FormalPara Ad-hoc-Taskforce der DGfE, ÖGfE und der Schweizerischen Epilepsie-Liga (alphabetisch)
  • Prof. Dr. Hajo Hamer, MHBA, Erlangen, Deutschland

  • Dr. med. Günter Krämer, Zürich, Schweiz

  • Prof. Dr. med. Stephan Rüegg, Basel, Schweiz

  • Prof. Dr. med. Andreas Schulze-Bonhage, Freiburg, Deutschland

  • Univ. Prof. Dr. Mag. Eugen Trinka, FRCP, Salzburg, Österreich

FormalPara Kernpunkte
  • Die ILAE stellt eine revidierte einfache und erweiterte Klassifikation von Anfallsformen bereit mit initialer Einteilung in einen fokalen, generalisierten oder unbekannten Anfallsbeginn.

  • Fokale Anfälle werden optional unterteilt in solche mit erhaltenem oder gestörtem Bewusstsein (bewusst erlebt oder nicht bewusst erlebt). Spezifische motorische oder nichtmotorische Klassifikatoren können hinzugefügt werden.

  • Anfälle mit generalisiertem Anfallsbeginn können motorisch, tonisch-klonisch, klonisch, tonisch, myoklonisch, myoklonisch-tonisch-klonisch, myoklonisch-atonisch, atonisch und epileptische Spasmen sein.

  • Anfälle mit generalisiertem Anfallsbeginn können auch nichtmotorisch (Absencen) sein: typische Absence, atypische Absence, myoklonische Absence oder Absence mit Lidmyoklonien.

  • Zusätzliche Deskriptoren und Freitext zur Anfallscharakterisierung werden befürwortet. Eine Gegenüberstellung alter und neuer Termini soll die Akzeptanz der neuen Klassifikation erleichtern.

Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) hat 2017 eine neue Klassifikation von Anfallsformen herausgegeben (begleitendes Manuskript). Die Revision der Klassifikation, die in modifizierter Form seit 1981 genutzt wurde, war durch mehrere Faktoren motiviert. Einige Anfallsformen, z. B. tonische Anfälle oder epileptische Spasmen, können einen fokalen oder generalisierten Beginn haben. Unkenntnis über den Beginn macht Anfälle unklassifizierbar. Einige Termini, die zur Anfallsklassifikation genutzt wurden, wurden von Fachleuten und Laien nicht angewandt oder ohne Expertenwissen nicht verstanden, einschließlich „dyskognitiv“, „psychisch“, „partiell“, „einfach-partiell“ und „komplex-partiell“. Für Nichtklinker kann es verwirrend sein, zu beurteilen, ob eine Person während eines Anfalls ein gestörtes Bewusstsein hat. Die neue Klassifikation behandelt diese relevanten Themen. Der folgende Text erläutert, wie die Klassifikation von Anfallsformen von 2017 anzuwenden ist.

Methoden

Die Klassifikation eines Anfalls beginnt mit der anamnestischen Erhebung oder Beobachtung bestimmter Symptome (manchmal als Anfallssemiologie bezeichnet), die bekannterweise bei üblichen Anfällen vorkommen. Die Hauptsymptome können nicht in einer Eins-zu-Eins-Beziehung Anfallsformen zugeordnet werden, da einige Symptome bei mehr als einer Anfallsform vorkommen. Ein Innehalten kann beispielsweise sowohl bei fokalen Anfällen mit gestörtem Bewusstsein (= nicht bewusst erlebten fokalen Anfällen) als auch bei Absencen auftreten. Tonisch-klonische Aktivität kann bei einem generalisierten Anfall von Beginn an oder im Verlauf der Entwicklung eines Anfalls mit fokalem Anfallsursprung auftreten. Umgekehrt kann eine Anfallsform oft mit mehreren Symptomen einhergehen. Die Bezeichnung einer Anfallsform als „Anfall mit Automatismen“ gestattet keine Unterscheidung zwischen einem fokalen Anfall mit gestörtem Bewusstsein und einer Absence. Da diese beiden Anfallsformen unterschiedlich behandelt werden und unterschiedliche Prognosen haben, ist die Beibehaltung unterschiedlicher Anfallsformen nützlich, selbst wenn zur Klassifikation ein gewisser Grad an Interpretation jenseits der direkten Beobachtung erforderlich sein kann. Die Unterscheidung von Anfallsformen kann üblicherweise anhand der Erkennung einer charakteristischen Abfolge von Symptomen und anderen klinischen Beobachtungen vorgenommen werden. Typische Absencen zeigen beispielsweise eine schnellere funktionelle Erholung als fokale Anfälle mit Bewusstseinsstörung. Manchmal sind zusätzliche Informationen durch Elektroenzephalographie (EEG), Bildgebung oder Laboruntersuchungen erforderlich, um einen Anfall korrekt zu klassifizieren. In diesen Fällen beginnt sich die Anfallsklassifikation unmerklich mit der Diagnose des Epilepsiesyndroms zu vermischen [1, 2]. In Anbetracht eines Mangels an einem fundamentalen pathophysiologischen Verständnis der unterschiedlichen Anfallsmanifestationen spiegelt die Symptomgruppierung in Anfallsformen eine operationelle Meinung darüber wider, welche Gruppierungen hinreichend unterschiedlich und verbreitet sind, um einen spezifischen Namen zu rechtfertigen [3]. Diese Klassifikation wurde für die klinische Praxis entwickelt, sie kann jedoch auch von Forschern und anderen Gruppen mit spezifischen Zielen verwendet werden.

Ergebnisse

Die Anfallsklassifikation der ILAE von 2017 bietet in Abhängigkeit von dem gewünschten Grad an Detailliertheit eine einfache und eine erweiterte Versionen an. Die einfache Version stimmt prinzipiell mit der erweiterten überein, jedoch mit vereinfachten Subkategorien.

Einfache Klassifikation

Abb. 1 zeigt die einfache Klassifikation. Anfälle werden zunächst anhand ihres Ursprunges eingeteilt. Anfälle mit fokalem Beginn sind definiert als „mit Ursprung in Netzwerken, die auf eine Hemisphäre begrenzt sind. Er kann umschrieben lokalisiert oder weiter ausgedehnt sein. Fokale Anfälle können in subkortikalen Strukturen beginnen.“ Anfälle mit generalisiertem Anfallsbeginn „entstehen an irgendeinem Punkt eines bilateralen Netzwerkes und breiten sich hierin rasch aus“ [4]. Anfälle unbekannten Ursprungs können ebenfalls definierende motorische (z. B. tonisch-klonische) oder nichtmotorische (z. B. Innehalten) Charakteristika haben. Mit weiteren Anfallsbeobachtungen kann im Verlauf eine Reklassifizierung von Anfällen mit unbekanntem Ursprung zu solchen mit fokalem oder generalisiertem Beginn möglich werden. Entsprechend ist „Anfall mit unbekanntem Anfallsursprung“ kein Anfallscharakteristikum, sondern Ausdruck eines unzureichenden Kenntnisstandes. Wenn eine Anfallsform als „fokal“, „generalisiert“ oder „unbekannt“ bezeichnet wird, ist der Ursprung gemeint.

Abb. 1
figure 1

Die Basisversion der 2017er-ILAE-Klassifikation der Anfallsformen. aDefinitionen, andere Anfallsformen und Deskriptoren sind in einer Begleitpublikation und im Glossar der Fachbegriffe aufgeführt. bAufgrund unzureichender Information oder fehlender Möglichkeit, den Anfall anderen Kategorien zuzuordnen

Optional kann eine detailliertere Klassifikation erfolgen. Die nächste Stufe der Klassifikation fokaler Anfälle erfolgt anhand der Bewusstheit. Bewusstes Erleben ist operational definiert als Wissen um das Selbst und die Umgebung. Die Erfassung des bewussten Erlebens ist ein pragmatischer Surrogatmarker für die Bestimmung, ob das Bewusstsein gestört ist. Während eines bewusst erlebten fokalen Anfalls ist das Bewusstsein erhalten. Diese Bewusstheit bezieht sich auf die Bewusstseinslage während des Anfalls, nicht auf das Wissen, ob sich ein Anfall ereignet hat. Wenn das Bewusstsein während irgendeines Anfallsabschnittes beeinträchtigt ist, wird der Anfall als nicht bewusst erlebter fokaler Anfall klassifiziert. Praktisch bedeutet dies, dass ein Patient das bewusste Erleben im Anfall (durch Schilderung der Umstände des Anfalls und seines Ablaufes) belegen kann. Manche Anfälle können eine transiente epileptische Amnesie [5] mit erhaltenem Bewusstsein erzeugen, aber die Klassifikation solcher Anfälle würde eine außergewöhnlich exakte Dokumentation durch Beobachter erfordern. Man kann hierfür die Formulierung „nicht bewusst erlebter fokaler Anfall“ benutzen. Hierbei ist wichtig, dass auch eine unvollständige Beeinträchtigung des Bewusstseins vorliegen kann.

Reagibilität ist ein hiervon zu unterscheidendes klinisches Merkmal, das erhalten oder gestört sein kann bei Anfällen mit oder ohne erhaltenes Bewusstsein. Obwohl Reagibilität ein wichtiger beschreibender Aspekt von Anfällen ist, wird sie in der Klassifikation der ILAE von 2017 nicht zur Beschreibung spezifischer Anfallsformen verwendet. Die basale Klassifikation erlaubt ferner, Anfälle in solche mit motorischem oder nichtmotorischem Beginn (z. B. sensorischen Symptomen) zu klassifizieren. Die weitere Spezifizierung nutzt die im Folgenden diskutierte erweiterte Klassifikation.

Die Anfallsform „fokal (mit Übergang) zu bilateral tonisch-klonisch“ bedarf einer speziellen Kategorie aufgrund ihres häufigen Vorkommens, obwohl sie das Ausbreitungsmuster der Anfallsaktivität und nicht eine eigenständige Anfallsform beschreibt. Die Bezeichnung „fokal (mit Übergang) zu bilateral tonisch-klonisch“ ersetzt die ältere „sekundär generalisiert“. In der neuen Klassifikation wird „bilateral“ für die Ausbreitung von fokalen Anfällen und „generalisiert“ für Anfälle mit generalisiertem Beginn verwendet.

Anfälle mit generalisiertem Beginn werden in motorische und nichtmotorische (Absence‑)Anfälle unterteilt. Die Bewusstseinslage wird nicht als Klassifikator generalisierter Anfälle benutzt, da die überwiegende Mehrzahl generalisierter Anfälle (wenn auch nicht alle) mit einer Bewusstseinsstörung einhergehen. Definitionsgemäß sollte motorische Aktivität von Beginn an bilateral sein, aber in der basalen Klassifikation muss die motorische Aktivität nicht spezifiziert werden. Bei asymmetrischem Beginn der motorischen Aktivität kann es in der Praxis schwierig sein festzulegen, ob ein Anfall einen fokalen oder generalisierten Beginn hat.

Absencen (das Präfix „mit generalisiertem Beginn“ ist implizit) präsentieren sich durch ein plötzliches Sistieren von Aktivität und Bewusstsein. Absencen kommen v. a. in jüngeren Altersgruppen vor und zeigen meist weniger komplexe Automatismen als fokale Anfälle mit gestörtem Bewusstsein, aber die Abgrenzung ist unscharf. EEG-Informationen können zur korrekten Klassifikation erforderlich sein. Fokale epileptische Aktivität kann bei fokalen Anfällen gesehen werden und bilateral synchrone Spike-wave-Entladungen bei Absencen.

Erweiterte Klassifikation

Die erweiterte Klassifikation (Abb. 2) bietet eine zusätzliche Ebene von Anfallsbezeichnungen, die auf der einfachen Klassifikation aufbaut. Die vertikale Organisation der Kategorie von Anfällen fokalen Ursprungs ist nicht hierarchisch, da die Angabe des Bewusstseinszustandes optional ist. Ein fokaler Anfall kann als „bewusst erlebt fokal“ (korrespondierend zur Bezeichnung „einfach-partieller Anfall“ von 1981) oder als „nicht bewusst erlebt fokal“ (korrespondierend zur Bezeichnung „komplex-partieller Anfall“ von 1981) klassifiziert werden. Fokale Anfälle mit erhaltenem oder gestörtem Bewusstsein können optional durch zusätzliche Angabe eines initialen motorischen oder nichtmotorischen Zeichens klassifiziert werden, die das früheste prominente Symptom außer der Bewusstseinslage widerspiegeln. Alternativ kann bei einem fokalen Anfall die Angabe zur Bewusstseinslage entfallen, wenn diese nicht anwendbar oder unbekannt ist und der fokale Anfall direkt durch die ersten motorischen oder nichtmotorischen Zeichen charakterisiert wird.

Abb. 2
figure 2

Die erweiterte operationale 2017er-ILAE-Klassifikation der Anfallsformen. Die folgenden Erklärungen sollen eine Anleitung bei der Wahl der Anfallsform sein. Bei fokalen Anfällen ist die Angabe der Bewusstseinslage bzw. des bewussten oder nicht bewussten Erlebens optional. Bewusstes Erleben bedeutet, dass der Patient sich seiner selbst und der Umgebung gewahr ist, auch wenn er sich nicht bewegen kann. Ein bewusst erlebter fokaler Anfall entspricht dem früheren Begriff „einfach-partieller Anfall“. Ein nicht bewusst erlebter Anfall entspricht dem früheren Begriff „komplex-partieller Anfall“ und ein beeinträchtigtes Bewusstsein während irgendeines Abschnittes des Anfalls bedingt die Einstufung als nicht bewusst erlebter Anfall. Bewusst erlebte oder nicht bewusst erlebte fokale Anfälle können darüber hinaus durch eines der unten angeführten initialen motorischen oder nicht-motorischen Symptome charakterisiert werden, die das erste prominente Anfallssymptom widerspiegeln. Anfälle sollten anhand des frühesten prominenten Zeichens klassifiziert werden, mit Ausnahme eines Innehaltens, das nur dann zur Klassifikation genutzt werden soll, wenn es während des gesamten Anfalls das prominente Symptom ist. Daneben kann bei der Bezeichnung eines fokalen Anfalls auf die Erwähnung des Bewusstseinszustandes verzichtet werden, wenn dies nicht anwendbar oder der Zustand nicht bekannt ist, und der Anfall unmittelbar durch seine initialen motorischen oder nicht-motorischen Charakteristika klassifiziert werden. So wird das Bewusstsein bei atonischen Anfällen und epileptischen Spasmen üblicherweise nicht spezifiziert. Kognitive Anfälle implizieren eine Beeinträchtigung der Sprache oder anderer kognitiver Bereiche oder positive Symptome wie Déjà vu, Halluzinationen, Illusionen oder Wahrnehmungsstörungen. Emotionale Anfälle umfassen Angst, Furcht, Freude, andere Emotionen oder das Auftreten von scheinbar affektivem Verhalten ohne subjektiv erlebte Emotionen. Eine Absence ist atypisch bei langsamem Beginn oder Ende oder bei signifikanten Veränderungen des Muskeltonus, begleitet von atypischer, langsamer, generalisierter Spike-Wave-Aktivität im EEG. Ein Anfall kann aufgrund mangelhafter Informationen unklassifiziert sein oder weil man die Form nicht in die anderen Kategorien einordnen kann. aDefinitionen, andere Anfallsformen und Deskriptoren sind in einer Begleitpublikation und im Glossar der Fachbegriffe aufgeführt. bDer Bewusstseinsgrad wird üblicherweise nicht spezifiziert. cAufgrund unzureichender Information oder fehlender Möglichkeit, den Anfall anderen Kategorien zuzuordnen

Bei fokal beginnenden Anfällen sollte der Arzt den Grad an Bewusstheit, wie in der einfachen Klassifikation beschrieben, beurteilen. Man sollte die Patienten fragen, ob sie Vorkommnisse während der Anfälle bewusst erlebt haben, selbst wenn sie nicht reagiert haben oder nicht in der Lage waren, Sprache zu verstehen, oder ob dies nicht der Fall war. Wenn jemand den Raum während des Anfalls betrat, erinnert er sich danach daran? Eine Fremdanamnese kann bei der Klärung des Verhaltens im Anfall helfen. Der Versuch, zwischen iktualem und postiktualem Zustand zu unterscheiden, ist sehr wichtig, da das Bewusstsein während Letzterem zurückkehrt. Wenn der Bewusstseinszustand sicher ist, wie beispielsweise häufig bei atonischen Anfällen und epileptischen Spasmen, können Anfälle als fokal klassifiziert werden, ohne den Bewusstseinszustand zu spezifizieren. Beschreibungen des Bewusstseinsgrades sind optional und werden lediglich durchgeführt, insofern er bekannt ist. Ein „bewusst erlebter fokaler Anfall“, ob mit oder ohne weitergehende Charakterisierung, entspricht dem alten Begriff „einfach partieller Anfall“, und „nicht bewusst erlebter fokaler Anfall“ entspricht dem alten Begriff „komplex-partieller Anfall“. Folgende Begriffe in der „fokalen“ Gruppe der erweiterten Klassifizierung können weitergehend den Typ von fokalen Anfällen ohne oder mit Bewusstseinsbeeinträchtigung spezifizieren. Alternativ kann der Grad an Bewusstheit unspezifiziert bleiben und ein Anfall als fokaler Anfall mit einem der motorischen oder nichtmotorischen Anfangscharakteristika, wie in Tab. 2 angeführt, klassifiziert werden.

Fokal beginnende Verhaltensweisen umfassen folgende Symptome: atonisch (fokaler Tonusverlust), tonisch (anhaltende fokale Versteifung), klonisch (fokales rhythmisches Zucken), myoklonisch (unrhythmisches, kurzes fokales Zucken) oder epileptische Spasmen (fokale Flexion oder Extension der Arme und Flexion des Rumpfes). Die Unterscheidung zwischen klonisch und myoklonisch ist etwas arbiträr, aber klonisch impliziert durchgehende, stereotype Zuckungen in regelmäßigen Abständen, während Myoklonien weniger regelmäßig und in kürzeren Gruppen auftreten. Andere, weniger offensichtlich fokale motorische Verhaltensweisen beinhalten hyperkinetische (tretende, schlagende) Aktivitäten und Automatismen.

Ein Automatismus ist eine mehr oder weniger koordinierte, ziellose, repetitive motorische Aktivität. Beobachter sollten gefragt werden, ob der Patient repetitive, ziellose Verhaltensfragmente aufzeigte, die unter anderen Umständen als normal erscheinen könnten. Manche Automatismen überschneiden sich mit anderem motorischem Verhalten, beispielsweise „radfahrenden“ Bewegungsschablonen oder hyperkinetischer Aktivität, weswegen die Klassifizierung mehrdeutig wird. Die 2017er-ILAE-Klassifizierung ordnet arbiträr radfahrende Bewegungen den hyperkinetischen Anfällen statt Anfällen mit Automatismen zu. Automatismen können bei fokalen Anfällen und bei Absencen auftreten.

Bei einem fokal motorischen Anfall mit Innehalten sistiert die Bewegung und fehlt eine Reaktivität. Da ein kurzes Innehalten zu Anfallsbeginn häufig und schwer feststellbar ist, sollte ein „fokaler Anfall mit Innehalten“ diesen Arrest als prädominanten Aspekt des gesamten Anfalls beinhalten.

Fokale autonome Anfälle zeigen sich in Form gastrointestinaler Empfindungen, einem Gefühl von Hitze oder Kälte, Hitzewallungen, Piloarrektionen (Gänsehaut), Palpitationen, sexueller Erregung, respiratorischen Veränderungen oder anderen autonomen Effekten. Fokale kognitive Anfälle können festgestellt werden, wenn der Patient während Anfällen von sprachlichen Defiziten, Beeinträchtigungen des Denkens oder assoziierter höherer kortikaler Funktionen berichtet oder diese zeigt und wenn diese Symptome gegenüber anderen Anfallsmanifestationen im Vordergrund stehen. Déjà vu, Jamais vu, Halluzinationen, Illusionen und zwanghaftes Denken sind Beispiele induzierter, abnormaler kognitiver Phänomene. Ein korrekterer, wenn auch weniger wohlklingender Begriff wäre „fokaler Anfall mit beeinträchtigter Kognition“, aber die Beeinträchtigung der Kognition kann unterstellt werden, da Anfälle niemals kognitive Funktionen verbessern. Fokale emotionale Anfälle können mit Stimmungsschwankungen, einschließlich Angst, Agitation, Wut, Wahn, Glücksempfindung, Freude, Ekstase, Lachen oder Weinen einhergehen. Manche dieser Phänomene sind subjektiv und müssen vom Patient oder Betreuer erinnert und berichtet werden. Emotionale Symptome umfassen eine subjektive Komponente, wohingegen anscheinend affektive Zeichen von subjektiver Emotionalität begleitet sein können oder auch nicht. Eine Beeinträchtigung des bewussten Erlebens von Ereignissen im Anfall klassifiziert den Anfall nicht als einen fokalen kognitiven Anfall, da Bewusstseinsstörungen bei jedem fokalen Anfall eintreten können. Ein fokaler sensorischer Anfall kann somatosensible, olfaktorische, visuelle, auditive, gustatorische, Temperaturempfindungen oder vestibuläre Empfindungen hervorrufen.

Der Arzt muss entscheiden, ob ein Ereignis ein einzelner Anfall mit sich entwickelnden Manifestationen im Verlauf ist oder alternativ 2 separaten Anfällen entspricht. Diese Unterscheidung kann manchmal schwierig sein. Eine reibungslose, kontinuierliche Entwicklung von Symptomen und EEG-Mustern (wo verfügbar) legt nahe, dass das Vorkommnis ein einziger Anfall ist. Die Wiederholung einer stereotypen Sequenz an Zeichen, Symptomen und EEG-Veränderungen zu unterschiedlichen Zeiten deutet auf eine einheitliche Anfallsform hin. Einheitliche fokale Anfälle werden nach der initialen Manifestation und der Integrität oder der Beeinträchtigung des Bewusstseins zu irgendeinem Zeitpunkt des Anfalls klassifiziert. Im Gegensatz hierzu weisen diskontinuierliche, unterbrochene oder nichtstereotype Ereignisse auf eine Klassifizierung als mehr als eine Anfallsform hin. Man betrachte ein Ereignis mit Déjà vu, repetitivem, grundlosem Schmatzen, Bewusstseinsverlust, forcierter Version nach rechts und Tonisierung des rechten Armes. Die gleichmäßige Entwicklung legt eine einheitliche Anfallsform nahe, die als nicht bewusst erlebter fokaler kognitiver Anfall klassifiziert werden würde. Es wäre nützlich, Informationen über die Entwicklung zu Automatismen und zur tonischen Version als optionale Beschreibung, nicht jedoch als Anfallsform, anzufügen. In einem anderen Szenario kann ein Arzt einen Anfall mit Angst und Bewusstseinsverlust antreffen. Der Patient erholt sich und hat 30 min später ein Ereignis mit Kribbeln im rechten Arm bei klarem Bewusstsein. Solch eine Sequenz zeigt 2 separate Anfälle, der erste ist ein nicht bewusst erlebter fokaler emotionaler Anfall und der zweite ein bewusst erlebter fokaler sensorischer Anfall.

Manchmal kommen andere fokale Anfallsformen vor, z. B. fokale tonisch-klonische Anfälle, jedoch nicht häufig genug, um diese als eigenen Anfallstyp zu benennen. Anstatt die Bezeichnung „sonstige“ in jede Kategorie zu integrieren, wurde entschieden, zur unspezifischen Anwendung der höheren Kategorie zurückzugehen, so wie motorischer Beginn oder nichtmotorischer Beginn, falls die nächste Detailstufe unklar ist oder der Anfall nicht als eigene Anfallsform gelistet ist.

Die Klassifikation von Anfällen mit generalisiertem Beginn ähnelt der 1981er-Klassifikation, sie wurde nur um wenige neue Formen erweitert. Das Bewusstsein ist bei Anfällen mit generalisiertem Beginn meist beeinträchtigt, sodass der Grad an Bewusstheit nicht als Klassifikator für diese Anfälle genutzt wird. Die Haupteinteilung ist in motorische und nichtmotorische (Absence‑)Anfallsformen. Die Termini „motorisch“ und „nicht-motorisch“ (Absence) werden benutzt, um die Charakterisierung von generalisiert beginnenden motorischen und nichtmotorischen Anfällen, über die sonst nichts gesagt werden kann, zu ermöglichen, wobei „motorisch“ und „nichtmotorisch“ (Absence) wegelassen werden kann, falls der Anfallsname unmissverständlich ist, wie z. B. bei „generalisierter tonischer Anfall“. Das Wort „generalisiert“ kann für Anfälle wie Absencen, die ausschließlich einen generalisierten Beginn haben, entfallen.

„Tonisch-klonisch“ bleibt die Bezeichnung, die „Grand mal“ ersetzt, obwohl die verbreitete Verwendung des alten französischen Begriffes zweifellos fortbestehen wird. Da es eine neue Anfallsform gibt, die durch Myoklonien vor einer Tonisierung (Versteifung) und Kloni (anhaltende rhythmische Zuckungen) charakterisiert ist, ist es wichtig, die frühen Bewegungen eines tonisch-klonischen Anfalls als tonisch zu dokumentieren. Die klonische Phase eines tonisch-klonischen Anfalls zeigt typischerweise eine regelmäßig abnehmende Frequenz der Kloni im Anfallsverlauf. Während eines tonisch-klonischen Anfalls kommt es vor oder gleichzeitig mit tonischen und klonischen Bewegungen zum Bewusstseinsverlust. Manche tonisch-klonischen Anfälle führen zu einem unspezifischen Gefühl eines nahenden Anfalls oder einer kurzen Periode einer Kopf- oder Rumpfversion, dies stellt jedoch einen generalisierten Beginn nicht infrage, da biologische Prozesse nie perfekte Synchronizität zeigen. Der Arzt muss beurteilen, ob tatsächlich ein fokaler Beginn vorliegt.

Generalisierte klonische Anfälle beginnen, entwickeln sich zu und enden mit rhythmischen beidseitiger Zuckungen der Extremitäten sowie häufig von Kopf, Nacken, Gesicht und Rumpf. Generalisierte klonische Anfälle kommen viel seltener vor als tonisch-klonische Anfälle, üblicherweise bei Kindern, und sollten von Zittrigkeit und Schauderattacken unterschieden werden [6].

Generalisierte tonische Anfälle manifestieren sich als bilaterale Versteifung oder Elevation der Gliedmaßen, häufig mit Versteifung des Nackens. Die Klassifizierung geht davon aus, dass auf die tonische Aktivität keine klonischen Bewegungen folgen. Die tonische Aktivität kann eine anhaltende abnormale Körperhaltung sein, entweder in Streckung oder Beugung, manchmal begleitet von Zittern der Extremitäten. Die Tonisierung kann schwer von einer Dystonie zu unterscheiden sein, definiert als anhaltende Kontraktion von agonistischen und antagonistischen Muskeln, die athetoide oder drehende Bewegungen bewirkt, die bei längerer Dauer zu abnormalen Körperhaltungen führen.

Generalisierte myoklonische Anfälle können isoliert oder in Verbindung mit tonischer oder atonischer Aktivität auftreten. Myoklonien unterscheiden sich von Kloni durch eine kürzere Dauer und fehlende Rhythmizität. Das Symptom einer Myoklonie kann epileptische und nichtepileptische Ursachen haben.

Generalisierte myoklonisch-tonisch-klonische Anfälle beginnen mit wenigen myoklonischen Zuckungen, gefolgt von tonisch-klonischen Phänomenen. Diese Anfälle sind häufig bei Patienten mit juveniler myoklonischer Epilepsie [7], gelegentlich auch bei anderen generalisierten Epilepsien. Es ist strittig, ob die ersten Zuckungen myoklonisch oder klonisch sind, aber selten sind sie hinreichend anhaltend, um sie klonisch zu nennen.

Ein myoklonisch-atonischer Anfall geht mit kurzen Zuckungen der Gliedmaßen oder des Rumpfes einher, gefolgt von einem schlaffen Sturz. Diese Anfälle, früher myoklonisch-astatisch genannt, werden am häufigsten beim Doose-Syndrom beobachtet [8], können aber auch beim Lennox-Gastaut-Syndrom und anderen Syndromen vorkommen.

„Atonisch“ bedeutet ohne Muskeltonus. Bei einem Tonusverlust der Beine während eines generalisierten atonischen Anfalls stürzt der Patient auf das Gesäß oder manchmal vorwärts auf Knie und Gesicht. Die Erholung erfolgt meistens innerhalb von Sekunden. Im Gegensatz hierzu führen tonische oder tonisch-klonische Anfälle typischerweise zu einem Sturz nach hinten.

Epileptische Spasmen wurden früher „infantile Spasmen“ genannt; diese Bezeichnung bleibt angemessen für epileptische Spasmen, die während des Kindesalters auftreten. Ein epileptischer Spasmus zeigt sich in Form einer plötzlichen Flexion oder Extension oder einer Mischung von Extension und Flexion vorrangig der proximalen Extremitäten und Rumpfmuskulatur. Spasmen treten häufig in Clustern und bevorzugt in der Kindheit auf.

Generalisierte nichtmotorische Anfallsformen umfassen unterschiedliche Typen von Absencen. Die Taskforce behielt die Unterscheidung zwischen typischer und atypischer Absence bei, da die beiden Anfallsformen mit unterschiedlichen EEG-Korrelaten, Epilepsiesyndromen, Therapien und Prognosen einhergehen. Entsprechend der 1981er-Klassifikation, die auf zahlreichen Video-EEG-Aufnahmen beruhte, werden Absencen als atypisch eingestuft, wenn sie stärker als bei typischen Absencen mit Veränderungen im Muskeltonus assoziiert sind oder der Beginn oder das Ende nicht abrupt ist. Ein EEG kann erforderlich sein, um die Unterscheidung zwischen typischen und atypischen Absencen zu treffen.

Eine myoklonische Absence [9] bezeichnet eine Absence mit rhythmischen 3/s myoklonischen Bewegungen, die zu einer zunehmenden Armabduktion und -elevation führt und mit 3/s generalisierten Spike-wave-Entladungen assoziiert ist. Die Dauer beträgt typischerweise 10–60 s. Eine Beeinträchtigung des Bewusstseins ist oft nicht offensichtlich. Myoklonische Absencen treten sowohl bei einer Vielzahl genetischer Epilepsien wie auch ohne bekannte genetische Assoziationen auf.

Lidmyoklonien sind myoklonische Zuckungen der Augenlider mit Bulbusdeviation nach oben und werden häufig durch Augenschluss oder Licht provoziert. Lidmyoklonien sind häufig mit Absencen assoziiert, können jedoch auch rein motorische Anfälle ohne assoziierte Absence sein, was eine Kategorisierung erschwert. Die 2017er Klassifikation ordnet sie nichtmotorischen Absencen zu, was kontraintuitiv erscheinen mag; die Myoklonien werden in diesem Fall jedoch als Absence-assoziiert aufgefasst und nicht als motorischer Anfall. Absencen mit Lidmyoklonien, (generalisiert tonisch-klonische) Anfälle sowie durch Lidschluss induzierte EEG-Paroxysmen und Fotosensitivität konstituieren die Triade des Jeavons-Syndroms [10].

Anfälle mit unbekanntem Beginn können motorisch oder nichtmotorisch sein. Die Hauptanwendung dieser Klassifizierung besteht für tonisch-klonische Anfälle mit unklarem Beginn. Zusatzinformationen können eine Reklassifizierung als fokal oder generalisiert beginnenden Anfall ermöglichen. Epileptische Spasmen und Anfälle mit Innehalten sind weitere mögliche Anfallsformen mit unklarem Beginn. Zur Klärung der Natur des Beginns epileptischer Spasmen kann ein detailliertes Video-EEG-Monitoring erforderlich sein; dessen Durchführung ist auch wichtig, weil ein fokaler Beginn auf eine behandelbare fokale Pathologie hinweisen kann. Ein Anfall mit unbekanntem Beginn und Innehalten könnte für einen fokalen Anfall mit Bewusstseinsstörung und Innehalten oder für eine Absence stehen. Ein Anfall kann auch aufgrund inadäquater Information oder der Unmöglichkeit, ihn in eine andere Kategorie einzuordnen, unklassifiziert bleiben. Wenn ein Ereignis nicht eindeutig ein epileptischer Anfall ist, sollte es nicht als unklassifizierter Anfall bezeichnet werden; diese Klassifikation ist reserviert für ungewöhnliche Ereignisse, die mit hoher Wahrscheinlichkeit epileptische Anfälle, jedoch ansonsten nicht charakterisiert sind.

Bei jeder Anfallsklassifizierung gibt es einen gewissen Grad an Unsicherheit. Die Task Force übernahm die allgemeine Richtlinie, dass man zu 80 % sicher sein sollte, dass der Beginn fokal oder generalisiert ist; andernfalls sollte der Anfall als „mit unbekanntem Beginn“ gelistet werden. Die 80 %-Schwelle wurde arbiträr gewählt entsprechend der 80 %-Grenze für falsch negative Ergebnisse statistischer Analysen.

Allgemeine Deskriptoren

Fokale Anfälle bringen eine Vielzahl potenzieller Empfindungen und Verhaltensweisen hervor, die zu vielfältig sind, um sie in eine Klassifikation aufzunehmen. Zur Erleichterung einer gemeinsamen Terminologie für Anfälle hat die Taskforce einige verbreitete Deskriptoren für Verhalten während fokalen Anfällen aufgelistet (Tab. 1); diese sind jedoch kein Bestandteil der Klassifikation. Anders ausgedrückt kann man diese allgemeinen Deskriptoren zur Anfallsklassifizierung hinzufügen, um die Manifestationen individueller Anfälle klar darzustellen, diese Deskriptoren definieren jedoch keine eigenständige Anfallsform in dieser Klassifikation. Deskriptoren stehen deshalb auf einer „niedrigeren Stufe“ als Zeichen wie „tonisch“, die eine Anfallsform definieren. Ein besonderer Deskriptor-Typ mit hoher Praxisrelevanz stellt die Lateralisierung dar. Die Task Force erkennt die Bedeutung detaillierter, individueller Freitextbeschreibungen eines Anfalls zusätzlich zur Klassifizierung an.

Tab. 1 Übliche Deskriptoren des Verhaltens während und nach einem Anfall (alphabetisch angeordnet)

Tab. 4 listet Abkürzungsvorschläge für die Hauptanfallsformen auf.

Zusammenfassung der Regeln für das Klassifizieren von Anfällen

  1. 1.

    Beginn: Mit mindestens 80 %iger Sicherheit entscheiden, ob der Beginn fokal oder generalisiert ist. Wenn dies nicht möglich ist, ist der Beginn unbekannt.

  2. 2.

    Bewusstsein: Bei fokalen Anfällen, entscheiden, ob man anhand des Grades an Bewusstheit klassifiziert, oder ob Bewusstheit als Klassifikator weggelassen wird. Bewusst erlebte fokale Anfälle entsprechen den bisherigen einfach-partiellen Anfällen und nicht bewusst erlebte fokale Anfälle den bisherigen komplexen-partiellen Anfällen.

  3. 3.

    Beeinträchtigtes Bewusstsein an irgendeinem Punkt: Ein fokaler Anfall gilt als Anfall mit Bewusstseinsbeeinträchtigung, wenn das Bewusstsein zu irgendeinem Punkt des Anfalls beeinträchtigt ist.

  4. 4.

    Prädominanter Beginn: Klassifizierung eines fokalen Anfalls anhand des ersten prominenten Symptoms.

  5. 5.

    Innehalten: Ein fokaler Anfall mit Innehalten zeigt ein Sistieren von Bewegungen als das prominente Merkmal des gesamten Anfalls.

  6. 6.

    Motorisch/nichtmotorisch: Ein bewusst erlebter fokaler oder nicht bewusst erlebter fokaler Anfall kann anhand motorischer oder nicht motorischer Charakteristika weiter subklassifiziert werden.

    Alternativ kann ein fokaler Anfall mit motorischen oder nichtmotorischen Charakteristika beschrieben werden, ohne den Bewusstseinszustand weiter zu spezifizieren. Beispiel: ein fokal tonischer Anfall.

  7. 7.

    Optionale Termini: Termini wie motorisch oder nichtmotorisch können weggelassen werden, wenn die Anfallsform ansonsten unmissverständlich ist.

  8. 8.

    Zusätzliche Deskriptoren: Nach Klassifizierung der Anfallsform anhand initialer Manifestationen wird befürwortet, andere Zeichen oder Symptome anhand von Deskriptoren oder Freitext weiter zu beschreiben. Diese verändern nicht die Anfallsform. Beispiel: Fokal emotionaler Anfall mit tonischer Bewegung des rechten Armes und Hyperventilation.

  9. 9.

    Bilateral vs. generalisiert: Die Bezeichnung „bilateral“ wird für tonisch-klonische Anfälle genutzt, die sich auf beide Hemisphären ausbreiten; die Bezeichnung „generalisiert“ für Anfälle, die augenscheinlich gleichzeitig in beiden Hemisphären entstehen.

  10. 10.

    Atypische Absence: Eine Absence ist atypisch, wenn sie einen langsamen Beginn oder ein allmähliches Ende hat, eine deutliche Tonusänderung oder einen EEG-Anfallsbeginn mit Spike-wave-Komplexen einer Frequenz von <3/s aufweist.

  11. 11.

    Klonisch vs. myoklonisch: Klonisch bedeutet anhaltendes rhythmisches Zucken und myoklonisch regelmäßiges, jedoch nicht anhaltendes Zucken.

  12. 12.

    Lidmyoklonie: Absence mit Lidmyoklonien bedeutet forciertes Aufwärtszucken der Augenlider während einer Absence.

Glossar

Tab. 2 bietet ein Glossar der Termini, die in diesem und dem begleitenden Text verwendet werden. Die Definitionen sind nicht universal, aber fokussieren sich auf die Aspekte der Fachsprache, mit der Anfälle beschrieben werden. Beispielsweise ist „sensorisch“ in Bezug auf sensorische Anfälle definiert, nicht auf alle Wahrnehmungen. Wenn möglich, wurden zur Unterstützung der Kontinuität früher akzeptierte Definitionen des ILAE-Glossars von 2001 [11] beibehalten, aber dieses Glossar aktualisiert einige Termini. Zur Definition alter Termini kann die ältere Literatur hinzugezogen werden. Termini, die nicht länger empfohlen werden, wurden weggelassen.

Tab. 2 Glossar der Fachtermini

Gegenüberstellung alter und neuer Termini

Tab. 3 bietet eine Gegenüberstellung alter offizieller und gebräuchlicher Termini zur Klassifikation der Anfallsformen von 2017.

Tab. 3 Gegenüberstellung alter und neuer Begriffe zur Anfallsklassifizierung
Tab. 4 Abkürzungen für die häufigsten wichtigen Anfallsformen

Beispiele

  1. 1.

    Tonisch-klonisch: Eine Frau erwacht und findet ihren Ehemann vor, während er im Bett einen Anfall hat. Der Beginn wird nicht beobachtet, aber sie kann eine bilaterale Versteifung, gefolgt von bilateralen Zuckungen beschreiben. EEG und Magnetresonanztomographie (MRT)-Befunde sind normal.

    Dieser Anfall wird als tonisch-klonisch mit unklarem Beginn klassifiziert. Es gibt keine ergänzenden Informationen, die erlauben würden, den Beginn als fokal oder generalisiert zu bestimmen. In der alten Klassifikation wäre dieser Anfall unklassifizierbar ohne weitere Vermerke gewesen.

  2. 2.

    Bilateral tonisch-klonisch mit fokalem Beginn: In einem alternativen Szenario zu Fall 1 zeigt das EEG einen klaren rechts parietalen Verlangsamungsherd. Magnetresonanztomographisch zeigt sich eine kortikale Dysplasie rechts parietal.

    Unter diesen Umständen kann der Anfall als bilateral tonisch-klonisch mit fokalem Beginn klassifiziert werden trotz des nicht beobachteten Beginns, da eine fokale Ätiologie identifiziert wurde und der Anfall mit überwältigender Wahrscheinlichkeit einen fokalen Beginn hatte. Die alte Klassifikation hätte diesen Anfall als partiellen Anfall mit sekundärer Generalisierung klassifiziert.

  3. 3.

    Absence: Bei einem Kind wird ein Lennox-Gastaut-Syndrom unbekannter Ätiologie diagnostiziert. Das EEG zeigt Züge von Slow-spike-Waves. Anfallsformen umfassen Absencen, tonische und fokal-motorische Anfälle. Die Absencen verlaufen prolongiert mit undeutlich abgegrenztem Beginn und Ende und führen manchmal zu Stürzen. In diesem Fall werden die Absencen als atypisch klassifiziert aufgrund ihrer Charakteristika, des EEG-Musters und des zugrunde liegenden Syndroms. Die Absencen wären im alten System in gleicher Weise klassifiziert worden.

  4. 4.

    Tonisch: Ein Kind hat kurze Anfälle mit Versteifung des rechten Arms und Beins, während derer Reaktivität und Bewusstsein erhalten bleiben. Dieser Anfall ist ein bewusst erlebter fokaler tonischer Anfall mit erhaltenem Bewusstsein (der Zusatz „motorischer Beginn“ ist implizit). Im alten System hätte man diesen Anfall tonisch genannt, evtl. in fälschlicher Annahme eines generalisierten Beginns.

  5. 5.

    Nicht bewusst erlebt fokal: Eine 25 Jahre alte Frau beschreibt Anfälle, die mit einem 30-sekündigem, intensiven Gefühl beginnen, dass „bekannte Musik spielt“. Sie kann andere Personen sprechen hören, erkennt jedoch im Nachhinein, dass sie nicht verstehen konnte, was sie sagten. Nach einer Episode ist sie leicht verwirrt und muss „sich neu orientieren“. Der Anfall würde als fokal mit Bewusstseinsstörung klassifiziert. Obwohl die Patientin in der Lage ist, mit ihrer Umgebung zu interagieren, kann sie sie nicht verstehen und ist leicht verwirrt. Die frühere Klassifikation wäre ein komplex-partieller Anfall gewesen

  6. 6.

    Autonom: Ein 22-jähriger Mann hat Anfälle, die er vollkommen bewusst erlebt, mit Gänsehaut an den Armen und einem Hitzegefühl.

    Diese werden als fokale nichtmotorische autonome Anfälle mit erhaltenem Bewusstsein klassifiziert oder prägnanter als bewusst erlebte fokal autonome Anfälle. Die alte Klassifizierung hätte sie einfach partiell autonome Anfälle genannt.

  7. 7.

    Fokal klonisch: Ein 1 Monat alter Junge hat rhythmische Zuckungen des linken Armes, die bei Umlagerung des Armes nicht aufhören. Ein korrespondierendes EEG zeigt rechts frontale iktale Rhythmen. Diese Anfälle sind klonische Anfälle fokal motorischen Beginns, oder kürzer, fokale klonische Anfälle. Da der Bewusstseinszustand nicht feststellbar ist, wird die Bewusstseinslage bei der Klassifikation nicht berücksichtigt. Die alte Klassifikation hätte für diesen Anfall keine Bezeichnung gehabt.

  8. 8.

    Sequenzielle Anfallsmanifestationen: Ein Anfall beginnt mit Kribbeln im rechten Arm eines 75-jährigen Mannes. Der Patient sagt, es gehe dann in rhythmisches Zucken des rechten Arms über, das etwa 30 s lang anhalte. Er behält Bewusstsein und Erinnerungsfähigkeit während des Vorkommnisses.

    Dieser Anfall ist ein (bewusst erlebter) fokaler sensorischer Anfall mit nichtmotorischem Beginn. Eine zusätzliche Beschreibung wäre nützlich, namentlich fokal sensorischer Anfall mit somatosensorischen Eigenschaften, der übergeht in Kloni im rechten Arm. Wenn die sensorischen und motorischen Vorkommnisse diskontinuierlich wären oder der Arzt Grund hätte, das Vorkommnis als 2 separate (bifokale oder multifokale) Anfälle einzuschätzen, dann würde jede Komponente als ein separater Anfall klassifiziert werden.

    Die alte Klassifikation hätte dies einen einfach-partiellen sensomotorischen Anfall genannt. Ein Vorteil der 2017er-Klassifikation ist die Spezifikation des sensorischen Beginns, der klinische Relevanz haben kann.

  9. 9.

    Myoklonisch-atonisch: Ein 4 Jahre alter Junge mit Doose-Syndrom hat Anfälle mit ein paar Armzuckungen und raschem Tonusverlust. Diese werden neu als myoklonisch-atonische Anfälle klassifiziert. Im vorherigen inoffiziellen Gebrauch hätte man diese myoklonisch-astatische Anfälle genannt.

  10. 10.

    Myoklonisch-tonisch-klonische Anfälle: Ein 13-Jähriger mit juveniler myoklonischer Epilepsie hat Anfälle, die mit einigen Zuckungen beginnen, gefolgt von Versteifung der Gliedmaßen und daraufhin rhythmischem Zucken aller Extremitäten. Diese werden neu als myoklonisch-tonisch-klonische Anfälle klassifiziert. In der alten Klassifikation existierte keine spezielle Anfallsform, aber man hätte sie myoklonische oder tonische Anfälle, gefolgt von tonisch-klonischen Anfällen nennen können.

  11. 11.

    Fokale epileptische Spasmen: Ein 14 Monate altes Mädchen erleidet plötzliche Extension beider Beine und Rumpfflexionen für etwa 2 s Dauer. Diese Anfälle wiederholen sich in Clustern. Der EEG zeigt eine Hypsarrhythmie mit bilateralen Spikes mit Betonung links parietal. Das MRT zeigt eine links parietale Dysplasie, eine Resektion der Dysplasie führt zu Anfallsfreiheit.

    Aufgrund der Zusatzinformation würde man die Anfallsform als fokal epileptische Spasmen einschätzen (die Bezeichnung motorischer Beginn ist implizit). Die vorherige Klassifizierung hätte dies infantile Spasmen genannt ohne Information zur Fokalität. Die Bezeichnung „infantil“ kann weiterhin genutzt werden, wenn Spasmen in der Kindheit auftreten.

  12. 12.

    Unklassifiziert: Ein 75 Jahre alter Mann mit Epilepsie berichtet von einem inneren Gefühl von Körperzittern und einem Gefühl von Verwirrung. Keine weiteren Informationen sind verfügbar. EEG und MRI sind normal. Dieses Ereignis ist unklassifiziert.

Diskussion

Dieser Begleittext zu dem Text, der die Gedanken und Struktur der Anfallsklassifikation der ILAE 2017 darstellt, bietet anwendungsorientierte Hinweise zur Nutzung der Klassifikation. Aber auch umfangreiche Erklärungen können die inhärenten Mehrdeutigkeiten einer Klassifikation im klinischen Alltagsgebrauch nicht eliminieren. Zum Beispiel können generalisiert beginnende tonisch-klonische Anfälle leicht asymmetrisch mit initialer Kopfversion verlaufen. Wie fokal muss eine Asymmetrie sein, um einen fokalen Beginn zu implizieren? Die Antwort liegt in der individuellen Beurteilung jedes Anfalls. Wie unsicher muss ein Arzt über die Beschaffenheit eines Beginns sein, um einen Anfall mit „unbekanntem Beginn“ zu klassifizieren? Die Taskforce setzte eine 80 % Sicherheit als Richtlinie, um einen Anfall als fokal oder generalisiert zu bezeichnen, aber zweifelsohne wird diese Grenze in der Praxis unscharf sein.

Mehrdeutigkeiten kommen vor, wenn ein Anfall mehrere Symptome hat, beispielsweise Tonisierung des Armes und Automatismen. Der Klassifizierende sollte das früheste, prominente Symptom wählen, aber verschiedene Beobachter mögen verschiedene Anfallsbezeichnungen wählen in Abhängigkeit von der Interpretation berichteter oder beobachteter Symptome. Diese Mehrdeutigkeiten können teilweise vermindert werden, wenn man die typischen Muster üblicher Anfälle kennt. Ein Innehalten, gefolgt von Lidflattern und Nicken für 5 s und sofortiger Erholung ist wahrscheinlich eine typische Absence, auch wenn jedes einzelne Symptom in mehreren Anfallsformen vorkommen kann. Zur Anfallsform hinzugefügte, optionale Deskriptoren können mehr über die Natur des Anfalls aussagen, beispielsweise, wenn man „mit Lachen“ zu „fokaler emotionaler Anfall mit Bewusstseinsstörung“ hinzufügt.

Diverse motorische Zeichen erscheinen jetzt in Verbindung mit fokalen oder generalisiert beginnenden Anfallsformen, aber es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Pathophysiologie bei beiden Kategorien identisch ist. Ein fokal tonischer Anfall kann andere Mechanismen als ein generalisierter tonischer Anfall haben, und jede Anfallsform kann verschiedene Prognosen, Ansprechen auf Behandlung, Demografie und Assoziationen mit Epilepsiesyndromen beinhalten. Selbst innerhalb der Kategorie fokal kann eine fokale Tonisierung als Teil eines fokalen Anfalls mit Bewusstseinsbeeinträchtigung (man denke an die häufige Dystonie während nicht bewusst erlebter fokaler Anfälle) eine andere Entität sein als bei fokal tonischen Anfällen bei einem Kind mit Lennox-Gastaut-Syndrom. Die Identifizierung dieser neuen Anfallsformen sollte es ermöglichen, mehr über sie und die mit ihnen assoziierten Syndrome zu lernen.

Eine Lern- und Akzeptanzkurve wird sich für diejenigen in der Gemeinschaft der Epileptologen entwickeln, die die 2017er-Klassifikation benutzen. Im Laufe der Zeit wird sich ein Konsens darüber herausbilden, welche Anfallsformen am besten die unterschiedlichen, wichtigen Symptomgruppen widerspiegeln. Die vergangenen Erfahrungen legen eine graduelle Akzeptanz der neuen Klassifizierung nahe mit kurzzeitiger Benutzung von Termini aus früheren Generationen von Klassifikationen. Die Anwendung der 2017er-Klassifikation im Alltag wird wahrscheinlich zu Revisionen führen. Eine erwünschte Auswirkung der 2017er-Klassifikation ist ein vereinfachter Austausch über Anfallsformen unter Ärzten, der nichtmedizinischen Gemeinschaft und Forschern. Künftige empirische Klassifikationen werden entwickelt werden, wenn das Wissen für die Konstruktion einer Klassifikation, basierend auf fundamentalen Ursachen der unterschiedlichen Anfallsformen, ausreicht.

Korrespondierender Übersetzer

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Prof. Dr. med. Andreas Schulze-Bonhage

Epilepsiezentrum

Universitätsklinikum Freiburg

Neurozentrum

Breisacher Str. 64

79106 Freiburg

Deutschland

andreas.schulze-bonhage@uniklinik-freiburg.de