Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags …

  • kennen Sie die Sterblichkeitsraten und die Krankheitslast, die durch Hitzewellen verursacht werden.

  • sind Sie in der Lage einzuschätzen, welche älteren Menschen besonders gefährdet sind.

  • wissen Sie, welche Arzneimittel in Hitzewellen ein Risiko für Ihre Patienten darstellen.

  • können Sie erklären, wie das deutsche Hitzewarnsystem funktioniert und welche Akteure an Hitzeaktionsplänen beteiligt sein sollen.

  • sind Ihnen die wichtigsten Präventionsmaßnahmen in den 3 Settings Hausarzt/niedergelassener Facharzt, Pflegeheim sowie Notaufnahme/Entlassungsmanagement geläufig.

Zusatzmaterial Online

Zusätzliche Informationen sind in der Online-Version dieses Artikels (https://doi.org/10.1007/s00391-019-01577-5) enthalten.

Hintergrund

Hitzebedingte Todesfälle

Hitzewellen führen zu erheblichen Übersterblichkeiten in der Bevölkerung, die im Ausmaß denen einer Grippewelle nahekommen können [1]. Im ausführlich untersuchten „Jahrhundertsommer“ 2003 kam es in Europa zu 50.000–70.000 hitzebedingten Todesfällen [2]. Neuesten Zahlen zufolge waren in Deutschland 2003 etwa 7600 Todesfälle zu verzeichnen [3]. Das Landesamt für Gesundheit in Baden-Württemberg gab 2018 bekannt, dass die Hitzewellen im Jahr 2015 allein in Baden-Württemberg zu etwa 2000 zusätzlichen Todesfällen geführt haben [4]. Auch in anderen Regionen und Städten wie Bayern, Brandenburg, Berlin, Essen oder Frankfurt wurde eine erhöhte Mortalität oder Morbidität im Zusammenhang mit Hitzewellen nachgewiesen [5, 6, 7, 8].

Vulnerabilität gegenüber hitzebedingten Gesundheitsschäden

Insgesamt besteht eine zunehmende Vulnerabilität gegenüber hitzebedingten Gesundheitsschäden. Die Vulnerabilität beschreibt die Anfälligkeit gegenüber Schadensereignissen und wird auch definiert als Funktion aus Exposition, Sensibilität und Anpassung [1, 9]. Die Exposition gegenüber heißen Tagen und Hitzewellen steigt vor dem Hintergrund des Klimawandels deutlich. Bis Ende des 21. Jh. wird eine Verdreifachung der Zahl der Hitzewellen in Deutschland erwartet. Zudem wird sich die Dauer von Hitzewellen um 25 % verlängern und deren Intensität sich erhöhen [10].

Auch die Hitzesensibilität der Bevölkerung steigt infolge des demografischen Wandels an, denn außer Risikogruppen wie Kleinkindern und Bauarbeitern sind in Deutschland und Europa v. a. Menschen im Alter über 75 Jahren durch heiße Tage und Hitzewellen gefährdet [1, 11, 12]. Neben der physiologischen Anpassungsfähigkeit sind eine zeitliche Akklimatisierung sowie kulturelle und städtebauliche Anpassungen an Hitze relevant. Ersteres wird in der Beobachtung deutlich, dass Hitzewellen zu Beginn der Sommersaison zu höheren Todesraten führen als gegen Ende der Saison [11]. Der Vergleich zwischen verschiedenen Klimazonen zeigt, dass die Temperaturgrenzwerte, ab denen sich die Sterblichkeit erhöht, in warmen Regionen höher sind als in kälteren [13, 14]. Trotzdem steigen in allen Klimazonen ab der Überschreitung eines spezifischen Grenzwerts die Sterblichkeitsraten an [15].

Anpassungsmaßnahmen

Aus den oben beschriebenen Zusammenhängen wird deutlich, dass bei wachsender Exposition (Klimawandel) und wachsender Sensibilität (demografischer Wandel) eine Senkung der Vulnerabilität gegenüber Hitze nur durch Anpassung erreicht werden kann. In der schon 2008 von der Bundesregierung verabschiedeten Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel werden Anpassungsmaßnahmen an Hitzewellen als dringende Handlungsfelder hervorgehoben [16]. Was unter Klimawissenschaftlern als Anpassung bezeichnet wird, sollten Gesundheitswissenschaftler als Prävention verstehen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 2008 Empfehlungen zu „Hitzeaktionsplänen“ herausgegeben, die hitzebedingte Gesundheitsschäden durch umfassende Aktivitäten auf verschiedenen Ebenen vermeiden sollen [17]. Wichtiger Teil der Hitzeaktionspläne sind Hitzewarnsysteme. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) betreibt seit 2004 ein Hitzewarnsystem, das Warnungen auf Landkreisebene ausspricht, wenn (1) die gefühlte Temperatur an zwei aufeinanderfolgenden Tagen ohne ausreichende Nachtabkühlung über 32 °C beträgt oder (2) die gefühlte Temperatur auf über 38 °C ansteigt [18]. Die gefühlte Temperatur berücksichtigt neben der Lufttemperatur u. a. Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit. Unter unzureichender Nachtabkühlung versteht man eine Nachttemperatur von über 20 °C („tropische Nächte“). Diese sind besonders belastend für den Organismus. Bisher mangelt es in Deutschland an der Umsetzung der Hitzewarnungen des DWD in Aktivitäten zum Gesundheitsschutz.

Epidemiologie

Risikofaktoren

Altersassoziierte physiologische Veränderungen

Das höhere Risiko älterer Menschen, unter Hitze zu leiden, liegt einerseits an altersassoziierten physiologischen Veränderungen. Dies ist dadurch bedingt, dass die Hautdurchblutung bei älteren Menschen geringer ist und die Umverteilung von Blutvolumen von den retroperitonealen Venengeflechten in das Kapillarbett der Haut schlechter funktioniert [19, 20]. Zudem schwitzen ältere Menschen später und weniger als junge [21, 22]. Deshalb kann im Alter weniger Wärme über die Haut abgegeben werden.

Krankheiten

Des Weiteren können Krankheiten die Thermoregulation des Menschen einschränken. So kann beispielsweise bei Herzinsuffizienz die Steigerung der Hautdurchblutung zur Wärmeabgabe behindert sein, da dies unter Aufrechterhaltung eines adäquaten Blutdrucks eine Erhöhung der Auswurfleistung des Herzens notwendig machen würde. Bei Patienten mit Diabetes mellitus kann durch die Schädigung der cholinergen Nerven die über Acetylcholin vermittelte Gefäßregulation eingeschränkt sein [23]. Insgesamt stellen auch neuropsychiatrische Erkrankungen und Mobilitätseinschränkungen wichtige Risikofaktoren dar, weil sie die adäquate Verhaltensanpassung erschweren können.

Sozioökonomische Faktoren

Auch soziale Aspekte sind relevant. So erhöht sich das Risiko, wenn Personen in höheren Wohnetagen oder allein leben. Als protektiv zeigten sich die Verfügbarkeit einer Klimaanlage, der Zugang zu Transportmitteln und eine erhaltene Selbstpflegefähigkeit. Aus den Risiko- und Protektivfaktoren wird deutlich, dass Hitzebelastung alte, gebrechliche und meist (multi-)morbide Personen betrifft und damit ein typisch geriatrisches Problem darstellt.

Verschiedene Risikofaktoren für hitzebedingter Gesundheitsschäden, über die Konsens in der wissenschaftlichen Literatur herrscht, sind in Tab. 1 zusammengefasst.

Tab. 1 Risikofaktoren für hitzebedingte Gesundheitsschäden älterer Menschen

Mortalität und Morbidität

Todesursachen, die zur hitzebedingten Übersterblichkeit führen, sind v. a. respiratorische oder kardiovaskuläre Erkrankungen, teils auch zerebrovaskuläre Erkrankungen wie Schlaganfälle [33, 34]. So stellten Breitner et al in Bayern im Zeitraum 1990-2006 fest, dass die kardiovaskuläre Mortalität an heißen Tagen der 99. Perzentile 10% höher war als an Tagen der 90. Perzentile [8].

Die Steigerung der Morbidität in Hitzewellen wird in den meisten Studien anhand von Krankenhauseinweisungen oder Notfalleinsätzen gemessen. Hier findet sich an heißen Tagen in verschieden Studien ein Anstieg von Einweisungen aufgrund von Lungen‑, Nierenerkrankungen, Diabetes mellitus, Exsikkose und Hitzeschlag [27, 33, 35]. Meist sind die Morbiditätsraten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht signifikant erhöht [36, 37]. Dies wird teils damit erklärt, dass kardiovaskuläre Ereignisse in Hitzewellen eher direkt zum Versterben des Patienten und nicht zu einer Krankenhauseinweisung führen [38]. Hinweise zur möglichen Vorverlagerung von Todesereignissen befinden sich in der Infobox 1.

Infobox 1 Vorverlagerung des Todeszeitpunkts (Harvesting-Effekt)

Der Harvesting-Effekt bezeichnet die kurzfristige Vorverlagerung eines Todeszeitpunkts (Tage, Wochen; [39]). Dies bedeutet, dass ein in nächster Zeit erwarteter Todesfall durch die Auswirkungen einer Hitzewelle verfrüht eintritt. Dieser Effekt kann statistisch berücksichtigt werden, indem untersucht wird, inwieweit eine mögliche verminderte Gesamtmortalität nach einem Hitzeereignis die Hitzeübersterblichkeit ausgleicht.

Das Ausmaß des Harvesting-Effekts fällt in verschiedenen Studien unterschiedlich aus. Manche Studien berichten davon, dass bis zu 90 % der Übersterblichkeit in den folgenden Tagen und Wochen durch eine verminderte Sterblichkeit ausgeglichen werden [39, 40]. Andere Studien finden hingegen keine Hinweise auf einen Harvesting-Effekt [41, 42, 43]. Le Tertre et al. zeigten etwa, dass es durch die Hitzewellen 2003 in 9 französischen Städten zu 3096 zusätzlichen Todesfällen kam und in den folgenden Wochen lediglich 253 weniger Todesfälle als sonst auftraten [44].

Abschließend lässt sich sagen, dass die Ausprägung des Harvesting-Effekts von folgenden Faktoren abhängig ist [39, 45]:

  • betrachtete Todesursache,

  • Stärke der Hitzewelle und

  • Empfindlichkeit der untersuchten Bevölkerung.

In starken Hitzewellen scheint ein Harvesting-Effekt zwar einzutreten, jedoch nur etwa 15 % der Übersterblichkeit zu erklären [42].

Prävention im Rahmen von Hitzeaktionsplänen

Rolle der Ärzteschaft

Während nach den verheerenden Auswirkungen der Hitzewelle 2013 in Paris bereits vielfältige Maßnahmen im Rahmen eines Hitzeaktionsplans in Frankreich umgesetzt wurden, veröffentlichte in Deutschland erst 2017 eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe des Bundes und der Länder, basierend auf den WHO-Empfehlungen, Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen. In Abb. 1 sind die acht Kernelemente dieser Handlungsempfehlungen dargestellt. Zudem werden die Rollen der Ärzteschaft und Pflege innerhalb dieser Kernelemente benannt.

Abb. 1
figure 1

Beispielhafte Rollen der Ärzteschaft und Pflege in den 8 Kernelementen von Hitzeaktionsplänen. (Nach Bund/Länder Ad-hoc Arbeitsgruppe [46])

Nach Element I soll eine zentrale Koordinierungsstelle auf Landesebene eingerichtet werden, z. B. in einer Gesundheitsbehörde (Abb. 1). Diese Stelle ist für die Koordinierung aller zuständigen Behörden und eines zentralen Netzwerkes zuständig. Das zentrale Netzwerk soll u. a. Kommunen, Träger öffentlicher Einrichtungen, Rettungsdienstleitstellen, Krankenhäuser, Apotheken sowie ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen umfassen.

Die Empfehlungen sowie wissenschaftliche Studien nehmen aber auch die Ärzteschaft in die Pflicht (in ihrer organisierten Form durch kassenärztliche Verbände und Ärztekammern sowie als direkte Ansprechpartner in Praxen und Krankenhäusern; [38, 46, 47, 48]). Die Akteure des zentralen Netzwerks sollen auf dezentraler Ebene Präventionsmaßnahmen festlegen, die die Kernelemente II–VIII der Empfehlungen zu Hitzeaktionsplänen abdecken (Abb. 1). Die festgelegten Maßnahmen werden der zentralen Koordinierungsstelle rückgemeldet und von den Akteuren eigenständig umgesetzt. Die zentrale Koordinierung unterstützt die Akteure bei Maßnahmen, die nicht auf dezentraler Ebene allein umsetzbar sind, und evaluiert diese.

Bisher existieren zwar zuständige Landesministerien oder -behörden. Die Konsequenz in der Umsetzung dieser Koordinierungsaufgaben variiert jedoch stark. Als Positivbeispiel gilt hier das hessische Sozialministerium, das bereits 2004 mithilfe eines Expertengremiums konkrete Maßnahmen zur Vermeidung hitzeassoziierter Todesfälle erarbeitete. Seitdem gelten insbesondere für Pflegeheime strenge Richtlinien in Hitzewellen, die auch von der hessischen Heimaufsicht kontrolliert werden [49].

Eine Analyse des Umweltbundesamts zeigte jedoch, dass es in vielen Bundesländern noch an einer suffizienten zentralen Koordinierung und der lokalen Umsetzung von Maßnahmen mangelt [50]. Zudem wurde deutlich, dass das Problembewusstsein und das Wissen zu Präventionsmaßnahmen im Rahmen von Hitzeaktionsplänen in der Ärzteschaft noch verbessert werden kann [51, 52]. Daher werden im Folgenden Empfehlungen vorgestellt, die in einem vom Bundesgesundheitsministerium geförderten Projekt in mehreren Expertenworkshops entwickelt wurden [53]. Bei den Empfehlungen zu Präventionsmaßnahmen ist zu beachten, dass es sich aufgrund der nichtausreichenden Studienlage zur Evaluation dieser Maßnahmen überwiegend um Empfehlungen der Evidenzgrade III und IV handelt.

Setting Hausarzt und niedergelassener Facharzt

Im Jahr 2017 wurden 76 % der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt, davon 51,7 % allein durch pflegende Angehörige und 24,3 % mit Unterstützung von Pflegediensten [54]. Die größte Anzahl von Risikopersonen ist also im ambulanten Umfeld zu erwarten, da hier nicht immer eine kontinuierliche Unterstützung erwartet werden kann. Im ambulanten Bereich bietet sich der Hausarzt als koordinierende und initiierende Stelle an, da die informellen und formellen ambulanten Versorgungsstrukturen dem Hausarzt häufig bekannt sind. Zudem stellt der Hausarzt für besonders gefährdete, sozial isolierte Personen oft den einzigen Kontakt dar [48].

Für den Haus- und den niedergelassenen Facharzt wurden folgende vier Handlungsfelder identifiziert [55], in denen er ggf. in Zusammenarbeit mit weiteren Akteuren Maßnahmen zum Schutz der älteren Bevölkerung während einer Hitzewelle ergreifen kann:

  1. 1.

    Risiken und Präventionsstrategien kommunizieren,

  2. 2.

    Praxisabläufe anpassen,

  3. 3.

    Medikamente prüfen,

  4. 4.

    proaktiv mit Risikopatienten Kontakt aufnehmen.

Handlungsfeld 1: Risiken und Präventionsstrategien kommunizieren

Zunächst ist es erforderlich, dass der Arzt sich selbst und sein Praxisteam über hitzebedingte Gesundheitsschäden und deren Prävention informiert. Der Arzt kann das Thema auch für einen ärztlichen Qualitätszirkel anregen. Vom Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München wurden spezielle „Bildungsmodule“ für medizinisches Personal entwickelt, die für Schulungen genutzt werden können [56].

Neben dieser grundsätzlichen Information sollten Ärzte den Newsletter des DWD abonnieren, der Hitzewarnungen auf Landkreisebene ausgibt, wenn gesundheitsgefährdende heiße Tage auftreten (s. Abschn. „Hintergrund“). So kann besser abgeschätzt werden, wann tatsächlich eine Gefährdungssituation besteht. Für den Erhalt des Newsletters kann man sich unter folgendem Link registrieren [57]. Zuletzt ist es die genuine ärztliche Aufgabe, gefährdete Personen und deren Angehöriger für die Risiken von Hitze zu sensibilisieren. Des Weiteren hat der Arzt schützende Verhaltensmaßnahmen zu vermitteln. Im optimalen Fall finden solche Gespräche bereits vor den Sommermonaten statt. Idealerweise wird in der Praxis Informationsmaterial ausgelegt und auch unterstützend in die Beratung eingebacht. Gute Handzettel stehen unter den in Infobox 2 aufgeführten Adressen bereit.

Infobox 2 Links für Informationsmaterial zum Schutz älterer Menschen bei Sommerhitze

Diese Handzettel können ein Beratungsgespräch ergänzen, den Betroffenen die Ernsthaftigkeit des Themas vor Augen führen und sie an die richtigen Maßnahmen erinnern. Empfohlene Maßnahmen sind eine kontrollierte Flüssigkeitszufuhr, die Wohnung und den Körper kühl zu halten sowie das Verhalten der Hitze anzupassen (Tab. 2).

Tab. 2 Empfehlungen zu Verhaltensanpassungen für ältere Menschen und deren Pflegende

Handlungsfeld 2: Praxisabläufe anpassen

Im Sommer sollte verstärkt darauf geachtet werden, dass Sprechzeiten am frühen Morgen oder am Abend angeboten werden, damit Risikopatienten Termine in den kühleren Tagesstunden wahrnehmen können. In den Praxisräumlichkeiten selbst sollte auf ein kühles Raumklima geachtet werden. Wenn möglich sind konservative Maßnahmen, wie Schattierung und richtiges Lüften, der Installation einer Klimaanalage vorzuziehen, um den Klimawandel nicht weiteranzutreiben. Im Wartezimmer sollten Getränke bereitstehen.

Auf anstrengende diagnostische oder therapeutische Maßnahmen, wie beispielsweise ein Belastungs-EKG, sollte an einem Tag mit Hitzewarnung verzichtet werden. In der Diagnostik sollte besonderes Augenmerk auf Dehydratationszeichen, Blutdruck und Körpertemperatur sowie ggf. Elektrolyte und Nierenwerte gelegt werden.

Handlungsfeld 3: Medikamente prüfen

Hitze kann auf verschiedenen Ebenen die Qualität einer Arzneimitteltherapie beeinflussen und so deren Wirksamkeit und Sicherheit verändern. Grundsätzlich sind die in Abb. 2 dargestellten vier Einflussmöglichkeiten zu berücksichtigen.

Abb. 2
figure 2

Mechanismen des möglichen Hitzeeinflusses auf die Arzneimitteltherapie. T° Thermo

Einflussmöglichkeiten der Hitze auf Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten.

Zu Abb. 2 Punkt 1: Arzneimittel können durch Hitze physikalischen Schaden nehmen [58]. Gemäß Europäischer Zulassungsbehörde [59] enthalten Fachinformation und Packungsbeilage zugelassener Arzneimittel Hinweise zu den (untersuchten) Lagerungsbedingungen. Wenn keine besonderen Lagerungsbedingungen zu beachten sind, heißt das, dass auch eine Lagerung bei 40 °C/75 %iger Luftfeuchtigkeit getestet wurde. Wenn eine explizite Temperaturgrenze genannt wird, bedeutet das, dass bis zu diesem Wert eine Langzeittestung die erforderliche Stabilität gezeigt hat. Es muss aber nicht bedeuten, dass bei höheren Temperaturen keine Stabilität besteht und kurzzeitige Überschreitungen zu einem Qualitätsverlust führen würden. Tatsächlich waren viele feste orale Formen in tropischem Klima über 2 Jahre ziemlich stabil [60, 61].

Zu Abb. 2 Punkt 2: Hitzebelastungen können zur Dekompensation bestehender Krankheiten führen (z. B. Herzinsuffizienz) oder unerwünschte Arzneimittelwirkungen begünstigen (z. B. malignes Neuroleptikasyndrom bei M.-Parkinson-Patienten [62]). (Prärenale) Einschränkungen der Organfunktion durch ungenügende Hydrierung [63, 64] können zudem die Ausscheidung von Arzneistoffen vermindern und so Dosisreduktionen notwendig machen. Tatsächlich gehört die Nierenfunktionsstörung zu den häufigsten Hospitalisierungsursachen in Hitzewellen [65], weshalb eine Kreatininmessung mit Abschätzung der Nierenfunktion wichtig ist und ggf. eine Dosisanpassung der Arzneimittel an die veränderten Clearance-Verhältnisse erforderlich wird (z. B. www.dosing.de).

Zudem sollte die Dosis von Diuretika in solchen Situationen kritisch überdacht werden, da sie eine Dehydrierung fördern können und da die Vorbehandlung mit Diuretika zu den wichtigen Risikofaktoren für hitzschlagassoziierte Todesfälle gehört [66, 67, 68].

Zu Abb. 2 Punkt 3: Erhöhungen der Körpertemperatur lösen vielfältige adaptive Gegenregulationsmechanismen des Körpers aus, deren übergeordnetes Ziel die Kühlung der Kerntemperatur ist. Arzneistoffe können mit mindestens fünf wichtigen Schutzmechanismen interferieren [69, 70, 71]. Hierzu zählen:

  • Durst: Mit vermindertem Durstgefühl wurden Angiotensinkonversionsenzym(ACE)-Hemmer und Angiotensinrezeptorblocker in Zusammenhang gebracht, wobei deren Einfluss umstritten ist.

  • Zentrale Temperaturregulation: Der Mechanismus ist noch immer nicht vollständig aufgeklärt, scheint aber abhängig von Monoaminen (Serotonin, Dopamin, Noradrenalin) zu sein und so durch neurologische und psychiatrische Erkrankungen sowie zahlreiche psychotrope Arzneimittel (z. B. Opioide, Serotonin-Re-uptake-Inhibitoren, Carbamazepin, Anticholinergika und Trizyklika) ungünstig beeinflusst zu werden [70, 72].

  • Schwitzen: Eine Hypohidrose kann durch antimuskarinische Stoffe (z. B. Anticholinergika, trizyklische Antidepressiva, Zentralnervensystem(ZNS)-gängige H1-Antagonisten oder Antipsychotika) ausgelöst werden.

  • Kutane Vasodilatation: Über eine kutane Vasokonstriktion können Sympathikomimetika die Regulation der Hautdurchblutung beeinflussen.

  • Verminderte Aufmerksamkeit: Darüber hinaus sind Sedativa, die die Aufmerksamkeit und Wachsamkeit negativ beeinflussen (z. B. Benzodiazepine, Opioide), dann kritisch, wenn sie es den Patienten erschweren oder verunmöglichen, Warnsymptome zu erkennen.

Zusammenfassend sind viele psychotrope Substanzen, insbesondere wenn sie anticholinerg oder sedierend wirken, risikoreich [68, 73, 74, 75]. Sofern die Anwendung solcher Substanzen nicht vermeidbar ist, sollten sie möglichst niedrig dosiert verabreicht werden. Entsprechende Patienten sind deshalb besonders wachsam zu begleiten.

Zu Abb. 2 Punkt 4: Schließlich kann Hitze über verschiedene Mechanismen die Pharmakokinetik und dadurch die Exposition des Patienten mit Aktivsubstanz beeinflussen [69]. (Lokale) Wärme und Vervielfachung des kutanen Blutflusses führen dazu, dass die systemische Verfügbarkeit von trans- oder subkutan verabreichten Arzneistoffen sich verstärken kann (z. B. Opioidpflaster, [76]), was bei Substanzen mit enger therapeutischer Breite ein relevanter Unterschied ist. Dieser Effekt wurde auch bei Anwendung von Altinsulin, jedoch nicht von retardiertem Insulin beobachtet [77, 78, 79, 80].

Außerdem führen die erheblichen Kreislaufveränderungen unter extremer Hitze dazu, dass Nieren- und Leberperfusion um etwa ein Drittel abnehmen [69]. Letzteres hat Einfluss auf die Bioverfügbarkeit von oral verabreichten Substanzen mit hoher hepatischer Extraktionsrate (Substanzen mit hohem First-Pass-Effekt), wie z. B. trizyklische Antidepressiva oder β‑Rezeptoren-Blocker. So steigt bei großer Hitze beispielsweise die Plasma-Konzentration von Propranolol um 67 % an, was mit verstärkter Pulsverlangsamung einhergeht [81].

Zusammenfassend sollten Risikopatienten während Hitzewellen besonders sorgsam überwacht werden. Ziele sind, Ausscheidungsstörungen zu erkennen und kritische Arzneimittel ggf. rechtzeitig abzusetzen, zu pausieren oder in der Dosis zu reduzieren. Hierzu zählen insbesondere Wirkstoffe, die erheblich in die Temperatur- und Kreislaufregulation eingreifen (in erster Linie Diuretika, anticholinerge Stoffe) oder die Vigilanz und damit die Selbstsorge des Patienteneinschränken können (Sedativa, Opioide). Unter folgendem Link findet sich eine stets aktualisierte Tabelle, die die Stoffklassen, die erwarteten Risiken und mögliche Maßnahmen zur Risikominimierung übersichtlich zusammenfasst [82].

Handlungsfeld 4: proaktiv mit Risikopatienten Kontakt aufnehmen

Ein Hausbesuch ist im Sommer sinnvoll, weil er dem Patienten die u. U. anstrengende Anreise in die Praxis erspart. Der Arzt kann vor Ort anhand der Gegebenheiten (Belüftung, Raumtemperatur, Lage des Schlafzimmers etc.) zielgenau beraten. In Anbetracht schwieriger Abrechnungsmöglichkeiten, insbesondere von präventiven Hausbesuchen, ist zu überlegen, ob solche (vor-)sommerlichen Hausbesuche an besonders ausgebildete medizinische Fachangestellte delegiert werden können (z. B. VerAH-Programm, Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis).

Die WHO empfiehlt, dass Risikopersonen in Hitzewellen mindestens täglich besucht werden sollen [47]. Dies kann weder der Hausarzt noch seine medizinische Fachangestellte leisten. Bei älteren Menschen, die durch ambulante Dienste versorgt werden, sollte der Hausarzt prüfen, ob auch nichtpflegerische Maßnahmen, wie Lüften und Schattieren der Wohnung vom ambulanten Pflegedienst übernommen werden können. Pflegedienste können solche Tätigkeiten teilweise als „besondere Leistungen“ abrechnen (beispielsweise Rahmenvertrag über ambulante pflegerische Versorgung gemäß §75 Abs. 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch, SGB XI, für das Land Baden-Württemberg).

Auch die Mobilisierung eines sozialen Netzwerks ist sinnvoll. Identifizierte Personen können DWD-Warnmeldungen abonnieren und Schulungsangebote wie das der LMU München (s. oben) nutzen. Reichen die Kapazitäten für einen täglichen Besuch nicht aus, kann bereits ein täglicher Anruf hilfreich sein.

Wenn es lokal eine gute Vernetzung der Akteure gibt, kann gemeinsam von allen Akteuren (Ärzte, Pflege, Hauswirtschaft, Angehörige) eine Standardarbeitsanweisung erarbeitet werden, um den Umgang mit extremen Wetterereignissen zu regeln [83].

Im französischen Hitzewarnsystem besteht die Möglichkeit, dass Risikopersonen sich in einem freiwilligen Risikoregister aufnehmen lassen und dann an Tagen mit Hitzewarnung von Freiwilligen besucht und unterstützt werden. Dies ist in Deutschland bisher nicht absehbar, stellt aber ein mögliches Instrument dar, um Menschen zu versorgen, die weder für formale Pflege infrage kommen noch über ein informelles Netzwerk unterstützt werden können. Hier kämen auch Besuchsdienste und ehrenamtliche Helfer aus den Wohlfahrtsverbänden in Betracht. Prinzipiell könnte die Einbindung der Rettungsdienste zur Prävention hitzebedingter Risiken im Rahmen der Umsetzung des Sendai UN-Rahmenwerks [84] im Katastrophenschutz erfolgen. In diesem, von Deutschland ratifizierten Rahmenwerk, werden Hitzewellen ausdrücklich als Katastrophenfall definiert.

Setting Pflegeheim

Viele Ärzte betreuen ältere Menschen in Pflegeheimen. Die Hessische Betreuungs- und Pflegeaufsicht hat Leitlinien für außergewöhnliche Hitzeperioden zur Vorbereitung und zum Vorgehen in stationären Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe erstellt, deren Lektüre zu empfehlen ist [85]. Da die Sicherstellung von kühlen Räumen die effektivste Maßnahme zum Schutz vor extremer Hitze ist, beinhaltet diese Handreichung viele Hinweise bezüglich baulicher oder funktioneller Maßnahmen zur Beeinflussung des Raumklimas [49]. Sofern möglich, sollten Pflegeeinrichtungen mindestens einen klimatisierten (Gemeinschafts‑)Raum mit einer Temperatur von etwa 25 °C vorhalten. In diesem können sich die Bewohner tagsüber aufhalten.

Neben der gründlichen Schulung der Mitarbeiter ist der Erhalt der Hitzewarnungen wichtig, um entsprechende Maßnahmen einleiten zu können. Des Weiteren enthalten die hessischen Empfehlungen detaillierte Anweisungen für Präventionsmaßnahmen im Rahmen der Einrichtungsorganisation sowie der Betreuung und Pflege der Bewohner. Als visitierender Arzt ist es besonders wichtig, mit den Pflegenden gemeinsam eine Risikoabschätzung zu vorzunehmen sowie präventive Maßnahmen anzuregen, sofern noch nicht erfolgt (Tab. 2). Bei entsprechenden Risikopatienten sollten dann die Medikamente geprüft und ggf. angepasst werden (s. Abschn. „Handlungsfeld 3: Medikamente prüfen“). Zudem gilt es, die Körperkerntemperatur des Patienten regelmäßig zu messen und engmaschig auf Zeichen von Hitzeerschöpfung bzw. eines Hitzeschlags zu achten. Auch sollte auch eine Trinkmengenempfehlung oder ggf. Verordnung subkutaner Flüssigkeitsgabe erfolgen.

Setting Notaufnahme und stationäres Entlassungsmanagement

Notaufnahme ohne stationäre Aufnahme

Zunehmend werden Patienten aus der Notaufnahme wieder ins häusliche Umfeld entlassen. Da Hitzewellen häufig in Urlaubszeiten der Mitarbeiter von Gesundheitsfachberufen fallen, ergeben sich erhebliche Probleme, die Behandlung im häuslichen Umfeld zu sichern. Vor diesem Hintergrund sollte jede Notaufnahme eine Standardarbeitsanweisung vorhalten, wie mit hitzegefährdeten und hitzegeschädigten Patienten verfahren werden soll. In vielen Fällen stellt eine Hypotonie, Dehydratation oder eine Beinahe-Synkope bei Hitze keine ausreichende Rechtfertigung für eine stationäre Aufnahme dar. Grund hierfür ist die Neufassung der abgestuften Notaufnahmekriterien und der damit verbundenen Mehrvergütung. Diese sieht die Verpflichtung vor, kurzfristige stationäre Wiedervorstellungen und stationäre Aufnahmen zu verhindern. Daher müssen Notaufnahmen besonders befähigt werden, Risikomedikamente zu reduzieren bzw. zu pausieren und nichtpharmakologische Maßnahmen einzuleiten.

Stationäres Entlassungsmanagement

Das ärztliche Wissen um die Versorgung stationärer Patienten mit hitzebedingten Erkrankungen setzen die Autoren des vorliegenden Beitrags als bekannt voraus. Zudem gelten für präventive Maßnahmen während des stationären Aufenthalts die gleichen Regeln wie im stationären Pflegebereich. Daher wird im Folgenden gesondert auf das stationäre Entlassungsmanagement eingegangen. Die neuen gesetzlichen Regelungen zum Entlassungsmanagement schreiben vor, dass die ambulante Weiterbehandlung bis zur primärärztlichen Weiterversorgung abgesichert werden muss. In der Regel wird von einem Zeitrahmen von bis zu 7 Tagen ausgegangen. Dies beinhaltet die angemessene Patientenaufklärung, die Abgabe von Medikamenten (ggf. Rezept) und die Information der Primärversorger. Letzteres betrifft meist den Allgemeinarzt und oft auch den Pflegedienst oder das Pflegeheim.

Nimmt man die im Abschn. „Handlungsfeld 3: Medikamente prüfen“ getroffenen Aussagen zur klinischen Pharmakologie als Grundlage, wird schnell deutlich, dass häufiger Dosisanpassungen bzw. Empfehlungen bei der Blutdruck- und Diuretikadosierungen vorgenommen und auf dem Medikamentenplan vermerkt werden, dass aber andere Hinweise nur selten bekannt sind. Die Warnhinweise zu transdermalen Opioidtherapien oder intensiviertem Blutzucker-Monitoring bei Altinsulingaben sind praktisch unbekannt. Dies zeigt, dass hier erheblicher Weiterbildungsbedarf besteht. Mit dem bundeseinheitlichen Medikationsplan und den zukünftigen elektronischen Dokumentations- und Expertensystemen gibt es fachlich keinen Zweifel, dass es eine Informationspflicht besteht. Je nach sozialem Netzwerk muss bei Zugangsproblemen zur Wohnung, Mobilitätseinschränkungen und kognitiven Beeinträchtigungen eine formelle oder informelle Unterstützung in Hitzewellen sichergestellt werden.

Fazit für die Praxis

  • Temperaturen über 32 °C, die über mehrere Tage und ohne ausreichende nächtliche Abkühlung anhalten, erhöhen die Sterblichkeit insbesondere von Menschen über 75 Jahren mit Vorerkrankungen und Pflegebedürftigkeit.

  • Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt die Etablierung von Hitzeaktionsplänen. Auch in Deutschland sollen solche sektorübergreifenden Pläne zum Hitzeschutz unter Einbindung der Ärzteschaft eingeführt werden.

  • Die Anwendung von Arzneimitteln kann die Abkühlungsmechanismen des Körpers behindern und durch hitzebedingte Vorgänge können Wirkstoffe in ihrer Pharmakokinetik verändert werden. Zudem können hitzebedingte Gesundheitsschäden unerwünschte Arzneimittelwirkungen begünstigen. Daher bedarf es besonders im Sommer der kritischen Prüfung der Medikamentenliste.

  • Ärzte können durch Information, Optimierung von Praxisabläufen, Prüfung von Medikamenten und Koordinierung von Helfern zum Schutz älterer Menschen vor hitzebedingten Gesundheitsschäden beitragen.