Panelbericht: Films, photographies et prises de conscience environnementaliste durant la deuxième moitié du 20ème siècle / Filme, Fotografien und Umweltbewusstsein in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Autor / Autorin des Berichts
Lucie
Reisinger
Universität Zürich
Zitierweise: Reisinger, Lucie: Panelbericht: Films, photographies et prises de conscience environnementaliste durant la deuxième moitié du 20ème siècle / Filme, Fotografien und Umweltbewusstsein in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, infoclio.ch Tagungsberichte, 06.09.2022. Online: <https://www.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0288>, Stand: 29.03.2024

Verantwortung: Felix Rauh / Estelle Sohier
Referierende: Olivier Lugon / François Vallotton / Ahmet Köken / Stefan Länzlinger / Thomas Schärer
Kommentar: Felix Rauh

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Ziel der Beiträge sei es zu zeigen, dass audiovisuelle Quellen veritable Zeitzeugen und Belege für die Verschiebungen im Umweltbewusstsein sind, führte ESTELLE SOHIER (Genf) in das Panel ein. Fotos und Bewegtbilder seien kulturelle Darstellungen, die die Natur repräsentieren und als historische Quellen so Zugang zu Vorstellungen von der Natur bie­ten. Das Panel beleuchtete vor allem die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und zeigte die Kraft und die Macht der Bilder, das Umweltbewusstsein zu beeinflussen. Die drei Beiträge nahmen Bezug auf Fragen rund um die Rolle audiovisueller Medien im entstehenden Umweltbewusstsein, etwa in wel­chem Verhältnis dieses zu den technischen Er­neuerungen der Medien stand, für welche Standpunkte die Bilder instrumentalisiert wurden oder welchen Einfluss die Bildwelt auf die Normen und Werte der Gesellschaft hatte. Der Fokus lag dabei in allen Beiträgen auf den 1970er Jahren, die als ent­scheidend für das aufkommende Umweltbe­wusstsein gelten. Die natürlichen Ressourcen und ihre Ausbeutung fanden damals nämlich erstmals Eingang in die öffentlichen Debatten.
 
OLIVIER LUGON (Lausanne) und FRANÇOIS VALLOTTON (Lausanne) zeigten einführend in den ersten Beitrag einen Ausschnitt aus Jean-Luc Nicolliers Essayfilm Nous autres fossoyeurs, der im Natur­schutzjahr 1970 entstanden ist. An der Produktion und am Vertrieb des Filmes beteiligten sich unter anderem der WWF Schweiz, Pro Natura und das Eidgenössische Departement des Innern (EDI). Der Essayfilm sei ein emblematisches Beispiel für die neu aufkommenden Fragen der Ökologie: Es werde eine globale Perspektive vermittelt, die die globale Interdependenz unterstreicht. Dies bekräftige die Tatsache, dass die 1970er Jahre nicht nur politisch und wissenschaftlich ein Wendepunkt im Um­weltbewusstsein sind, sondern auch in medialer Hinsicht. Seit 1950 sind Darstellungen der Erde zah­lenmässig angestiegen, hierzu gehören etwa die grosse Fotografieausstellung The Family of Man 1955 im Museum of Modern Art (MoMA) in New York, die geprägt war von einem humanistischen Blick auf die Menschheit, oder kontrastreichere Visionen wie im Film Mondo Cane (1962). Die Umweltprob­leme und die Fortschrittskritik würden parallel zueinander zunehmen und vermehrt Eingang in me­diale Darstellungsformen finden, hielten die beiden Referenten abschliessend fest.
 
Im zweiten Vortrag stellte AHMET KÖKEN (Zürich) Hans A. Traber ins Zentrum, der als einer der pro­minentesten Macher der in den 1950er Jahren aufkommenden Naturfilme und -sendungen gilt. Er war 30 Jahre als Naturfilmer für das Schweizer Fernsehen tätig. Köken erläuterte die Charakteristi­ken von Trabers Fernsehsendungen: Markenzeichen sei das Mikroskop, mit dessen Technik er ver­tiefte Einblicke und ein besseres Verständnis der Natur vermittelte. Traber habe in seinen Sendun­gen schon früh das Bild einer erhaltenswerten Natur gezeichnet und darin immer wieder ökologische Missstände angeprangert. Weiteres Merkmal war die Unmittelbarkeit der Liveübertragungen, in de­nen Traber frei sprach und unter dem Mikroskop Lebewesen beobachtete, was seine Sendereihe Wunderwelt im Mikroskop (1955–1975) auszeichnete. Am Beispiel der Ausstrahlung Wasser in Gefahr beleuchtete Köken näher, wie Traber die Natur darstellte: Er zeigte dem Publikum Gewässerproben aus dem Zürichsee und veranschaulichte so, dass diese ohne Leben waren. In weiteren Sendungen verband er die «Naturliebe» mit dem Heimatschutz, indem er für eine Bewahrung des Landes vor den Folgen der Industrialisierung plädierte. Überdies vermittelte er ein Bild der Natur als Zufluchts­ort vor der Zivilisation, so zum Beispiel die Vorstellung des Waldes als Beschützer vor Lärm und Smog.

In den 1970er Jahren hätte es parallel zum veränderten öffentlichen Diskurs in Trabers Schaffen ei­nen Einschnitt gegeben: Seine Sendungen wandelten sich in ein Forum für Themen des sich neu politisierenden Umweltschutzes um. Traber habe nicht mehr mit Vertreterinnen und Vertretern der Behörden diskutiert, sondern kritisierte sie von nun an. Er rügte auch Gemeinden und andere Auto­ritäten und galt neu als kritischer Umweltschützer und Aufklärer, wie Köken ausführte. Zuschauer und Zuschauerinnen hätten mittels Zusendungen auf die Umweltzerstörung in ihrer Umgebung auf­merksam machen können und Behörden sowie Gemeinden aufgrund der hohen Einschaltquoten dazu gezwungen, Stellung zu beziehen. Der Wirkungsmacht von Trabers Sendungen seien sich auch Umweltschutzverbände bewusst gewesen, die sodann versuchten hätten, diese für ihre politischen Ziele zu nutzen.
 
STEFAN LÄNZLINGER (Zürich) und THOMAS SCHÄRER (Zürich) beleuchteten in ihrem Beitrag zwei mediale Berichterstattungen des besetzten Geländes des Kernkraftwerks Kaiseraugst im Jahr 1973. Kaum hatte der Bau dieses Werks begonnen, hatten Aktivistinnen und Aktivisten das Gelände für ganze drei Monate blockiert – und damit die Bauarbeiten verunmöglicht. Das Schweizer Fernsehen berichtete regelmässig über die Protestaktion. Anhand eines Ausschnitts des CH Magazins erläuter­ten Länzlinger und Schärer, dass sich das Fernsehen um eine ausgewogene Berichterstattung be­mühte. Das zeige sich darin, dass sowohl Aufnahmen vom Gelände als auch Interviewausschnitte mit Ulrich Fischer, dem Direktor des Kernkraftwerks, ausgestrahlt wurden. Dennoch habe es seitens der Schweizerischen Vereinigung für Atomenergie (SVA) Propaganda-Vorwürfe gegeben.

Die Referenten gingen anschliessend auf die von Heinz Frei produzierten Bilder ein, einem Aktivis­ten, der mit einer Super-8-Kamera die Aktivitäten auf dem besetzten Gelände ausführlich dokumen­tierte. Er war selbst Teil der Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst (GAK), die im Dezember 1973 von Jung­sozialisten, Umweltschützerinnen und Friedensaktivistinnen gegründet wurde, um das Kernkraft­werk Kaiseraugst zu verhindern. Frei, der Amateurfilmer, stehe somit für die Innenperspektive der Besetzung. Seine Aufnahmen hätten zwar nur eine kleine Reichweite gehabt, seien aber dennoch wichtig für die Identifikation der Bewegung gewesen. Im Gegensatz dazu habe das Schweizer Fern­sehen eine grosse Reichweite und somit die Möglichkeit gehabt, auch Personen zu erreichen, die bezüglich des Baus des Kernkraftwerks indifferent waren. Es lasse sich deutlich erkennen, dass das Narrativ einer gefährdeten Natur in die mediale Berichterstattung eindrang und so auch das Um­weltbewusstsein in der Gesellschaft förderte.
 
In der anschliessenden Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, welche Wirkung die Naturfilme auf die Gesellschaft hatten. Trabers Sendungen hätten eine Bildungsfunktion gehabt, erklärt Köken. Die Bilder im Fernsehen seien in den Wohnzimmern der Zuschauerinnen und Zuschauer zu sehen gewe­sen, was zur Verbreitung des Umweltbewusstseins und zur Partizipation des Publikums durch Ein­sendungen beigetragen habe. Weiter kam auch die Frage nach dem Zustand der Bildquellen und der Methodik auf. Köken berichtete vom lückenhaften Zustand des Unternehmensarchivs des Schweizer Fernsehens und dem Ringen um dessen Fortbestand. FELIX RAUH (Zürich), der die Beiträge kom­mentierte, fügte an, dass die Bedeutung von medialen Quellen zunehme und Initiativen lanciert wur­den, diese zu erschliessen und zu katalogisieren, so zum Beispiel die Memobase, das nationale Re­chercheportal von Memoriav, der Kompetenzstelle für das audiovisuelle Kulturgut der Schweiz.
 
Interessant wäre sicherlich, die Forschung weiterzuführen und die Zeit seit der Jahrtausendwende beziehungsweise die exponentiell wachsende Mediennutzung und deren Einfluss auf das Umweltbe­wusstsein zu untersuchen. Dabei liesse sich die Bedeutung von audiovisuellen Quellen entlang der einzelnen Mediengattungen differenzieren und vergleichend untersuchen. Der vergleichende Ansatz wäre vermutlich auch in der Untersuchung einzelner Gattungen fruchtbar, etwa in der Gegenüber­stellung mehrerer Natursendungen.



Panelübersicht:

Oliver Lugon / François Vallotton : De la famille à la planète des hommes ? Représentations média­tiques de la terre en Suisse autour de 1970
 
Ahmet Köken: Die Natur im Wohnzimmer. Eine medien- und umwelthistorische Untersuchung der Natursendungen von Hans A. Traber im Schweizer Fernsehen
 
Thomas Schärer / Stefan Länzlinger: Umweltbewegungen und bewegte Bilder: Die Besetzung des AKW-Baugeländes in Kaiseraugst 1975



Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 6. Schweizerischen Geschichts
tagen.

Veranstaltung
6. Schweizerische Geschichtstage
Organisiert von
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte und Université de Genève
Veranstaltungsdatum
Ort

Genf

Sprache
Deutsch
Art des Berichts
Conference