Zusammenfassung
Chronische neuropathische Schmerzen haben in der allgemeinen Bevölkerung eine Prävalenz von 6,9–10 %. Die aktuellen Therapieempfehlungen werden auf Basis einer Literaturrecherche dargestellt. Bei chronischen neuropathischen Schmerzen ist eine Behandlung mit Koanalgetika, Antikonvulsiva, Antidepressiva oder topischen Pharmazeutika indiziert, da mit Nichtopioidanalgetika in der Regel keine suffiziente Kontrolle erzielt wird. Unter bestimmten Bedingungen kann der Einsatz von Opioiden gerechtfertigt sein. In den untersuchten Metaanalysen werden trizyklische Antidepressiva, selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer und Antikonvulsiva vom Kalziumkanaltyp als Mittel der ersten Wahl empfohlen. Topische Therapeutika werden nur bei peripheren neuropathischen Schmerzen eingesetzt. Zurzeit erfolgt die Auswahl der Medikation unabhängig von der Schmerzätiologie. In der Therapieplanung müssen Komorbiditäten, Komedikationen, mögliche Nebenwirkungen und Patientenalter berücksichtig werden.
Abstract
Chronic neuropathic pain has a prevalence of 6.9–10% in the general population. The current recommendations for treatment are presented based on a literature search. Neuropathic pain requires the use of co-analgesic, antidepressant, anticonvulsant drugs and topical agents because non-opioid analgesic drugs are usually ineffective. The use of meta-analyses tricyclic antidepressants, selective serotonin–norephinephrine reuptake inhibitors, and calcium channel anticonvulsants are recommended as the drugs of first choice. Under certain conditions chronic neuropathic pain can be treated with opioids. Topical therapeutics are only used to treat peripheral neuropathic pain. At present the use of drugs is independent of the etiology of the pain. Comorbidities, concomitant medication, potential side effects and patients’ age have to be considered in treatment planning.
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Interessenkonflikt
J. Otto erhält finanzielle Zuwendungen im Rahmen einer Stellenfinanzierung durch Drittmittel von Grünenthal. Er hat Reise- und Übernachtungskostenerstattungen von Pfizer erhalten. J. Forstenpointner erhielt finanzielle Unterstützung von Grünenthal. Außerdem erhielt sie nichtfinanzielle Unterstützung von Grünenthal, Sanofi Genzyme und Novartis sowie persönliche Zuwendungen von Bayer. A. Binder erhielt Honorare für Beratertätigkeiten von Pfizer, Boehringer, Grünenthal, Genzyme, Astellas und Mundipharma. Er wurde für die Vorbereitung von wissenschaftlichen Fortbildungsveranstaltungen honoriert von Astellas, Allergan, Boehringer, Genzyme Pfizer und Grünenthal. Für ein von ihm initiiertes Forschungsvorhaben erhielt er Gelder von Grünenthal und Pfizer. Teilnahmekosten für Kongresse, Reise- und Übernachtungskosten wurden ihm erstattet von Astellas, Allergan, Pfizer und Grünenthal. R. Baron erhält finanzielle Zuwendungen für Forschungsvorhaben von Pfizer, Genzyme, Grünenthal, Mundipharma. Er ist Mitglied des EU Projekts Nummer 633491: DOLORisk sowie der IMI „Europain“ Kollaboration, Industriepartner des Projektes sind: AstraZeneca, Pfizer, Esteve, UCB-Pharma, Sanofi Aventis, Grünenthal, Eli Lilly und Boehringer Ingelheim Pharma GmbH&Co.KG. Weiterhin gibt er an: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF): Mitglied des ERA_NET NEURON/IM-PAIN Projektes (01EW1503), Deutscher Forschungsverbund Neuropathischer Schmerz (01EM0903), NoPain system biology (0316177C), Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG). Er wurde für wissenschaftliche Fortbildungen von Pfizer, Genzyme, Grünenthal, Mundipharma, Sanofi Pasteur, Medtronic Inc. Neuromodulation, Eisai, Lilly, Boehringer Ingelheim Pharma GmbH&Co.KG, Astellas, Desitin, Teva Pharma, Bayer-Schering, MSD, Seqirus, Novartis, TAD Pharma honoriert. Außerdem wurde er für Beratertätigkeiten von Pfizer, Genzyme, Grünenthal, Mundipharma, Allergan, Sanofi Pasteur, Medtronic, Eisai, Lilly, Boehringer Ingelheim Pharma GmbH&Co.KG, Astellas, Novartis, Bristol-Myers Squibb, Biogenidec, AstraZeneca, Merck, Abbvie, Daiichi Sankyo, Glenmark Pharmaceuticals, Seqirus, Teva Pharma, Genentech, Galapagos NV, Kyowa Kirin, Vertex Pharmaceuticals Inc., Biotest AG, Celgene, Desitin, Theranexus honoriert.
In den Quellenangaben 10 und 11 war Herr Prof. Dr. Baron an klinischen Studien (Phase 3b/4) beteiligt. Alle beschriebenen Studien am Menschen wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethik-Kommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patienten liegt eine Einverständniserklärung vor. Dieser Beitrag enthällt keine von den Autoren durchgeführte Studien an Tieren.
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Redaktion
D. Berg, Kiel
M. Krämer, Essen
H. C. Lehmann, Köln
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Wie ist der Begriff neuropathischer Schmerz definiert?
Es handelt sich um einen periodisch auftretenden Schmerz nach Amputation.
Er ist eine direkte Folge einer Erkrankung oder Läsion des zentralen oder/und peripheren somatosensorischen Nervensystems.
Es handelt sich um Schmerzen nach einer Schädigung des Bindegewebes.
Er ist durch eine gute Lokalisierbarkeit und eine Bewegungsabhängigkeit charakterisiert.
Es ist ein einseitiger, ziehender und stechender Schmerz mit Kribbelparästhesien.
Welche der Antworten kann Ursache eines zentralen neuropathischen Schmerzsyndroms sein?
Postherpetische Neuralgie
Polyneuropathie
Encephalomyelitis disseminata
Guillain-Barré-Syndrom
Lagerungsschaden des N. peronaeus superficialis
Was ist hinsichtlich der Behandlung des chronisch neuropathischen Schmerzes mit trizyklischen Antidepressiva (TCA) zu beachten?
Die initiale Dosis der TCA ist 75–100 mg.
Möglichst rasch hohe Dosis anstreben und dann langsam bis zur niedrigsten wirksamen Dosis abdosieren
TCA können als Retardform einmal oder mehrmals täglich unretardiert verabreicht werden.
Die Zieldosis liegt ähnlich hoch wie bei der Behandlung einer Depression.
Die Dosis von TCA sollten täglich um 25 mg gesteigert werden.
Es stellt sich ein Patient mit akutem Herpes zoster in der Schmerzambulanz vor. Wie bezeichnen Sie das Schmerzsyndrom?
Zentraler neuropathischer Schmerz
Phantomschmerz
Nozizeptiver Schmerz
„Mixed pain“
Somatoformes Schmerzsyndrom
Was sind häufige Nebenwirkungen von Pregabalin?
Benommenheit, Schläfrigkeit, periphere Ödeme
Mundtrockenheit, Hypotension
Obstipationen, Juckreiz, Übelkeit
Extrapyramidale Bewegungsstörungen
Diarrhöen, Erythem
Was ist ein realistisches Therapieziel bei der Behandlung neuropathischer Schmerzen?
Komplette Schmerzfreiheit
Schmerzreduktion um 80–90 %
Schmerzreduktion um 50–80 %
Schmerzreduktion um 30–50 %
Schmerzreduktion um 10–30 %
Welche Substanzklassen gehören zu den Medikamenten der ersten Wahl bei der Behandlung chronischer neuropathischer Schmerzen?
Antihistaminika, Kortikosteroide, Immunsuppressiva
Antagonisten des „calcitonin gene-related peptide“, Triptane
Nichtsteroidale Antiphlogistika, Kortikosteroide
MOR-NRI, Opiate, Cannabinoide
Trizyklische Antidepressiva, selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, Antikonvulsiva
Womit ist bei Therapiebeginn mit Antikonvulsiva und Antidepressiva zu rechnen?
Nebenwirkungen treten praktisch nicht auf.
Sofortige, vollständige Schmerzreduktion
Verzögerter Wirkeintritt
Gesteigerter Antrieb
Initiale Schmerzverstärkung ist regelhaft.
Ein 75-jähriger Patient stellt sich mit lokalen Brennschmerzen im Dermatom thorakal 9–10 links, ventral, etwa handflächengroß vor, die seit über 6 Monaten bestehen. Die Schmerzen würden zeitweise eine Schmerzstärke von NRS 6 betragen (0 = kein Schmerz; 10 = maximal vorstellbarer Schmerz). Nachdem vor 6 Monaten aufgrund der radikulär verteilten Hauteffloreszenzen die Diagnose eines Herpes zoster gestellt und eine virostatische Therapie durchgeführt worden waren, ist nun von einer postherpetischen Neuralgie auszugehen. Zur Schmerztherapie erhält der Patient eine Medikation mit 2‑mal 150 mg Pregabalin. Hierunter kam es zu einer dezenten Verbesserung der Schmerzintensität. Welche Medikation stellt eine sinnvolle Erweiterung des Therapieregimes dar?
Hochpotente Opioidtherapie
Inhibitor der Monoaminoxidase, z. B. Tranylcypromin
Meloxicam
Hochdosiscapsaicinpflaster
Selektiver Serotoninwiederaufnahmehemmer
Wann sollte eine medikamentöse Therapie chronisch neuropathischer Schmerzen beendet werden?
Bei Reduktion der durchschnittlichen Schmerzintensität um 1 Punkt auf der NRS
Bei anfänglich auftretenden Nebenwirkungen
Innerhalb von 4–6 Wochen
Bei anhaltend, fehlender Schmerzreduktion nach Erreichen der Maximaldosis
Wenn nach 5 Tagen keine Linderung eingetreten ist.
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Otto, J., Forstenpointner, J., Binder, A. et al. Pharmakologische Therapie chronischer neuropathischer Schmerzen. DGNeurologie 2, 117–127 (2019). https://doi.org/10.1007/s42451-018-0048-9
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DOI: https://doi.org/10.1007/s42451-018-0048-9