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BY 4.0 license Open Access Published by De Gruyter August 24, 2022

D. 19,1,23 Iulianus libro 13 digestorum

  • Wolfgang Ernst

Abstract

D. 19,1,23 Iulianus libro 13 digestorum. Read as a contribution to the classical doctrine of id quod interest, D. 19,1,23 Iul. 13 dig. has often puzzled the reader. Julian seems to overcompensate a buyer for no good reason, only to be brusquely corrected by Marcellus. There may be a non-trivial explanation for Julian’s reasoning, especially once the palingenetical context is taken into account.

„Try again. Fail again. Fail better“[1])

I Palingenesie und Textkritik

Von D. 19,1,23 Iul. 13 dig. hat Jhering gesagt, es handele sich um einen „groben Schnitzer, den man Julian kaum zugetraut hätte“[2]):

Si quis servum, quem cum peculio vendiderat, manumiserit, non solum peculii nomine, quod servus habuit tempore quo manumittebatur, sed et eorum, quae postea adquirit, tenetur et praeterea cavere debet, quidquid ex hereditate liberti ad eum pervenerit, restitutu iri. Marcellus notat: illa praestare venditor ex empto debet, quae haberet emptor, si homo manumissus non esset: non continebuntur igitur, quae, si manumissus non fuit, adquisiturus non esset[3]).

Wie zuerst Otto Lenel aufgrund des palingenetischen Zusammenhangs bemerkt hat[4]), wird es Julian um den Fall gegangen sein, dass ein Fiduziar den ihm fiduciae causacum peculio manzipierten Sklaven freigelassen hat. Julian sollte daher vom Klageziel der actio fiduciae gehandelt haben. Lenel hat als Konjektur vorgeschlagen: <Quid, si servum, quem fiduciae causa acceperat, manumiserit?>[5]). Es wird von niemandem bezweifelt, dass sich Marcellus zu dem Fall eines nach Verkauf manumittierten Sklaven geäußert hat. Bisweilen wird angenommen, dass bereits Julian die beiden Fälle nebeneinandergestellt hat[6]). Dies ist freilich nicht zwingend. Man mag nicht recht einsehen, inwiefern der Verkaufsfall eine argumentative Unterstützung für die Lösung des Falles des ungetreuen Fiduziars darstellt oder warum eine solche überhaupt nötig gewesen sein sollte. Es liegt näher, dass Julian sich direkt und ohne Heranziehung eines Parallelfalles allein zur actio fiduciae geäußert hat. Geht man davon aus, dass Julian sich nur zum untreuen Fiduziar ausgesprochen hat, stellt sich die nota des Marcellus in einem anderen Licht dar: Ist es nicht möglich, dass erst Marcellus die von Julian für die fiducia vorgeschlagene Lösung mit dem kontrastiert, was im Fall eines freilassenden Verkäufers zu gelten hat? Dies entspricht der Textgestalt, wie sie sich ergibt, wenn man es mit der geringsten möglichen Konjektur genug sein lässt. Für dieses Verständnis spricht insbesondere noch das venditor ex empto, das überflüssig ist, wenn schon das Vorherige von der Haftung des Verkäufers (n.b. ex empto) gehandelt hätte, hingegen eine Kontrastierung fiducia emptio deutlich herausstellt. Schließlich passt das Verb restituere nicht recht zu den Leistungspflichten eines Verkäufers, wohl aber zu denen eines Fiduziars.

Sobald man den Marcellus/Julian-Text für das Kaufrecht der Digesten verwerten wollte, konnte man die nota des Marcellus unberührt lassen. Diese nota war vielleicht überhaupt der Anlass, den Text für den Titel 19,1 zu verwenden. Dabei konnte der auf die fiducia bezogene Ausgangsfall Julians schon wegen der Elimination dieser Rechtsfigur nicht so stehen bleiben; er wurde zu einem Kaufrechtsfall umgestaltet. Auf der Grundlage des von Lenel herausgestellten Befundes mag der Ausgangstext so gelautet haben:

Si quis servum, quem cum peculio [vendiderat] <fiduciae causa acceperat>, manumiserit, non solum peculii nomine, quod servus habuit tempore quo manumittebatur, sed et eorum, quae postea adquirit, tenetur et praeterea cavere debet, quidquid ex hereditate liberti ad eum pervenerit, restitutu iri. Marcellus notat: illa praestare venditor ex empto debet, quae haberet emptor, si homo manumissus non esset: non continebuntur igitur, quae, si manumissus non fuit, adquisiturus non esset.

Lenels Konjektur eröffnet einen neuen Zugang zum Text, der bislang ungenutzt geblieben ist; um diesen bemüht sich der vorliegende Beitrag. Julian und Marcellus haben sich danach zu unterschiedlichen Fällen geäußert. Diese sind ähnlich, aber doch nicht vollständig gleichgelagert. Die fiducia verpflichtet den Fiduziar zur erfolgreichen Rückmanzipation, während der Verkäufer nur die traditio und einen Eviktionsschutz schuldet; unter römischen Bürgern galt der Verkäufer von res mancipi allerdings auch als zur Vornahme des Manzipationsaktes verpflichtet[7]). Nimmt man die These des fiducia-Ursprungs ernst, wird man sich den Lebenssachverhalt in einer Hinsicht etwas anders zurechtlegen dürfen: Während sich beim Kauf die Freilassung in den regelmäßig kurzen Zeitraum zwischen Vertragsschluss und Erfüllung durch den Verkäufer schieben muss, dauert eine fiduziarische Überlassung regelmäßig länger an, womit sich auch die durch die Freilassung geschaffene Situation über einen erheblichen Zeitraum erstreckt haben mag. In beiden Fällen ist der Verpflichtete einer actio ausgesetzt, die zu einem bonae fidei iudicium führt[8]). Ein Unterschied, der sich noch als kritisch herausstellen soll, besteht darin, dass die actio fiduciae infamierend wirkt[9]), die actio empti indes nicht.

Im Folgenden wird bevorzugt von Schuldner und Gläubiger gesprochen. Schuldner meint dabei den Fiduziar/Verkäufer, Gläubiger den Fiduzianten/Käufer. Zur Überlieferungs­geschichte der Marcellus-Noten soll hier nicht beigetragen werden[10]).

II Julians Fall und Julians Lösung

1 Sachverhalt

Das Zusammentreffen von fiducia und manumissio lässt sogleich an die fiducia manumissionis causa denken[11]). Die Freilassung als solche wäre dann abredegemäß erfolgt. Diese Möglichkeit ist in der Literatur noch nicht bedacht worden. Freilich würde sich Julians Fall dann weniger gut zum Vergleich mit dem Parallelfall im Kaufrecht eignen, der ja einen Vertragsbruch zum Gegenstand hat. Es ist auch nicht unmittelbar verständlich, warum ein Sklave zum Freilassungszweck cum peculio übertragen werden sollte, wenn schlussendlich das peculium doch an den Fiduzianten zurückgehen soll. Man müsste sich den Fall dann spekulativ dahingehend zurechtlegen, dass der Fiduziar den Sklaven cum peculio freilassen sollte, dann aber das peculium abredewidrig zurückbehalten hat. (Der Sklave muss vorliegend sine peculio manumittiert worden sein.) Dann bliebe immer noch fraglich, warum der Fiduziant die Erbschaft nach dem libertus sollte beanspruchen können; dies ist aber ein Zentralpunkt des Fragments. Man wird daher am ehesten davon ausgehen, dass Julian sich zu dem Fall äußert, in dem die Freilassung unplanmäßig erfolgt; sie ist hier Bruch, nicht Vollzug der fiducia. Der Umstand, dass in Julians Ausgangstext gezielt eingegriffen worden ist, begründet freilich einen Generalverdacht, dass der Digestentext möglicherweise auch im Übrigen keine verlässliche Wiedergabe bietet; die Ausdeutung des Sachverhalts bleibt von daher mit Unsicherheit belastet. So wird sich auch nicht entscheiden lassen, ob es um eine fiducia cum amico oder um eine solche cum creditore gegangen ist. Womöglich ist dies für die Lösung des Falles auch nicht relevant.

Warum wird ein Sklave überhaupt cum peculio zum Gegenstand einer fiducia? Das peculium ist ein Vermögensstück oder ein Konglomerat von Vermögensstücken, das vom Sklaven mit Ertrag bewirtschaftet wird. Beim peculium handelt es sich um Produktivvermögen. Wird der Sklave cum peculio übertragen, ist sichergestellt, dass die Wertschöpfung, die sich aus der Bewirtschaftung des peculium durch den Sklaven ergibt, beim Fiduziar fortgesetzt wird[12]). Ein vergleichbares Motiv besteht beim Kauf eines Sklaven cum peculio: Hierbei wird ein Sklave mit seinem peculium als gewinntragendem Kapitalstock, als ‚going concern‘, gekauft.

2 Das peculium

2.a) Mit der Freilassung ist das peculium zum Eigenvermögen des Schuldners geworden, wenn man davon ausgeht, dass die Freilassung sine peculio erfolgte. Dem Gläubiger war das peculium zusammen mit dem Sklaven zu leisten. Es war dem Gläubiger von Anfang an geschuldet. Problemlos besteht diese Verpflichtung weiter, wenngleich nun die Auslieferung des Pekuliums isoliert erfolgen muss, da ein Sklave, der zu übertragen wäre, nicht mehr vorhanden ist. An der Verpflichtung zur Herausgabe des peculium ist nichts Hypothetisches. Die Gegenstände des peculium sind über den Freilassungszeitpunkt hinaus real vorhanden und vom Schuldner zu leisten. Der Wert des peculium ist nicht ein Rechnungsposten für die aestimatio der ausgebliebenen Leistung des Sklaven; es geht in diesem Punkt nicht darum, was dem Gläubiger entgeht, indem der Sklave freigelassen wurde. Vielmehr haftet der Schuldner wegen des peculium, weil die Pekuliargegenstände in ihrer Gesamtheit einen dem Gläubiger zukommenden ‚primären‘ Leistungsgegenstand darstellen.

2.b) Et eorum, quae postea adquirit – worum handelt es sich? Eine Unsicherheit ergibt sich daraus, dass das Subjekt zu adquirit in quis gefunden werden kann, ebenso aber auch in servus. Die Vorstellungen, die man sich von dieser Position gemacht hat, sind unscharf geblieben. Rabel etwa ist vom Wert des verlorenen Arbeitserwerbs ausgegangen[13]); würde es sich dann um einen dem Gläubiger entgangenen Zuerwerb gehandelt haben? Below war der Meinung, es ginge um das, was der servus „später erwirbt“[14]). Honsell sieht „den späteren Erwerb des libertus“; er will dabei unentschieden lassen, ob es sich um den Arbeitserwerb des Sklaven handelt oder um eine diesem angefallene Erbschaft. So oder so würde es sich um einen Vermögenserwerb handeln, der das Vermögen des libertus mehrt; aus der Sicht des Vertrags- und Prozessverhältnisses ist der libertus indes ein Dritter.

Die Gegenüberstellung des peculium und des nachfolgenden Erwerbs legt nahe, dass es sich um ein Ergänzungsverhältnis in zeitlicher Hinsicht handelt. Postea bezieht sich auf den Zeitpunkt der manumissio. Ein Ergänzungsverhältnis ergibt sich, wenn man annimmt, dass der vor der manumissio erwirtschaftete Ertrag in das peculium floss, dass danach die Pekuliargegenstände weiter mit Ertrag bewirtschaftet werden, wobei nur die Erträge nun unmittelbar dem Schuldner zufallen[15]). Das peculium zieht bestimmte Erwerbe an sich; hiervon wird als einem Erwerb ex peculio, peculiari causa oder peculii nomine gesprochen[16]). Dieser Zuerwerb gehört dann zum peculium. Der Zuerwerb, sozusagen eine „Verzinsung“ des Kapitalstocks, wird gleichsam im peculium thesauriert. Wenn dem Fiduzianten das peculium mit dem Sklaven zurückzugewähren ist, dann in dem beim Fiduziar angewachsenen Umfang.

Die Gegenstände, die das peculium ausmachten, können nach der Freilassung weiterhin Erträge generieren; diese fallen dem Schuldner zu. Geht man davon aus, dass es zunächst um fiducia gegangen ist, kann der Zeitraum, der zwischen Freilassung und Fälligkeit der Rückgabe liegt, von erheblicher Länge sein. Julians Aussage ist dahingehend zu verstehen, dass ein Zuerwerb post manumissionem, der aufgrund des Zusammenhangs mit dem Pekuliarvermögen diesem zugerechnet wird, dem Gläubiger mit herauszugeben ist. Es geht also um Erträge aus dem bisherigen Pekuliarvermögen, die real beim Schuldner angefallen sind oder bis zur Auskehrung des Geschuldeten bzw. bis zum Urteil noch anfallen. Nicht ausschließen wird man den Einbezug von operae libertorum, die sich der Schuldner anlässlich der Freilassung versprechen ließ und später einzog, dies aber wohl nur bis zum Urteil, das gegen den Schuldner ergeht. Wenn es um den weiteren Erwerb noch nach Rückgabe des peculium (bzw. der Verurteilung des Fiduziars in dessen Wert) gegangen wäre, wäre wohl auch insofern der Weg über die cautio einzuschlagen gewesen.

Auszuscheiden ist jedenfalls die Deutung, dass es sich um eine hypothetische, rechnerische Position handelt, die auf Gläubigerseite festgestellt wird (z. B. dem Gläubiger entgangene Arbeitsleistung des Sklaven als Nichterfüllungsschaden), ebenso aber die Deutung, dass es sich um den realen Ertrag der Arbeitsleistung des Freigelassenen handelt, insofern diese nicht mehr dem Schuldner zufließt.

Indem der Gläubiger das, was aus dem (ehemaligen) peculium noch bis zum Urteil erwirtschaftet wurde, in Ergänzung des peculium, wie es im Manumissionszeitpunkt bestand, erhält, wird ihm der Kapitalstock, wenn man es so nennen will, vollumfänglich restituiert, so wie er es zu beanspruchen hat. Von nun an kann er den ihm restituierten Kapitalstock (oder dessen Geldäquivalent) selbst weiter bewirtschaften.

3 Hereditas liberti

Den Nachlass nach dem libertus erbt – unter bestimmten Voraussetzungen – der Patron[17]). Das laut Julian über die cautio sichergestellte Anrecht des Fiduzianten auf die Erbschaft nach dem libertus ist gegenüber der ursprünglich geschuldeten Leistung des Fiduziars ein aliud. Es handelt sich nicht um eine Einzelposition im Rahmen des quod interest. Formeltechnisch gewendet, geht es um die Ausdeutung der intentio, nicht um die condemnatio. Die von Julian befürwortete Verpflichtung zur Abgabe einer cautio kann nicht Teil der aestimatio sein. Auf den Grund, aus dem heraus Julian die Erbschaft für den Fiduzianten sichert, wird im Zusammenhang mit der nota des Marcellus eingegangen werden.

4 Und der servus?

Die Verpflichtung, den (ehemaligen) Sklaven zu übereignen, besteht nicht mehr. Der von Julian stammende Text spricht keine Verpflichtung des Schuldners an, den Gläubiger im Betrag des quod interest hierfür zu entschädigen. Es ist indes kein Grund ersichtlich, warum der Gläubiger keinen Ersatz dafür erhalten sollte, dass er die ihm geschuldete Leistung entbehrt, die der Schuldner sich unmöglich gemacht hat. Honsell hat gemeint, die dem Gläubiger im Übrigen Zugesprochene addiere sich zu der „Summe aller Nutzungsmöglichkeiten“, neben welcher kein Ersatz für den Wert der Sache selbst verlangt werden könne; die Summe der Nutzungsmöglichkeiten sei die „Pauschalierung“ des Sachwerts[18]). Diese Deutung trifft kaum zu: In welchem Umfang sich die Produktivität des libertus während seiner Restlebenszeit in einem Nachlass niederschlägt, ist ungewiss; ungewiss ist u.a. auch noch, ob der Patron nicht durch das Erbrecht etwaiger sui des libertus verdrängt wird. Es ist daher – mit Medicus[19]) – davon auszugehen, dass der Gläubiger auch wegen des Sklaven selbst entschädigt wird[20]).

III Julians Lösung im Licht der nota des Marcellus

Marcellus handelt vom Sklavenverkauf, dessen Erfüllung durch manumissio vereitelt wird. Er äußert sich nicht ausdrücklich zur Frage des peculium. Soweit es ihm überhaupt um einen Verkauf cum peculio gegangen ist, darf man davon ausgehen, dass er insoweit die Rechtslage nicht anders sah als – im Vergleichsfall – Julian; dies auch hinsichtlich der Zugänge zum peculium bis zu dessen Auskehrung an den Käufer. Man bezweifelt nicht, dass der einzige Punkt, zu dem sich Marcellus äußert, das Anrecht auf die Erbschaft nach dem libertus betrifft. Dieses wird dem Käufer abgesprochen, da ihm diese Erbschaft nicht durch die vereitelte Erfüllung entgangen ist.

Wie verhält sich diese Aussage zu der Ansicht Julians? Es sei daran erinnert, dass Marcellus nichts anderes eingebracht hat als den Vergleich der von Julian (nur) für die fiducia vorgeschlagenen Lösung mit der – offenbar abweichenden – Behandlung eines entsprechend gelagerten Falles im Kaufverhältnis[21]). Man hat hierin einen Versuch gesehen, Julian zu korrigieren: Nachdem sich Julian zur fiducia geäußert hat, hätte es sich um den Vorschlag gehandelt, die Lösung für den Kauf solle auch für die fiducia benutzt werden, unter Ablösung der Ansicht Julians. Es liegt indes näher, dass Marcellus den Kauffall neben den von Julian entschiedenen fiducia-Fall gestellt hat, einfach um auf eine unterschiedliche Behandlung hinzuweisen.

Warum aber soll beim Kauf etwas anderes gelten als bei der fiducia? Der Erwerb der Patronatsrechte erfolgt aufgrund eines Vertragsbruchs des Fiduziars, und zwar eines Vertragsbruchs, der bei klageweiser Verfolgung die Infamie nach sich zieht. Der Genuss von Patronatsrechten aufgrund eines infamierenden Vertragsbruchs ist ersichtlich anstößig[22]). Beim Verkauf verhält es sich anders. Ein Vertragsbruch führt nicht zur Infamie. Man gibt dem Käufer nur das, was ihm zur Entschädigung zukommt. Dies ist dann der Sinn der nota des Marcellus: Sie stellt klar, dass die Abschöpfung der allfälligen Erbschaft vom ungetreuen Fiduziar in der Bewertung seines Verhaltens als infam begründet ist, und dass bei Abwesenheit dieses besonderen Unwerturteils der dem Verkäufer anfallende Nachlass diesem nicht abgenommen werden muss, weil es zur Entschädigung des Käufers nicht erforderlich ist.

Vielfach wird behauptet, das von Julian befürwortete Gläubigerrecht auf die dem patronus anfallende Erbschaft stehe in einem Gegensatz zu der Herausgabe des peculium. Bei Letzterem handele es sich um regulären Schadensersatz; da hingegen der Erbschaft auf Gläubigerseite kein Schaden entspreche, würde hinsichtlich der Erbschaft eine Bereicherung des Schuldners abgeschöpft[23]). Derselbe Befund wird vielfach auch anders gedeutet, indem nämlich eine Überkompensation des Käufers angenommen wird: „The same thing is twice assessed, for the hereditas consists of the acquisition subsequent to manumission“[24]). Es handelt sich um zwei benachbarte Deutungen, indem entweder eine Überkompensation kritisiert oder als Bereicherungsabschöpfung legitimiert wird.

Es trifft zu, dass die Herausgabepflicht betreffend die Erbschaft keinen Ersatzzweck verfolgt. Hierfür ist aber nicht ein allgemeiner Gedanke der Abschöpfung ungerechtfertigter Bereicherung maßgeblich, sondern der Umstand, dass ein infamierender Treubruch mit dem Genuss der Erbschaft durch den Fiduziar unvereinbar ist. Es ist der konkrete Fall, der diese Entscheidung fordert: Ein Fiduziar, der einen Sklaven, den er nur vorübergehend zu Eigentum erhalten hat und zurückmanzipieren muss, treuwidrig freilässt, kann nicht Jahre später für diesen Treubruch belohnt werden, indem er die Erbschaft nach dem libertus er- und behält.

Zu Unrecht wird die Stelle als Beleg für die Ersatzfähigkeit von lucrum cessans diskutiert[25]). Die Pflicht zur Herausgabe der zukünftigen Erbschaft dient nicht der Abdeckung eines dem Gläubiger entgangenen Gewinns, den dieser hypothetisch hätte erzielen können, indem er den Sklaven nach dessen Erwerb selbst freigelassen hätte. Die Erbschaft, sollte eine solche beim Schuldner anfallen, gehört der Realität an; es handelt sich nicht bloß um eine gedankliche Überlegung nach der Art eines ‚was wäre, wenn‘, die auf die Entwicklung des Gläubigervermögens bezogen wäre.

Das peculium wiederum ist gar kein Einzelposten im Rahmen der aestimatio, sondern es ist als noch erbringbarer Teil der ursprünglichen Leistungspflicht weiterhin geschuldet. Insofern besteht zwischen Julian und Marcellus kein Dissens über die Bestimmung des quod interest. Über eine grundsätzliche Vorstellung, mit der Julian an die Frage des quod interest herangegangen ist, gibt die Stelle keinen Aufschluss. Schließlich erscheint die Deutung, wonach Marcellus ergänzend darauf hinweist, dass es sich beim Kauf anders verhält (als bei der von Julian behandelten fiducia), recht gut zum Verhältnis der beiden Juristen zu passen.

Das vielfältige Lob, das der juristischen Kompetenz Julians seit der Antike gezollt wird, muss hier nicht wiederholt werden[26]). Gebietet diese Einschätzung aber nicht auch, dass man bei auf erste Sicht schwer einsichtigen Julian-Texten nach Möglichkeiten sucht, eine nicht-triviale juristische Leistung nachzuvollziehen?

Published Online: 2022-08-24
Published in Print: 2022-07-26

© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 8.6.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zrgr-2022-0010/html
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