Studienverlauf das begonnene Studium abzuschließen (B)Footnote 4 und nach Abschluss des Bachelorstudiums ein weiterführendes Masterstudium aufzunehmen (C). Wir haben demnach drei verschiedene dummykodierte abhängige Variablen, die aufgrund des sequentiellen Bildungsverlaufs jeweils auf einem sukzessive verkleinerten Analysesample beruhen (siehe Abb. 1).

  • (A) Wer nimmt ein Studium auf (YA = 1) und wer nicht (YA = 0)

  • (B) Wer wird das Studium abschließen (YB = 1) und wer nicht (YB = 0)

  • (C) Wer nimmt ein Masterstudium auf (YC = 1) und wer nicht (YC = 0)

Abb. 1
figure 1

Übergangsquoten zwischen Erwerb der Hochschulreife und Aufnahme eines Masterstudiums

Aufgrund der teilweise unterschiedlichen Zeitpunkte des Studienbeginns setzen sich diese Variablen sowohl aus bereits realisierten Entscheidungen als auch aus fest intendierten Absichten zusammen. Von der Kohorte 2010 haben im Dezember 2014 bereits 79 % ein Studium aufgenommen und 1 % planen ein solches sicher ein. Das Masterstudium haben zu diesem Zeitpunkt demgegenüber erst 34 % aufgenommen und 31 % planen ein solches Masterstudium in den nächsten Jahren noch aufzunehmen. Mit diesen Hybridvariablen lässt sich das Ausmaß sozialer Ungleichheit zwar nicht exakt bestimmen, allerdings fallen die Verzerrungen durch den unterschiedlichen Studienbeginn deutlich geringer aus als bei einer Beschränkung auf die Studienberechtigten, die ihre Entscheidungen zum Beobachtungszeitpunkt bereits realisiert haben. Da zudem zwischen Intention und Realisierung ein enger Zusammenhang besteht und hierbei Prozesse sozialer Ungleichheit zu beobachten sind, ist davon auszugehen, dass mit diesen Variablen der untere Rand sozialer Ungleichheit abgebildet wird (konservative Schätzung). Aufgrund der sequentiellen Verknüpfung der verschiedenen Bildungsentscheidungen, verkleinert sich das Analysesample sukzessive vom ersten (n = 5091 Fälle), über den zweiten (n = 4111 Fälle) bis zum dritten Untersuchungsschritt auf 3028 Fälle. Zudem bezieht sich die Analyse hinsichtlich der Aufnahme eines Masterstudiums (C) lediglich auf die Bachelorstudierenden, da in den traditionellen Studiengängen eine Masteraufnahme eher die Ausnahme darstellt.

Die zentralen unabhängigen Variablen beziehen sich jeweils auf die sozialen Ungleichheitsdimensionen Geschlecht, soziale Herkunft und den Migrationshintergrund. Da in diesem Beitrag insbesondere die Analyse intersektionaler Zusammenhänge im Vordergrund steht, werden diese Konzepte zunächst als dichotome Variablen in der Analyse berücksichtigt. Zwar lässt sich das genaue Ausmaß herkunfts- und migrationsspezifischer Unterschiede erst bei Verwendung differenzierterer Operationalisierungskonzepte exakt aufzeigen (bspw. soziale Herkunft über das Berufsprestige der Eltern oder der Migrationshintergrund über den Generationenstatus oder die konkreten Herkunftsländer), allerdings besteht das Ziel dieses Beitrags zunächst darin grundsätzliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Ungleichheitsdimensionen aufzuzeigen. Zudem würde eine solche Differenzierung sich zu Lasten der Vergleichbarkeit und der Nachvollziehbarkeit der intersektionalen Zusammenhänge auswirken. Zwar ist insbesondere mit Blick auf die heterogene Zusammensetzung der Migrantengruppe davon auszugehen, dass auf diese Weise das Ausmaß sozialer Ungleichheit unterschätzt wird, da sich das Bildungsverhalten zwischen den Migrantengruppen aus verschiedenen Ländern erheblich unterscheidet (Griga et al. 2013). Daher findet sich im Anhang dieses Beitrags zusätzlich eine differenziertere Aufschlüsselung der Herkunfts- und Migrationseffekte (vgl. Tab. 4 und 5 im Anhang), auf welche an einzelnen Stellen der Untersuchung genauer eingegangenen wird.

Das Geschlecht wird über eine dichotome Variable mit den Ausprägungen Frau (XG = 1) und Mann (XG = 0) abgebildet. Weitere Differenzierungslinien hinsichtlich der Mehrgeschlechtlichkeit oder feineren Abstufungen von Männlichkeit und Weiblichkeit sind mit den vorliegenden Daten nicht möglich.

Die soziale Herkunft wird über den höchsten Bildungsabschluss der Eltern ebenfalls in Form einer dichotomen Variablen abgetragen: Kein Elternteil mit Hochschulabschluss (XH = 1) und mindestens ein Elternteil mit Hochschulabschluss (XH = 0). In Tab. 4 und 5 im Anhang findet sich zudem eine differenziertere Herkunftsanalyse mit einer trichotomen Aufteilung des Herkunftskonzepts.

Für den Migrationshintergrund wird das Geburtsland der Eltern berücksichtigt: Mindestens ein Elternteil im Ausland geboren (XM = 1) und kein Elternteil im Ausland geboren (XM = 0). In Tab. 4 im Anhang findet sich zudem eine differenziertere Migrationsanalyse mit einer trichotomen Aufteilung des Migrationskonzepts.

Um aufzuzeigen, inwieweit gemeinsame verstärkende bzw. abschwächende Effekte von den verschiedenen Ungleichheitsdimensionen ausgehen, verwenden wir sogenannte Interaktionsterme aus Geschlecht und sozialer Herkunft (XGH = XG * XH), Geschlecht und Migrationshintergrund (XGM = XG * XM) sowie Migrationshintergrund und soziale Herkunft (XMH = XM * XH). Da es sich bei diesem Beitrag um eine erste Bestandsaufnahme der verschiedenen Ungleichheitseffekte handelt, werden in der Analyse keine weiteren (erklärenden) Kontrollvariablen berücksichtigt.

3.3 Methoden

Für die Überprüfung der im theoretischen Teil skizzierten Überlegungen wird in drei Analyseschritten vorgegangen. In einem ersten Schritt wird auf Basis logistischer Regressionen überprüft, in welchen Bildungsphasen sich Ungleichheiten nach Geschlecht, sozialer Herkunft und Migration zeigen (additive Effekte). In einem zweiten Schritt wird ebenfalls im Rahmen einer logistischen Regressionsanalyse anhand der Interaktionsterme überprüft, in welchen Bildungsphasen von den drei Ungleichheitsvariablen im Zusammenspiel verstärkende Effekte ausgehen (multiplikative Effekte). In Ergänzung zu den Interaktionstermen findet sich im Anhang, unter Verwendung einer verbesserten Konzeptualisierung von sozialer Herkunft und Migration, eine differenziertere Aufschlüsselung der unterschiedlichen Effekte in getrennten Analysemodellen (siehe Tab. 4 und 5 im Anhang). In einem abschließenden dritten Schritt werden für jede der drei Bildungsphasen so genannte Risikogruppen herausgearbeitet (additive + multiplikative Effekte). Die Ergebnisse werden jeweils in Form von average marginal effects dargestellt (Mood 2010). Diese geben an, inwieweit sich die Wahrscheinlichkeit für die Fortführung des Bildungsweges (Studium, Abschluss, Masterstudium) ändert, wenn die jeweilige unabhängige Variable um eine Einheit erhöht wird. Da bei Interaktionseffekten die marginalen Effekte jedoch nicht korrekt geschätzt werden (Williams 2012), werden zur Absicherung der Befunde zusätzlich getrennte Modelle berechnet (siehe Tab. 4 und 5 im Anhang) und Odds Ratios ausgewiesen (siehe Tab. 6 im Anhang).

4 Ergebnisse

In Tab. 3 werden die Ergebnisse verschiedener logistischer Regressionsanalysen am Übergang ins Studium (A), hinsichtlich des Abschlusses eines Studiums (B) und am Übergang ins Masterstudium (C) dargestellt.

Tab. 3 Ergebnisse logistischer Regression – Average mariginal Effects (AME). (DZHW-Studienberechtigtenpanel 2010 (3. Welle))

Mit Blick auf die Basiseffekte zeigt sich, dass am Übergang ins Studium (A) insbesondere herkunfts- (βA1 = −0,12; p < 0,001) und geschlechtsspezifische (βA1 = −0,08; p < 0,001) Unterschiede bestehen. Frauen und Studienberechtigte ohne akademischen Familienhintergrund nehmen signifikant seltener ein Studium auf. Migrationsspezifische Unterschiede spielen im Vergleich zu den anderen beiden Ungleichheitsdimensionen an diesem Übergang scheinbar keine nennenswerte Rolle. Migrationsspezifische Unterschiede (βB1 = −0,03; p < 0,10) ebenso wie herkunftsspezifische Unterschiede (βB1 = −0,03; p < 0,05) zeigen sich vielmehr hinsichtlich des erfolgreichen Studienabschlusses (B). Den theoretischen Überlegungen entsprechend, stehen Studierende mit Migrationshintergrund und Studierende ohne akademischen Familienhintergrund vor größeren Problemen bei der Bewältigung eines Studiums. Im Vergleich zum Hochschulzugang fällt auf, dass die sozialen Ungleichheiten im Studienverlauf deutlich geringer ausfallen und das Geschlecht hierbei kaum eine Rolle spielt. Im Unterschied zu den beiden ersten Bildungsetappen zeigt sich beim Übergang ins Masterstudium (C), dass alle drei Ungleichheitsdimensionen in vergleichsweise hohem Ausmaß zum Tragen kommen. Dem Maremodell (1980) zufolge hätte man aufgrund von Selektionseffekten deutlich geringere soziale Ungleichheiten an diesem späteren Übergang erwartet. Die herkunfts- (βC1 = −0,07; p < 0,001) und auch die geschlechtsspezifischen (βC1 = −0,06; p < 0,01) Unterschiede fallen zwar am Übergang ins Masterstudium etwas geringer aus als die Ungleichheiten am Übergang ins Studium – sie sind aber nach wie vor signifikant. Die migrationsspezifischen Unterschiede fallen am Masterübergang sogar noch höher aus. Insbesondere Studierende mit Migrationshintergrund verzichten auf die Aufnahme eines Masterstudiums (βC1 = −0,12; p < 0,001).

Über den gesamten Studienverlauf betrachtet fällt demnach auf, dass eine weniger privilegierte soziale Herkunft in jeder Bildungsphase die Bildungsbeteiligung negativ beeinflusst, während das Geschlecht insbesondere an den Übergängen des Hochschulbereichs eine statistisch bedeutsame Wirkung entfaltet. Die migrationsspezifischen Unterschiede zeigen sich demgegenüber erst im späteren Studienverlauf und fallen im Unterschied zu der gängigen Selektionsargumentation am Übergang ins Masterstudium noch deutlich größer aus als zu Beginn des Studiums. Mit Ausnahme des negativen Migrationseffekts am Masterübergang, bestätigen sich alle anderen theoretischen Überlegungen hinsichtlich der additiven Effekte der Ungleichheitsdimensionen in den verschiedenen Bildungsetappen (vgl. Tab. 1 vs. Tab. 3).

Mit Blick auf die Interaktionseffekte zeigt sich demgegenüber, dass sich nur ein Teil der theoretischen Überlegungen empirisch bestätigen lässt. Beim Übergang ins Studium (A) fällt wie erwartet auf, dass Frauen mit Migrationshintergrund signifikant seltener ein Studium aufnehmen (βA2 = −0,08; p < 0,10). Obgleich dieser Zusammenhang lediglich auf dem 10 %-Niveau statistisch signifikant ausfällt, so ist dies für eine intersektionale Betrachtungsweise inhaltlich dennoch von entscheidender Bedeutung. Werden die Geschlechterdifferenzen bei Verwendung eines differenzierteren Migrationskonzeptes betrachtet, so fallen diese Interaktionseffekte signifikant aus (vgl. Tab. 4 im Anhang). Der erwartete intersektionale Zusammenhang zwischen Geschlecht und sozialer Herkunft zeigt sich beim Übergang ins Studium hingegen nicht.Footnote 5 Für die theoretischen Überlegungen hinsichtlich der verstärkenden Auswirkung von tradierten Geschlechterrollenvorstellungen in weniger privilegierten Familien findet sich demnach in dieser Bildungsetappe keine empirische Bestätigung. Im Studienverlauf (B) hatten wir keine sich verstärkenden Effekte zwischen den verschiedenen Ungleichheitsdimensionen erwartet. Überraschenderweise zeigt sich jedoch ein auf dem 10 %-Niveau signifikanter Effekt der sozialen Herkunft und dem Migrationshintergrund. Studierende mit Migrationshintergrund aus Familien ohne Akademikerhintergrund schließen das Studium deutlich seltener ab (βB2 = −0,06; p < 0,10). Für diese Merkmalskombination hatten wir zunächst nur einen additiven Effekt (βB1) erwartet. Nun zeigt sich zudem ein multiplikativer Zusammenhang (βB2), für den es in weiterführenden Untersuchungen einer genaueren Erklärung bedarf. Beim Übergang ins Masterstudium (C) hatten wir erwartet, dass sich die geschlechtsspezifischen Unterschiede nach sozialer Herkunft und nach Migrationshintergrund verstärken. Anhand der vorliegenden empirischen Befunde, lassen sich diese theoretischen Überlegungen jedoch nicht bestätigen. Es ist vielmehr so, dass Frauen aus Migrantenfamilien signifikant häufiger ein Masterstudium aufnehmen als Männer mit einem Migrationshintergrund (βC2 = 0,12; p < 0,05). Bei genauerer Durchsicht der Geschlechterdifferenzen bei Verwendung eines differenzierteren Migrationskonzepts (vgl. Tab. 4 im Anhang) fällt auf, dass sich der starke Vorteil der Männer mit zwei Eltern mit Migrationshintergrund zu Beginn des Studiums über den Studienverlauf zu einem signifikanten Nachteil hin wandelt. Auch dies ist ein theoretisch nicht erwartetes Ergebnis, für welches es in der weiterführenden Forschung einer genaueren Erklärung bedarf.

Über den gesamten Studienverlauf betrachtet fällt demnach auf, dass sich teilweise intersektionale Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Ungleichheitsdimensionen zeigen (multiplikative Effekte). Insbesondere im Zusammenspiel mit dem Migrationshintergrund zeigen sich verstärkende Effekte von dem Geschlecht und der sozialen Herkunft, wenngleich teilweise in unerwarteter Richtung (vgl. Tab. 2 vs. Tab. 3).

Abb. 2
figure 2

Risikogruppen in verschiedenen Bildungsphasen (in %). Anmerkungen: a Übergang ins Studium. b Abschluss des Studiums. c Übergang ins Masterstudium (Dargestellt werden die prozentualen Wahrscheinlichkeiten der verschiedenen Merkmalsgruppen mit den dazugehörigen 95 %-Konfidenzintervallen. Zudem werden jeweils der Mittelwert (mean) sowie die Gruppe mit dem niedrigsten (min) und dem höchsten Gruppenmittelwert (max) ausgewiesen). Quelle: DZHW-Studienberechtigtenpanel 2010 (3. Welle)

In Abb. 2 werden die additiven und multiplikativen Effekte der verschiedenen Ungleichheitsdimensionen in Form von Risikogruppen zusammengefasst. Beim Übergang ins Studium (A) zeigt sich, dass Männer mit Migrationshintergrund und akademischem Familienhintergrund am häufigsten ein Studium aufnehmen (max = 95,9 %). Während Frauen ohne akademischen Familienhintergrund (sowohl mit als auch ohne Migrationshintergrund) signifikant seltener ein Studium aufnehmen (min = 68,4 %). Die Differenz zwischen den beiden Extremgruppen (∆ Differenz = max − min) beträgt an diesem Übergang rund 28 Prozentpunkte und macht deutlich, dass das gesamte Ausmaß sozialer Ungleichheit aus einer intersektionalen Perspektive nochmals deutlicher hervortritt. Die sozialen Ungleichheiten, die sich aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Ungleichheitsdimensionen ergeben, fallen zudem größer aus als wenn die Einzeleffekte aufaddiert werden. Für den Abbau sozialer Ungleichheiten am Hochschulzugang bietet sich den empirischen Ergebnissen zufolge insbesondere eine Konzentration auf die Ungleichheitsachsen Geschlecht und soziale Herkunft an.

Im Studienverlauf (B) ist es hingegen eher die Gruppe der Studierenden aus nichtakademischen Familien mit Migrationshintergrund, die seltener das Studium abschließen (min = 80,8 %). Wenngleich die sozialen Disparitäten hinsichtlich des Studienabbruches im Vergleich zu den Ungleichheiten an den Übergängen des Hochschulbereichs deutlich geringer ausfallen (∆ Differenz = 12,4 Prozentpunkte), handelt es sich doch um statistisch nennenswerte Unterschiede.

Beim Übergang ins Masterstudium (C) zeigt sich das in der Ungleichheitsforschung oftmals diskutierte Bild: Männer mit akademischem Familienhintergrund und ohne Migrationshintergrund nehmen am häufigsten ein Masterstudium auf (max = 70,9 %). Bachelorabsolventinnen und -absolventen aus nichtakademischen Familien mit Migrationshintergrund gehen dagegen am seltensten ins Masterstudium über (min = 48,1 %). Entgegen den theoretischen Überlegungen, nach denen am Ende der Bildungskarriere nur noch geringfügige soziale Ungleichheiten zu erwarten wären, zeigt sich aus intersektionaler Perspektive eine Differenz zwischen den beiden Extremgruppen von bemerkenswerten 22,8 Prozentpunkten (∆ Differenz). Der Einfluss von sozialer Herkunft, Geschlecht und Migrationshintergrund verschwindet demnach auch im späteren Verlauf des Bildungsweges keineswegs vollständig, was auf den ersten Blick nicht dem meritokratischen Prinzip des deutschen Bildungssystems entspricht.

5 Zusammenfassung und Ausblick

Der vorliegende Beitrag hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, in welchen Bildungsphasen zwischen Abitur und Hochschulabschluss soziale Ungleichheiten auftreten und inwieweit zwischen Geschlecht, sozialer Herkunft und Migration sich gegenseitig verstärkende Zusammenhänge bestehen. Hierzu wurde einleitend zwischen additiven und multiplikativen Effekten verschiedener Ungleichheitsdimensionen unterschieden und hinsichtlich Geschlecht, sozialer Herkunft und Migration intersektionale Zusammenhänge erwartet. Mit Blick auf die empirischen Ergebnisse lässt sich festhalten, dass sowohl additive als auch multiplikative Effekte sozialer Ungleichheit im Hochschulbereich zu beobachten sind. Diese sozialen Ungleichheiten unterscheiden sich jedoch erheblich in ihrem Ausmaß und bezüglich der Bildungsphase, in der diese zur Geltung kommen. Während der sozialen Herkunft in allen Bildungsphasen eine entscheidende Rolle zukommt, machen sich geschlechtsspezifische Unterschiede insbesondere an den Übergängen des Hochschulbereichs bemerkbar. Migrationsspezifische Unterschiede entfalten erst im weiteren Studienverlauf und beim Zugang zum Masterstudium ihre Wirkung. Zusätzlich zeigen sich bemerkenswerte Interaktionseffekte des Migrationshintergrunds mit den anderen beiden Ungleichheitsformen. Auffällig war hierbei der starke Vorteil der Männer mit Migrationshintergrund zu Beginn des Studiums, welcher sich im Laufe des Studiums zu einem signifikanten Nachteil wandelt.

Die intersektionale Perspektive macht also deutlich, dass das gesamte Ausmaß sozialer Ungleichheit erst unter Berücksichtigung verschiedener Ungleichheitsdimensionen ersichtlich wird und sich aus dem Zusammenspiel verschiedener Ungleichheitsdimensionen vertiefende Erkenntnisse ergeben können, welche bei einer separaten Betrachtungsweise der verschiedenen Ungleichheitsformen unentdeckt blieben. Jedoch soll an dieser Stelle auch angemerkt werden, dass die Konzentration auf einzelne Ungleichheitsformen durchaus sinnvoll ist, um mit einem speziellen Fokus die konkreten Prozesse und Mechanismen herauszuarbeiten. Mit der vorliegenden Untersuchung wurden erste Erkenntnisse zum Thema Intersektionalität im Hochschulbereich gewonnen, dabei wurden allerdings die zugrundeliegenden Mechanismen empirisch noch nicht herausgearbeitet. Zudem wurden die Ungleichheitsdimensionen „soziale Herkunft“ und „Migrationshintergrund“ aus Darstellungsgründen wenig differenziert betrachtet. Das Ausmaß sozialer Ungleichheit wird folglich hinsichtlich dieser beiden Ungleichheitsformen vermutlich unterschätzt. Darüber hinaus wurde aufgrund des Datendesigns eine Hybridvariable aus Intention und Entscheidung als abhängige Variable gewählt, welche ebenfalls zu gewissen Unschärfen bei der Analyse sozialer Ungleichheit führt. Die künftige Forschung wird diese Daten- und Operationalisierungsprobleme lösen und die Ursachen intersektionaler Zusammenhänge empirisch herausarbeiten müssen. Insbesondere der unerwartete Interaktionseffekt von Migration und Geschlecht am Masterübergang bedarf einer genaueren Analyse, da theoretisch ein gegenläufiger Effekt erwartet wurde.

Trotz der Einschränkungen und offen gebliebenen Forschungsfragen liefert dieser Beitrag wichtige Hinweise darauf, in welchen Bildungsphasen soziale Ungleichheiten bestehen und welche Gruppen besondere Schwierigkeiten aufweisen. Aus bildungswissenschaftlicher Perspektive wird ersichtlich, dass erst aus der Zusammenschau der unterschiedlichen Ungleichheitsdimensionen das gesamte Ausmaß sozialer Ungleichheit im Hochschulbereich richtig ersichtlich wird. Auch machen die signifikanten intersektionalen Zusammenhängen deutlich, dass von den verschiedenen Ungleichheitsdimensionen in statistisch nennenswertem Maße Interaktionseffekte ausgehen, die einer weiterführenden Untersuchung hinsichtlich der zugrundeliegenden Mechanismen bedürfen. Aus bildungspolitischer Perspektive machen die Ergebnisse darauf aufmerksam, dass trotz Bildungsexpansion und Ausbau verschiedener Bildungswege weiterhin gravierende soziale Ungleichheiten auf dem Weg zu einem Hochschulabschluss bestehen, die mit der veränderten soziokulturellen Zusammensetzung beim Hochschulzugang in den nächsten Jahren nicht kleiner werden dürften. Möchte man die Chancengleichheit im Hochschulbereich erhöhen und auf diese Weise Bildungspotentiale besser nutzen, müssten sich die Hochschulen zunehmend mit der Frage auseinandersetzen, auf welche Weise sie die in den verschiedenen Bildungsphasen vorzufindenden Risikogruppen am besten unterstützen können. Insbesondere an den Übergängen des Bildungssystems bietet es sich an mit gezielten Informationen die Studierenden anzusprechen, die oftmals auf eine Fortsetzung des Bildungsweges verzichten. Auch innerhalb des Studiums haben die Hochschule die Möglichkeit mit gezielten Mentoring Programmen einzelne Studierendengruppen zu unterstützen und Schwierigkeiten hinsichtlich des Studienerfolgs abzubauen. Wichtig dürfte in diesem Zusammenhang sein, sich bei den Maßnahmen nicht nur auf eine Ungleichheitsachse zu beschränken und zu berücksichtigen, dass sich die Risikogruppen in den verschiedenen Phasen des Bildungsverlaufs unterscheiden.