Die Digitalisierung stellt Unternehmen vor große Herausforderungen. Diese reagieren hierauf in der Regel zunächst durch verschiedene Einzelinitiativen, sei es im Bereich der (internen) Prozessautomatisierung, der Schnittstelle zum Kunden oder durch digitale Produkte oder Services. Bislang erfolgen diese Initiativen jedoch häufig zunächst „bottom up“ und sind selten aufeinander abgestimmt oder gar an der Unternehmensstrategie ausgerichtet. Dies führt nicht nur zu Doppelspurigkeit und Effizienzverlusten, sondern auch zu einem mangelnden strategischen Fokus. In der Praxis besteht somit ein großer Bedarf, die Digitalisierung strategisch zu gestalten und systematisch in einer Digitalisierungsstrategie zu verorten. Wir begegnen diesem mit einem Framework zur systematischen Entwicklung und Anpassung von Digitalisierungsstrategien.

Die bisherige wissenschaftliche Literatur fokussierte sich häufig auf die Abgrenzung und Ausgestaltung von Digitalisierungsstrategien [1] und identifizierte bspw. Kunden, Daten, Organisation, Wertversprechen, Operations- und Transformationsmanagement als relevante Handlungsfelder [2]. Ebenso wurden organisatorische, strukturelle oder technologische Strategieinhalte konzeptualisiert [3] und auf Basis verschiedener Einzelfallstudien untersucht, wie Digitalisierungsstrategien innerhalb von Unternehmen entstehen und in emergente Strategieprozesse münden [4]. Im Fokus der Forschung stand ebenso die organisatorische und personelle Verantwortung von Digitalisierungsstrategien durch Chief Digital Officers [5].

Während somit die strategischen Inhalte, Verantwortlichkeiten und organisatorische Aspekte im Kontext von Digitalisierungsstrategien bereits näher beleuchtet wurden, so fehlt es Praktikern jedoch weiterhin an Methoden, wie sie basierend auf dem aktuellen Status quo des Unternehmens zu einer integrierten Digitalisierungsstrategie kommen. Dies gilt umso mehr, da auch die aktuelle Literatur zu Recht darauf hinweist, dass Konzeptions- und Implementierungsprozesse von Digitalisierungsstrategien durchaus komplex sind, sich zwischen Unternehmen merklich unterscheiden können, diverse Stakeholder einzubinden sind und im Laufe der Zeit die zugrunde liegenden Annahmen überprüft werden müssen [6]. Zusätzliche Komplexität entsteht auch dadurch, dass Digitalisierungsstrategien i. d. R. über zahlreiche einzelne Digitalisierungsprojekte umgesetzt werden, die dann nicht nur individuell, sondern im Zuge eines übergeordneten Programm-Managements mit entsprechendem Projektcontrolling überwacht und gesteuert werden müssen.

Wir wollen daher in diesem Beitrag ein praktisch anwendbares 6‑Phasen-Framework für die Entwicklung von Digitalisierungsstrategien vorstellen. Jede Phase besteht dabei aus anwendungsorientierten Werkzeugen, die Unternehmen bei der Entwicklung von Digitalisierungsstrategien unterstützen. Bei der Entwicklung des Frameworks haben wir die Methodiken der Aktionsforschung eingesetzt und die einzelnen Elemente anhand mehrerer, aufeinanderfolgender Fallstudien entwickelt [7]. In jedem Anwendungsfall wurde eine angepasste Version des Frameworks eingesetzt, evaluiert und weiterentwickelt, sodass eine kontinuierliche Verbesserung erreicht werden konnte. Theoriebildung, Intervention und Reflexion bilden dabei einen inkrementellen Zyklus und stellen die zielgerichtete Anwendung sicher.

Nachdem wir nachfolgend zuerst kurz das für das Framework zugrunde gelegte Verständnis der Digitalisierung beschreiben, erläutern wir anschließend dessen wesentliche Werkzeuge entlang der sechs Phasen und illustrieren deren Einsatz anhand eines praktischen Fallbeispiels aus dem Bereich „Consumer Health Care“.

Handlungsfelder der Digitalisierung

Digitalisierung im Sinne unseres Frameworks bezieht sich auf vier Handlungsfelder:

  • Handlungsfeld I beinhalt die Digitalisierung der internen Prozesse und Produktion. Beispiele sind die Automatisierung von Produktions‑, Verkaufs- oder Beschaffungsprozessen. Ziel ist die Optimierung von Kosten, Qualität und Zeit.

  • Handlungsfeld II umfasst die Digitalisierung der Kundenschnittstelle. Typische Digitalisierungsbeispiele sind Apps, Web- und Social-Media-Seiten, Serviceportale und die Ergänzung bestehender Produkte um digitale Schnittstellen, jeweils mit dem Ziel, die Kundenbindung zu steigern.

  • Handlungsfeld III umfasst neue digitale Produkte, Services und Geschäftsmodelle. Beispiele sind der Aufbau eines digitalen Marktplatzes, ein „pay-per-use“ Geschäftsmodell oder die Initialisierung einer Online-Lernplattform. Ziel ist die Generierung neuer Umsätze oder die Absicherung der bestehenden Umsatzbasis.

  • Handlungsfeld IV beinhaltet den Aufbau digitaler Infrastruktur und Kompetenzen. Beispiele sind Investitionen in Data Analytics, Security und IT oder der Aufbau von organisatorischen und methodischen Fähigkeiten. Ziel ist es, die Voraussetzungen für die Umsetzung in den Handlungsfeldern I–III zu schaffen.

Beschreibung des Frameworks

Im Folgenden werden die einzelnen Phasen des Frameworks erläutert. Üblicherweise erfolgen die entsprechenden Arbeiten mit einem designierten Projektteam, bestehend aus dem Topmanagement (Geschäftsführung) sowie den relevanten Entscheidungsträgern aus den maßgebenden Fach- bzw. Unternehmensbereichen (z. B. CEO, CIO, CTO, CDO, Leiter/in Unternehmensstrategie etc.). Für ein Unternehmen in der Größenordnung von 200–1000 Mitarbeitenden erstreckt sich ein Projekt dabei typischerweise über 10–30 Interviews sowie 3–4 Workshops und einen Zeitraum von ca. 2–3 Monaten. Bei größeren Unternehmen können mehr Interviews und Workshops realisiert werden, um eine bessere Involvierung der Bereiche sicherzustellen.

Phase 1: Analyse

Ziel dieser Phase ist die konsolidierte Darstellung der Ist-Situation eines Unternehmens in Bezug auf die Digitalisierung. Ein wichtiges Hilfsmittel hierzu ist der Digital Analysis Canvas (vgl. Abb. 1), der von uns im Rahmen mehrerer Projekte, in Zusammenarbeit mit Unternehmen und mit Fachgruppen erarbeitet wurde. Für die Darstellung in einem Canvas haben wir uns entschieden, da auf diese Weise alle relevanten Informationen auf einen Blick ersichtlich sind. Zu diesem Zweck realisiert das Projektteam einen ganztägigen Workshop. Im ersten Teil des Workshops (am Vormittag) erstellt das Projektteam mithilfe des Digital Analysis Canvas ein fundiertes Bild der Ist-Situation:

  • Im oberen Bereich des Digital Analysis Canvas fasst das Management die Kernaussagen der Unternehmensstrategie sowie deren Implikationen für Digitalisierung zusammen. In der Mitte des Canvas identifiziert das Management die laufenden und geplanten Digitalisierungsprojekte und deren Fokus (Prozesse, Kundenschnittstelle oder neue Produkte, Services und Geschäftsmodelle). Dies lässt sich übersichtsartig in einem Portfolio darstellen (vgl. die dunkelblauen Punkte in Abb. 2).

  • Auf der rechten Seite des Canvas analysieren die Managerinnen und Manager die externen Einflussfaktoren auf die Digitalisierung ihres Unternehmens: Welche Bedürfnisse haben unsere Kunden? Welche digitalen Vorhaben verfolgt unser Wettbewerb bzw. mögliche Neueintritte in den Markt? Was sind relevante Technologien und Trends für unser Unternehmen?

  • Auf der linken Seite des Canvas diskutiert das Management die internen Einflussfaktoren: Wie ist unsere Firma hinsichtlich der Digitalisierung unserer Prozesse aufgestellt? Wo stehen wir hinsichtlich Menschen und Kultur? Und wie sind unsere digitale Infrastruktur und Kompetenzen im Bereich IT, Data Analytics, Innovation und Agilität sowie Cyber Security ausgestaltet?

  • Die Analyse dieser Einflussfaktoren resultiert in Stärken und Schwächen (interne Einflussfaktoren) sowie Chancen und Risiken (externe Einflussfaktoren). Diese fasst das Management unten im Canvas zusammen und priorisiert sie in einer Diskussion.

Abb. 1
figure 1

Digital Analysis Canvas

Abb. 2
figure 2

Handlungsfelder der Digitalisierung

Phase 2: Design

Ziel von Phase 2 ist die Erstellung eines Top-Down-Zielbildes für die Digitalisierung. Dieses adressiert einen Zeitraum von 3–5 Jahren. Dazu geht das Projektteam in zwei Teilen vor. Zunächst nimmt das Management eine Bottom-up-Priorisierung möglicher zukünftiger digitaler Stoßrichtungen vor:

  • Vorgängig zum Workshop werden alle möglichen zukünftigen Projekte über qualitative Interviews mit dem Projektteam und weiteren Unternehmensvertretern erfasst. Beispiele für Projekte sind „Einführung eines CRM-Systems“, „Einsatz von Chat-Bots“ oder „Einführung digitales Lager“. Auf diese Weise kommen schnell über 100 Projektideen zusammen.

  • Inhaltlich zusammenhängende Projekte werden in einem zweiten Schritt in Stoßrichtungen gruppiert. Beispielsweise lassen sich die Projekte „Einführung eines CRM-Systems“, „Chat-Bot“ oder „Kundenplattform“ in einer Stoßrichtung „Digitalisierung unseres Kunden- und Serviceprozesses“ zusammenfassen. Bei ca. 100 Projekten entstehen so ca. 20–40 Stoßrichtungen.

  • Diese Stoßrichtungen diskutiert und priorisiert das Management am Nachmittag des 1. Workshops nach ihrer Wichtigkeit für das Unternehmen. Erfahrungsgemäß basiert diese Bottom-up-Priorisierung oft auf operativen und taktischen Überlegungen und ist wenig strategisch fundiert.

Im zweiten Teil hinterfragt das Projektteam in einem zweiten Workshop die in Phase 1 vorgenommene „Bottom-up-Priorisierung“ mithilfe einer Digital Strategy Map (vgl. Abb. 3). Diese zeigt den gesamten strategischen Möglichkeitsraum anhand verschiedener digitaler Stoßrichtungen über die vier in Abschnitt 2 dargestellten Handlungsfelder auf.

Abb. 3
figure 3

Digital Strategy Map

Das Projektteam fokussiert sich dabei auf die folgenden Fragestellungen:

  • Reflektiert unsere erste Bottom-up-Priorisierung alle Ergebnisse der Ist-Analyse? Entspricht die Bottom-up-Priorisierung beispielsweise der Unternehmensstrategie? Spiegelt sie die in Phase 1 identifizierten Stärken und Schwächen sowie Chancen und Risiken wider? Wo gibt es Gaps?

  • Berücksichtigt die Bottom-up-Priorisierung die gesamten Möglichkeiten der Digitalisierung? Oft fokussieren sich Unternehmen stark auf die Digitalisierung ihrer internen Prozesse und der Produktion (Handlungsfeld I). Die Digital Strategy Map regt das Projektteam dazu an, auch die Handlungsfelder „Digitalisierung der Kundenschnittstelle“ und „Digitale Produkte, Services und Geschäftsmodelle“ in Betracht zu ziehen.

  • Sind die Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Stoßrichtungen hinreichend berücksichtigt?

Auf Basis dieser Diskussion nimmt das Management eine Top-down-Priorisierung der digitalen Stoßrichtungen in einem Portfolio vor. Sodann wählt es 2–6 Stoßrichtungen für die Umsetzung aus und konkretisiert diese. Zum Abschluss von Phase 2 erstellt das Projektteam ein übergeordnetes Zielbild. Dieses setzt die verschiedenen digitalen Stoßrichtungen in einen Bezug zueinander.

Phase 3: Digitales Portfolio

Das in Phase 2 entwickelte Zielbild adressiert einen Zeitraum für die kommenden 3–5 Jahre. Dieses gilt es nun in Phase 3 in konkrete Projekte für die kommenden 12–18 Monate herunterzubrechen. Hierzu definiert das Projektteam in einem 3. Workshop ein digitales Portfolio an Projekten für jede Stoßrichtung.

Ein solches Portfolio für die Stoßrichtung „Neue digitale Services“ ist exemplarisch in Abb. 4 dargestellt. Für jede Stoßrichtung werden die möglichen Projekte anhand des geschätzten Aufwandes (intern und extern) sowie des erwarteten Nutzens (Umsatz, Kosteneinsparungen etc.) positioniert. Ziel ist es, Projekte mit geringem Aufwand und großem Nutzen zu identifizieren.

Abb. 4
figure 4

Digital Portfolio der priorisierten Projekte je Stoßrichtung

Auf Basis des Portfolios wählt das Team diejenigen Projekte aus, welche in den kommenden 12–18 Monaten angegangen werden sollen.

Phase 4: Operationalisierung

Ziel von Phase 4 ist die Operationalisierung der für die Stoßrichtungen definierten Projektportfolien. Dazu wird eine realistische Planung für die kommenden 12–18 Monate erstellt, die die relevante (Gesamt‑)Projektlandschaft des Unternehmens angemessen berücksichtigt und die schnellstmögliche Realisierung von „low-hanging fruits“ bzw. sog. „Leuchtturm-Projekte“ ermöglicht. Hierdurch werden sämtliche Mitarbeitenden des Unternehmens anhand konkreter Beispiele von der Sinnhaftigkeit der neuen Strategie überzeugt und als „Change Agents“ für das neue Zielbild gewonnen. Dazu erarbeitet das Projektteam folgende Elemente:

  • Die Inhalte und Ziele der einzelnen Projekte werden geschärft. Wo es sinnvoll ist, werden Projekte in Teilprojekte oder Projektphasen heruntergebrochen.

  • Sämtliche Projekte werden mit Verantwortlichkeiten und Meilensteinen versehen. Diese werden in Form einer Tabelle festgehalten (vgl. nachfolgende Tab. 1). Für eine bessere Umsetzbarkeit können die definierten Stoßrichtungen der Digitalisierungsstrategie auch als Programme konzipiert werden, welche dann mit einem entsprechenden Programm-Management-Ansatz unter der Leitung eines Geschäftsführungsmitglieds in die Umsetzung gelangen.

  • Die Projekte werden sodann auf eine zeitliche Roadmap gelegt und aufeinander abgestimmt. Dabei hinterfragt das Projektteam noch einmal, ob die Planung hinsichtlich der verfügbaren Zeit und der Ressourcensituation realistisch ist. Abb. 5 zeigt ein Beispiel für eine solche Umsetzungs-Roadmap.

Tab. 1 Tabelle zur Ausarbeitung der Maßnahmen je Stoßrichtung und Projekt
Abb. 5
figure 5

Digital Roadmap. MAWI Materialwirtschaft, MES Manufacturing Execution System, AR Augmented Reality

Phase 5: Transformation

Auf Basis bzw. mithilfe der Digital Roadmap aus Phase 4 erfolgt in dieser Phase die eigentliche Umsetzung der Projekte aus den verschiedenen Stoßrichtungen der Digitalisierungsstrategie durch die (Regel‑)Organisation. Dabei ist zu entscheiden, ob die Umsetzung mit einer klassischen Programmorganisation im Wasserfallmodell oder agil, bspw. über SCRUM-Teams erfolgen soll.

Bei größeren Unternehmen und/oder solchen, die ihre Projekte primär klassisch umsetzen, kann ein entsprechendes Programm-Management ein zielführender Ansatz sein. Wie in der untenstehenden Abb. 6 verdeutlicht, werden dabei die Stoßrichtungen aus der Digitalisierungsstrategie in entsprechende „Streams“ überführt, welche von den Verantwortlichen (idealerweise jene Mitglieder aus dem Projektteam, welche die Strategie miterarbeitet haben) geführt werden. Das Portfolio aller Streams wird von einem „Digital Portfolio Manager“ koordiniert, welcher seinerseits die Arbeiten insbesondere auf strategischer Ebene mit dem „Digital Portfolio Board“ unternehmensweit koordiniert bzw. abstimmt.

Abb. 6
figure 6

Digitales Programm-Management (klassisch)

Sofern ein Unternehmen bereits über Erfahrung mit agilen Projektmanagementmethoden verfügt, können auch die Digitalisierungsstrategie bzw. ihre verschiedenen Initiativen und Projekte je Stoßrichtung agil umgesetzt werden. Analog zum klassischen Ansatz wird hierfür ebenfalls ein „Stream Manager“ je Stoßrichtung definiert. Auf übergeordneter Ebene wird das digitale Projektportfolio aber nicht als klassisches Portfolio, sondern als Digital Release Train geführt und die Projektarbeiten innerhalb der einzelnen Stoßrichtungen werden in agilen Teams im Rahmen agiler Sprints umgesetzt (vgl. Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Digitales Programm-Management (agil)

Unabhängig vom gewählten Ansatz ist ein klares Bekenntnis auf Ebene der obersten Unternehmensführung für eine erfolgreiche Umsetzung entscheidend. Daher ist die Geschäftsführung im gesamten Strategieprozess stark zu involvieren und eine entsprechende Abstimmung insbesondere in der Umsetzung sicherzustellen. Da die Maßnahmen aus einer Digitalisierungsstrategie meistens wesentliche Veränderungen in sämtlichen Unternehmensbereichen zur Folge haben, handelt es sich um einen großangelegten Change-Prozess, dessen Umsetzung in der Phase der Transition professionell geführt und eng begleitet werden sollte.

Phase 6: Agiler Strategieprozess

Wie eingangs dargestellt, wird im Rahmen einer Digitalisierungsstrategie zwar ein langfristiges Zielbild entwickelt, die Auswahl konkreter Projekte erfolgt aber agil über einen Zeithorizont von 12–18 Monaten.

Um eine solche Agilität auch auf Ebene des fortlaufenden Strategieprozesses zu erreichen, empfiehlt sich die Weiterentwicklung und das Monitoring sämtlicher Projekte in einem Digital Kanban Board, welches laufend aktualisiert wird. Wie Abb. 8 verdeutlicht, besteht ein solches Kanban Board aus vier Spalten, in denen sämtliche digitalen Projekte entsprechend ihrem aktuellen Umsetzungsstatus abgebildet und gesteuert werden. Der „Funnel“ beinhaltet alle neuen digitalen Initiativen und Projektideen, welche aus einem kontinuierlichen Soll-Ist-Vergleich hervorgehen. Sind diese Initiativen konform mit den in der Digitalisierungsstrategie definierten Stoßrichtungen und fällt ihre Aufwand-Nutzen-Analyse positiv aus (vgl. Phase 3), so werden sie in den Portfolio Backlog verschoben, wo dann auch eine Zuordnung zu Arbeitspaketen bzw. entsprechenden Aufgaben mit dazugehörender Ressourcen-Allokation erfolgt. Sämtliche Initiativen, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Umsetzung befinden, sind in der Spalte „Implementierung“ ersichtlich. Abgeschlossene Initiativen werden in die Spalte „Done“ verschoben, wo abschließend ein Review und eine Projektevaluation erfolgt.

Abb. 8
figure 8

Digital Kanban Board

Mithilfe eines Digital Kanban Boards erhält ein Unternehmen somit schnell und konsolidiert einen Überblick über sämtliche digitale Projekte und deren Status. Die Auflistung in den einzelnen Spalten gibt zudem Aufschluss über potenzielle Engpässe (wenn bspw. Projekte auffallend lang in der Spalte „Implementierung“ verbleiben und nicht abgeschlossen werden) oder wenn nur wenig neue Ideen vorliegen (kaum Projekte im „Portfolio Backlog“).

Fallbeispiel

Wir wollen im Folgenden die Anwendung unserer Toolbox an einem praktischen Fallbeispiel illustrieren. Bei diesem Fallbeispiel handelt es sich um ein Schweizer Marketing- und Vertriebsunternehmen im Bereich „Consumer Health Care“. Das Unternehmen vertreibt sowohl Fremd- als auch Eigenmarken und ist überwiegend im B2B-Geschäft tätig. Um die Unternehmensentwicklung möglichst wirkungsvoll zu unterstützen, benötigte die Geschäftsführung einerseits eine konsolidierte Gesamtsicht über alle laufenden Digitalisierungsvorhaben; andererseits sollte im Rahmen einer auf die Unternehmensstrategie abgestimmten Digitalisierungsstrategie auch eine diesbezügliche Fokussierung bzw. Priorisierung erreicht werden.

In Phase 1 entwickelte das Projektteam zunächst eine gemeinsame Sicht auf die Ist-Situation des Unternehmens in Bezug auf die Digitalisierung. Dazu wurden persönliche Interviews mit sämtlichen Mitgliedern der Geschäftsführung durchgeführt und eine Online-Umfrage mit dem mittleren Kader realisiert. Die Inhalte wurden entsprechend dem Vorgehen in Phase 1 der Toolbox in einem Digital Analysis Canvas (Abb. 9) konsolidiert und in einem Workshop diskutiert:

  • Die Unternehmensstrategie sah vor, die bestehende Position und Stärken des Unternehmens zwingend zu erhalten und die Position als Kompetenzanbieter neu in allen Kundensegmenten zu verstärken. Zudem sollte die Marktposition durch Konzentration der bestehenden Top-Fremdmarken und systematischem Eigenmarkenausbau mit Realisierung des Profitabilitätssprungs verstärkt werden. Die Digitalisierungsstrategie und deren Maßnahmen sollten vor diesem Hintergrund insgesamt auf den Stärken aufbauen und dem Unternehmen die Möglichkeit eröffnen, vor allem auch neue Kundensegmente bzw. Ertragsquellen zu erschließen.

  • Als wesentliche Stärken wurden die etablierte strategische Position sowie das attraktive Markenportfolio identifiziert, teilweise komplizierte interne Abläufe und begrenzte Innovationskraft waren demgegenüber nennenswerte Schwächen. Eine hauptsächliche Chance sah die Geschäftsführung im zunehmenden Direktverkauf, basierend auf einem sich stark verändernden Konsumverhalten und entsprechenden neuen Erwartungen (z. B. in Bezug auf ergänzende Service-Leistungen).

Abb. 9
figure 9

Beispiel für einen Digital Analysis Canvas. DL Dienstleistungen, FI/CO Finanzwesen und Controlling, M&A Mergers & Acquisitions, HR Human Resources

Ebenso wurden für die Erstellung des Digital Analysis Canvas nebst laufenden auch mögliche zukünftige bzw. bereits geplante Projekte im Kontext der Digitalisierung erfasst und zu Stoßrichtungen gruppiert. Beispiele für neue Projekte waren „Automatisierung interne Prozesse“ (z. B. FI/CO), die „Einführung eines neuen Dokumentenmanagementsystems“ oder „Aufbau Marketingdaten & Analytics“. Das erstgenannte Projekt wurde dann – zusammen mit inhaltlich ähnlich gelagerten Projekten wie bspw. „Digitalisierung Buchhaltung realisieren“ oder „Digitalisierung von Spesenbelegen“ – in der Stoßrichtung „Digitale Prozessverbesserung“ zusammengefasst. Die Geschäftsführung priorisierte sämtliche Stoßrichtungen, wobei sich klare Schwerpunkte bei jenen Stoßrichtungen zeigten, die in den Handlungsfeldern I (Digitalisierung der internen Prozesse und der Produktion) und II (Digitalisierung der Kundenschnittstelle) der Digitalisierung anzusiedeln sind.

Im Rahmen eines Workshops wurden die Ergebnisse aus Phase 1 anschließend in Phase 2 mit der Geschäftsführung diskutiert. Dabei zeigte sich insbesondere ein Gap im Handlungsfeld III (neue digitale Produkte, Services und Geschäftsmodelle) bzw. die entsprechenden Projekte und Stoßrichtungen wurden im Vergleich tiefer gewichtet. Auch eine Spiegelung mit den Kernelementen des Digital Analysis Canvas machte deutlich, dass insbesondere eine zentrale Forderung aus der Unternehmensstrategie („Erschließung neuer Ertragsquellen“) noch besser adressiert bzw. in entsprechende digitale Stoßrichtungen überführt werden konnte. Dies resultierte in einer Top-down-Priorisierung der Stoßrichtung „Digitales Ökosystem“ mit entsprechenden Projekten, insbesondere auch im Bereich digitaler Geschäftsmodelle. Daneben wurden zusätzliche vier Stoßrichtungen für die weitere Ausarbeitung selektiert (z. B. „Digitales Marketing“). Sämtliche Stoßrichtungen wurden anschließend in ein Digitalisierungszielbild übertragen, wobei die Geschäftsführung nebst einer übergeordneten Digitalisierungsvision auch digitale Zielsetzungen formuliert hat.

Im Anschluss hat die Geschäftsführung sämtliche Projekte der selektierten Stoßrichtungen, wo nötig, in weitere Projekte für die erste Umsetzungsphase heruntergebrochen bzw. für jede Stoßrichtung die entsprechend wichtigsten Projekte priorisiert (Phase 3). Bei der Stoßrichtung „Digitales Ökosystem“ wurde bspw. der Aufbau einer „Consumer-Plattform“ definiert.

In den Phasen 4 und 5 wurden die priorisierten Stoßrichtungen zwecks Operationalisierung schließlich in entsprechende (gleichnamige) Digitalisierungsprogramme überführt, welche dann mit den entsprechenden Umsetzungs-Streams aus der laufenden Unternehmensstrategie abgeglichen bzw. in diese integriert wurden. Auf diese Weise konnten einerseits klare Verantwortlichkeiten für die priorisierten digitalen Initiativen auf Stufe der Geschäftsführung definiert werden, andererseits ließ sich die Umsetzung durch die bestehende Organisation so optimal aufsetzen, weil die priorisierten digitalen Initiativen mit den im Rahmen der Unternehmensstrategie bereits laufenden bzw. final geplanten Initiativen optimal abgestimmt werden konnten.

In Phase 6 wurden sämtliche digitalen Projekte in einem Kanban Board agil gesteuert.

Fazit

Zahlreichen Unternehmen fiel es bislang schwer, den konkreten Prozess zur Erstellung, Überwachung und Anpassung von Digitalisierungsstrategien zu meistern. Vielfach scheiterte dies nicht an fehlenden Ideen zu deren Inhalt, sondern vielmehr an Unsicherheit und Unwägbarkeiten bzgl. der Gestaltung und Ausführung der dafür notwendigen einzelnen Prozessschritte. Allzu aufwendige Frameworks sind aufgrund der erforderlichen Schnelligkeit und häufig notwendiger Anpassungen nicht zielführend. Das hier vorgestellte Framework dient als eine Toolbox für Unternehmen, die diese mittels der einzelnen Werkzeuge (Digital Analysis Canvas, Digital Strategy Map, Digital Portfolio, Digital Roadmap, Digital Program Management sowie Digital Kanban Board) unterstützt. Dieses Framework unterstützt Unternehmen durch einen systematischen Prozess, von der Überprüfung des Status quo, der Formulierung einer dazu passenden Digitalisierungsstrategie bis zur fortwährenden Überprüfung dieser Strategie und schließlich der Multi-Projekt-Steuerung. Für Unternehmen wird der bislang zumeist eher holprige Weg zu einer Digitalisierungsstrategie somit ein Stück weit planbarer und geebneter.

Zusammenfassung

Ein Framework kann dabei helfen, systematisch und strukturiert eine Digitalisierungsstrategie zu entwickeln und anzuwenden.

Über 6 Phasen hinweg ermöglichen spezifische Tools u. a. eine bessere Berücksichtigung des Status quo und das Aufzeigen diverser Optionen.

Kernthesen

Die Erstellung von Digitalisierungsstrategien ist aufgrund der notwendigen Berücksichtigung von zahlreichen Aspekten ein komplexes Unterfangen und erfordert ein strukturiertes Vorgehen.

Durch Nutzung eines Frameworks lassen sich die Chancen für eine erfolgreiche Digitalisierung steigern und Synergien besser nutzen.

Mit der Erstellung der Digitalisierungsstrategien ist es nicht getan, eine kontinuierliche Kontrolle und Anpassung ist stets notwendig.

Handlungsempfehlung

Die einzelnen Phasen des Frameworks sollten als integrierter Prozess, der aus iterativen Einzelschritten besteht, verstanden und angewendet werden.

Unternehmen sollten in Abhängigkeit ihrer bisherigen Erfahrungen abwägen, wie stark sie hierbei auf agile Praktiken setzen.

Gerade bei den längerfristigen späteren Phasen sollten Unternehmen kontinuierlich überprüfen und ggf. nachschärfen, sobald Handlungsbedarf besteht.